Ayşe Almıla Akca berichtet vom ökologischen Sinn des Fastenmonats und entdeckt dabei noch wenig bekannte muslimische Inspirationen.
Für die christliche Fastenzeit, die bereits am 14. Februar begonnen hat, lädt eine kirchliche Initiative von 24 evangelischen und katholischen Partner:innen zum Klimafasten ein: „Mach dich gemeinsam mit uns und anderen auf den Weg. Lass uns achtsam mit Gottes Schöpfung umgehen und einen verantwortungsvollen, klimagerechten Lebensstil entdecken und fortführen“. Interessierte können sich Ideen für Energie-Bewusstsein (Woche 3) oder für neue Mobilität (Woche 4) für jede der sieben Fastenwochen einholen.
Kampange für ein grünes Fastenbrechen
Nur eine Woche zuvor hat die muslimische Initiative NourEnergy e.V. ihre Kampagne für eine nachhaltige Fastenpraxis im bevorstehenden Ramadan in der muslimischen Community vorgestellt. Für den voraussichtlich am 11. März 2024 beginnenden Fastenmonat Ramadan präsentiert sie im neuen Design die bereits seit 2019 erfolgreiche Kampagne Green Iftar. Iftar, das deutsch-arabische Wort für das abendliche Fastenbrechen, ist hierzulande kein Fremdwort mehr, laden doch muslimische, christliche und zivile Einrichtungen gleichermaßen seit Jahren zum muslimischen Fastenbrechen ein. Doch Iftare werden nicht selten als Festessen konzipiert, um das Fasten am Tag auszugleichen. Zwangsläufig führt das zu einem hohen Verbrauch an Lebensmitteln, Plastik-Einweggeschirr und auch zu Verschwendung – damit unter anderem auch zu Müllbergen zu Land, Plastikinseln im Ozean, gerodeten Regenwäldern und Überfischung. Aber müsste der Iftar als eine religiöse Praxis nicht mehr Nutzen als Schaden für die Schöpfung Gottes bringen? Kann der Geist des Fastens in Einklang mit Verschwendung und reichen Tafeln stehen? Aus dieser Herausforderung ist unter anderem die Kampagne Green Iftar entstanden. Sie steht für „die Kraft des Glaubens und die Verantwortung, die Schöpfung zu schützen sowie Frieden zwischen uns und der Schöpfung und uns und Allah zu stiften“, wie es NourEnergy in einem Social Media Posting vom 10. Februar 2024 mit der Community teilen.
Nachhaltigkeit als Grundstein muslimischer Praxis
In den zeitgenössischen islamischen Diskursen um Nachhaltigkeit spielt der Umgang mit der Schöpfung eine bedeutsame Rolle. Doch auf welche religiösen Ressourcen bauen Muslime und Musliminnen auf? Die muslimischen Inspirationen sind gesamtgesellschaftlich nicht sehr bekannt. Sie sind auch in den muslimischen Communities selbst noch wenig prominent. Den Aktivist:innen von NourEnergy e.V. kommt die Ehre zu, im deutschsprachigen Feld zu den Ersten zu gehören, die Nachhaltigkeit als Wert an sich zum Grundstein der muslimischen Praxis erhoben haben. In Anlehnung an die 2015 von der UN beschlossenen 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der Agenda 2030 haben sie neun Green Iftar goals für eine nachhaltige und spirituelle Zukunft zusammengestellt. Man kann sich beispielsweise inspirieren lassen von achtsam & sparsam (goal 3), mehrweg & verpackungsarm (goal 6) oder verstärkt vegetarisch (goal 2). Interessant ist goal 5, das halal & tayyib heißt. Das bedeutet: vom Erlaubten (halal) und Guten (tayyib) zu essen und zu trinken. Während in aktuellen islamischen Ernährungsdiskursen vorwiegend das Erlaubte bzw. Verbotene im Vordergrund steht, unterstreicht NourEnergy auch den Aspekt des Guten bei der Auswahl von Lebensmitteln. Ist beispielsweise ein in konventioneller Landwirtschaft unter Einsatz von Herbiziden und Pestiziden gewachsener Apfel überhaupt tayyib, d.h. gut? Kann Fleisch aus Massentierhaltung unter Einsatz von Antibiotika, engen Lebensverhältnissen, ohne Beachtung des Tierwohls überhaupt tayyib, also gut, sein?
