Ordensfrauen bieten Menschen eine Tasse Kaffee an. Was dann passiert ist offen. Sozialpastoral in Deutschland – ein heikler Ort, der Anonymität braucht, um wirken zu können. Eine Schwester erzählt:
Kaffeetrinken verbindet. Nicht nur die Menschen, die dabei zusammensitzen. Nein, es verbindet auch diejenigen, die sonst anscheinend ziemlich wenig miteinander zu tun haben: Kaffee ist das Lieblingsgetränk durch alle sozialen Schichten hindurch. Für unsere sozial-pastoralen Aktivitäten nahmen wir diese simplen Erfahrungen zum Ausgangspunkt – und es entstand ein Café, das Leute anzieht.
Im buchstäblichen Sinne wohlbemerkt. Denn es gibt neben Kaffee und leckerem Kuchen im bistroähnlich gestalteten Gemeinderaum auch eine kleine Kleiderboutique. Hier wird alternativ geshoppt: Die Kleider werden nicht bezahlt, sondern getauscht. Freundliche Beratung durch Ehrenamtliche inklusive. Seit gut anderthalb Jahren gibt es das KleiderCafé, ein Kooperationsprojekt unserer Ordensgemeinschaft, der Pfarrei und der Caritas.
Ein Café, das Leute anzieht.
Zwei Mal wöchentlich ist es für zwei Stunden geöffnet, und in dieser Zeit beherbergt es ganz unterschiedliche Besucher_innen. Menschen von der Straße, Karlchen Schmidt und Lischen Müller von der Pfarrgemeinde, Personen von der Behinderteneinrichtung nebenan, hereinschneiende Leute, die den Gedanken des Kleidertauschs hip finden, Menschen, die finanziell wenig Spielraum haben oder die Idee des Miteinanders wertschätzen – sie alle finden bei einer Tasse Kaffee zusammen ins Gespräch, lassen sich von Firmlingen in der Boutique beraten oder sind einfach zufrieden, still dabei am Tisch zu sitzen. Grenzen, die sonst gesellschaftlich gesetzt sind, werden hier ganz selbstverständlich durchbrochen.
Und selbst wenn die soziale Mischung mal weniger bunt ist: Immer kommt man in Kontakt mit Frauen und Männern, die allein durch ihre Leben mit ganz anderen Fragen und Ansichten konfrontieren als den eigenen. Vor Ort sind immer Gesprächspartner_innen, bei denen auch die existenziellen Themen des Lebens Raum haben.
Gesellschaftliche Grenzen werden durchbrochen.
Das Café birgt jedoch noch weitere Besonderheiten, die nach außen hin nicht einfach ersichtlich sind und sein sollen: Es sind Frauen, die Kaffee kochen, Kuchen ausgeben oder Kleider arrangieren – Frauen in Not, die damit Normalität, Anerkennung und Sinn erfahren. Im Nachtcafé, das im selben Gemeinderaum angesiedelt ist, haben sie für begrenzte Zeit Zuflucht gefunden.
Von der Möglichkeit des Nachtcafés erfahren die Frauen in Beratungsstellen. Öffentlich wird der Ort nicht kommuniziert. Wer hierher kommt, ist akut von Wohnungslosigkeit gefährdet und/oder fällt durch das soziale Netz. Mit schrecklichen Erlebnissen belastet ist die Aussicht auf eine sichere Unterkunft, auf ein warmes Abendessen und ein Frühstück fundamental. Auch die Möglichkeit zu duschen, zu waschen oder sich in der kleinen Boutique benötigte Kleidung auszusuchen, wird gerne angenommen.
Als mindestens genauso wichtig hat sich die hier angebotene solidarische Gemeinschaft von Frauen erwiesen: sowohl die Gemeinschaft der Frauen in Not untereinander als auch die mit uns Schwestern nebenan. Es ist einfach immer eine da, die beistehen kann, sei es durch die angebotene Tasse Kaffee, ein Gespräch oder die Begleitung zu Unterstützungs- und Beratungsstellen. Dass die Unterkunft sehr einfach und improvisiert ist – in der ehemaligen Blumensakristei wurde eine Dusche installiert, die Betten werden aus Sitzwürfeln gezaubert – fällt da nicht ins Gewicht.
