Der katholischen Kirche könnte ein Konflikt bevorstehen. Die Waffen: lustige Bilder, Memes. Leopold Kohlbrenner mit dem Versuch einer Vorhersage.
Für alle Boomer: eine Einführung
Memes, also Witzebildchen aus dem Internet, erhalten ihre Popularität vor allem durch eine einfache Herstellung sowie die rasante Verbreitung im Internet. Die Vorlagen für Memes entstehen auf der Grundlauge von aus dem Kontext gerissenen Bildern aus Filmen und der Popkultur, die durch das Hinzufügen von eigenen Texten neu kontextualisiert und auf aktuelle Themen bezogen werden. Durch die Einfachheit der Bild- und Videobearbeitung gibt es Memes inzwischen auch im Videoformat. Die chinesische Kurzvideoplattform „TikTok“ bietet dabei beispielsweise Videobearbeitung und Verbreitung in einem. Zur Zeit lässt sich eine zusätzliche Verschiebung zu „Dank Memes“ beobachten. Memes werden dabei immer absurder und die Formen vielfältiger.
Falls Sie im Internet auf ein Meme stoßen, dessen Witz Ihnen nicht verständlich ist, empfiehlt es sich, die Website knowyourmeme.com aufzusuchen. Hier werden Memes, aber generell auch Internetphänomene erklärt.
Jesus als „Gigachad“?
Ein Beispiel für die Rekontextualisieriung ist der „Chad Jesus“. Der Ausdruck „Chad“ war schon vor Internetzeiten als Bezeichnung für einen erfolgreichen, jungen Mann bekannt. Das Aussehen des Chads veränderte sich über die Zeit, seine Symboliken wurden spezifischer. So wird heute zwischen verschiedenen Formen des Chads unterschieden.
Aus einem Kunstprojekt in Berlin entstand der GigaChad. Dem Gigachad kam eine neue Bedeutung zu: Er wird als eigenständig, in seiner Meinung gefestigt dargestellt, auch wenn oder gerade weil er gegen gesellschaftliche Konventionen verstößt. Durch Hinzufügen von Kreuz und Dornenkrone wird der GigaChad zu Chad Jesus. Passend, bedenkt man doch, wie oft Jesus vorherrschenden Meinungen entgegentrat.
Gott, Jesus und die Kirche werden in nicht-christlichen Memes oft in ihrer „Funktion“, weniger als für sich selbst stehende Charaktere dargestellt. Sie stehen für das absolut Gute, den höchsten Herrscher oder den letzten Richter. Einerseits kann man sich über diese Präsenz in der Popkultur freuen, anderseits besteht die Gefahr, dass sie zu sinnentleerten Metaphern verkommen.
Memes als Meinungsäußerung
Memes wollen Emotionen hervorrufen und können eine politische Meinung haben. Sie sind Karikaturen im Internet. Auf das erste Lachen oder Schmunzeln soll eine weitere Reaktion folgen. Die Politik hat dieses Potential bereits erkannt: Gegner werden lächerlich gemacht, Anhänger werden versammelt, eigene Ideen werden als die Besten dargestellt.
Außerdem lebt das meinungsstarke Meme von der Verkürzung der Debatte. Es gibt nur schwarz oder weiß, keine Zwischentöne. Lösungen müssen einfach sein. Das leistet extremen Positionen Vorschub, abwägende Meinungen sind schwierig unterzubringen.
In der zunehmend aufkommenden Debatte, was nun der richtige Katholizismus sei, bringt sich ein Lager mehr und mehr in Stellung. In Amerika, wo konservative Katholiken nicht nur innerkirchliche Reformen, sondern auch alles „Woke“ bekämpfen, haben die „Rad-Trads“ (Radical Traditonalists) zum Kampf gegen das Zweite Vatikanum und alles „Moderne“ geblasen. Sie fühlen sich (unironisch) päpstlicher als der Papst.
Da diese Traditionalist*innen absolute Glaubenswahrheiten zu haben meinen, können sie sich auch leichter auf dem Schlachtfeld der bunten Bildchen austoben. Sie nutzen in ihren Memes entrüstende und schockierende Elemente, die zusätzliche Schlagkraft geben. Es dürfte sie kaum stören, dass ihre Memes auch verletzend sind – vielleicht ist das ja ihre Intention.
Interagiert man mit einem Meme der Rad-Trads, indem man „Gefällt mir“ drückt oder kommentiert, wird man von den Algorithmen der großen Social-Media-Plattformen in ihrer Filterblase verortet und bekommt mehr ihrer Inhalte zu sehen. So entstehen viele Filterblasen. Eine Diskussion zwischen ihnen kommt aber nicht zustande, weil die Inhalte der jeweils anderen nicht angezeigt werden. Die Folge: steigende Polarisierung bei sinkendem Verständnis für einander.
Die Kirche macht das, was sie am besten kann: nichts
Fairerweise ist den kirchlichen Akteur*innen zu Gute halten, dass sie in dieser Situation ziemlich machtlos sind. Wie die meisten Internetphänomene entstehen Memes aus Graswurzelbewegungen. Ihre Beliebtheit und Sichtbarkeit lassen sich nicht durch Werbegelder steuern. Das Umgekehrte ist der Fall: Trends lassen sich an der Beliebtheit und der Reaktionen auf die Memes erkennen.
Zudem stellen sich die Fragen, wie sie innerkirchliche Provokationen und Anfeindungen begegnen soll und wie lange sie die Position, alle zu integrieren, aufrecht halten kann.
In der Politik sind Strateg*innen wie beispielsweise Lars Klingbeil nun dazu übergegangen, auf Satiriken der eigenen Position oder Person selbst satirisch zu antworten, häufig auch in Form von Memes. Ob eine solche Kultur des lockeren Umgangs mit Kritik auch in der Kirche funktioniert, ist zweifelhaft. Denn besäßen die Kirche oder einzelne Bischöfe genügend Selbstironie, auch mal über sich selbst zu lachen?
Das Spiel mit Memes ist im Kontext von Religionen immer auch ein Spiel mit der Blasphemie. Es wird genügend Leute geben, denen allein das Bildnis Jesu in einem Meme bitter aufstößt. Dabei sollten die Möglichkeiten der Evangelisierung nicht völlig außen vor gelassen werden. Am Ende steht wohl auch hier die Frage, inwiefern die Kirche, inwiefern wir bereit wären, über uns selbst zu lachen.
Memes haben, je nachdem, in welchen Filterblasen sie sich befinden, verschiedene Eigenheiten und „Inside-Jokes“. Diese Untertöne können Sie nur dann herausfinden, wenn Sie auch Zeit in diesen Filterblasen verbringen. Oft erschließt sich dadurch erst der ganze Witz eines Memes.
Leopold Kohlbrenner studiert an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen Theologie.
Bildquelle: Chad Jesus, zum ersten Mal von User u/akudhudd auf dem Subreddit r/197 hochgeladen.