Angebot: Solidarität!
Für uns Schwestern sind beide „Cafés“ eine Konkretisierung der Leitlinien unseres letzten Generalkapitels. Diese laden ein, den Kreis zu weiten und Gemeinschaft über den bisherigen Kontext hinaus zu leben, gerade auch mit marginalisierten Menschen. So machten wir uns zu Beginn in der neuen Stadt auf den Weg und suchten bewusst den Kontakt mit Menschen in Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe. Beim gemeinsamen Essen erfuhren wir deren Sorgen oder teilten das schweigende Sitzen vor Ort. An die Schwester, die als Sozialarbeiterin in das Pastoralteam der Gemeinde eingebunden ist, wandten sich immer wieder hilfesuchend Frauen, die ihr von den Bedrohungen des Lebens auf der Straße als Frau berichteten. Das Nachtcafé entstand als konkrete Antwort auf deren Nöte. Es will präventiv dafür sorgen, dass Frauen diesen Gefahren nicht ausgesetzt sind.
Ein Nachtcafé als Antwort auf die Nöte von Frauen auf der Straße.
Zugleich lehrt die Erfahrung, dass nahezu alle Frauen, die zu uns kommen, Gewalt erfahren haben und traumatische Erlebnisse mitbringen. Hier erweist sich die Verknüpfung von Sozialarbeit mit pastoralen Bemühungen für die Frauen als stabilisierend, sodass Zukunft neu in den Blick genommen werden kann.
Auf eine natürliche und unaufdringliche Weise kommen die Besucher_innen bei beiden sozialpastoralen Angeboten mit spiritueller Präsenz bzw. Kirchlichkeit in Berührung. Jede/r kann selbst bestimmen, ob und inwiefern die damit verbundenen pastoralen Hilfen angenommen werden. Für uns selbst ist immer neu spannend, wie häufig in den Gesprächen explizit religiöse Themen Raum finden. Oft ist es die Frage nach Gott und dem Leid, die die Menschen bewegt, oder die Suche nach Gottes Spuren im eigenen Leben. Bei aller Kritik, die an der Institution Kirche natürlich geäußert wird, oder auch bei Unverständnis, z.B. gegenüber dem Lebensentwurf „Ordensleben“, findet zugleich eine Auseinandersetzung statt mit dem, was dem eigenen Leben Sinn gibt und es trägt.
Jede/r kann entscheiden, ob sie/er die pastoralen Hilfen annimmt.
Nicht zu unterschätzen, ist auch die Rückwirkung dieser sozialpastoralen Angebote auf die Gemeinde vor Ort. Es fand über eine Sensibilisierung für soziale Nöte hinaus ein greifbarer Wandel statt. Denn es änderte sich die teils vorhandene Sorge zu Beginn, wie die „Anderen“ wohl an diesen Ort passen, in ein selbstverständliches Miteinander, das von Freude aneinander geprägt ist. Die Öffnung des Kirchortes als diakonischer Beitrag der Gemeindemitglieder wurde ihnen selbst zum Segen. Denn nicht nur neue Lebendigkeit und Buntheit ist vor Ort erfahrbar, sondern die Gastgeber_innen werden selbst regelmäßig zu Gästen, wenn z.B. Frauen in Not für ein hübsches Ambiente und frischen Kaffee sorgen. Gerade bei gemeinsamen Festen ist so etwas vom Reich Gottes erfahrbar, welches alle Grenzen überschreitet und wo alle, unabhängig von der sozialen Position, Platz finden.
Die Sorge, wie die ‚Anderen‘ an diesen Ort passen, wandelt sich in ein selbstverständliches Miteinander.
Es ist dieser Geschmack des MEHR, der uns Schwestern dabei beschenkt, und nicht nur uns. Doch während manche ganz ohne religiöse Deutung „zauberhafte Stunden“ erleben, entdecken wir darin Gottes Spuren, werden wir angerührt von Seinem Geheimnis. Und das immer wieder … bei einer ganz einfachen Tasse Kaffee.
Text: Anonyma; Bild: Birgit Hoyer