Das bedeutet: vom Erlaubten (halal) und Guten (tayyib) zu essen und zu trinken?
In jeder Hinsicht gilt: Der Fastenmonat Ramadan ist die „ideale Gelegenheit sich mit dem eigenen Konsumverhalten und dem Umgang mit der Natur zu beschäftigen.“ Denn, durch einen bewussteren Umgang mit den Ressourcen der Welt „[kann] der Konsum sinnvoll und damit ökologisch, wirtschaftlich und spirituell verantwortungsvoll gestaltet werden.“ Goal 8 erzählen & vorleben weist dann auch in die Zukunft: „Die Geschichten eures Engagements für Nachhaltigkeit und Umweltschutz können ein nachhaltiges Bewusstsein schaffen.“
Unübersehbar ist, dass diesen Vorstellungen eine Konsumkritik zugrunde liegt, wie sie seit Jahrzehnten im und an den Globalen Norden adressiert wird. Konsumkritik wendet sich gegen die menschliche Gier als Triebkraft für nicht-nachhaltiges Wirtschaften. Mit der Wegwerfmentalität im Fokus ist Konsumkritik daher immer auch Kapitalismuskritik. Sie legt offen, dass unendliches Wachstum nicht möglich ist angesichts der begrenzten Ressourcen der Welt. Vielmehr leitet nicht das Streben nach Wohlstand und Harmonie das heutige Wirtschaften, sondern Gier, Egoismus und die bewusste Ausbeutung der Welt in jeglicher Hinsicht.
Die ökologische Krise als spirituelle Krise des Menschen
Die Kampagne Green Iftar verknüpft diese Kritikpunkte mit dem islamischen Ökodiskurs und bringt muslimische Ressourcen ins Spiel, wie sie bisher kaum formuliert wurden: Die eigene Spiritualität als handlungsimmanente Ressource wird in den Fokus gerückt und mit der Heilserwartung als Konsequenz gerechten Handelns verknüpft. Dieser Gedanke ist geleitet von der Idee, dass die ökologische Krise im Grunde eine spirituelle Krise des Menschen ist, wie sie der amerikanisch-iranische Philosoph Sayyed Hossein Nasr vor mehr als 50 Jahren formuliert hat. Je mehr sich der Mensch von der Verbundenheit mit der Schöpfung entfernt, umso mehr verkümmert die eigene Spiritualität. Dies führt dann zu einer tiefgreifenden Krise der Verbundenheit mit dem Schöpfer an sich. Eine wesentliche Gotteserfahrung in und mit der Schöpfung ist nicht mehr möglich, was zu Glaubenszweifel und sogar Glaubensablehnung führen kann. Daher ist die Steigerung der Ver-Bindung zu Gott als Schöpfer und des Verbunden-Seins mit dem Göttlichen ein heilsimmanenter Aspekt, den es wachzuhalten gilt.
Dieses spirituelle Gefüge des Menschen wird genährt durch gutes und gerechtes Tun, durch nutzvolles und gesundes Handeln. Nachhaltiges Handeln ist also nicht nur ein Mittel zur Bewahrung der Schöpfung. Es ist insbesondere auch ein Dienst an Gott. Oder in den Worten von Green Iftar „Umweltschutz als Gottesdienst“. So avanciert nachhaltiges Handeln zum Gottesgebot. Eine weitere heilsimmanente Komponente erhält nachhaltiges Handeln zudem durch den Glauben, dass der Mensch am Ende allen Seins Rechenschaft für sein Tun und Lassen abzulegen hat. Also muss sich der Mensch zum menschengemachten Klimawandel, d.h. zur Vernichtung der Schöpfung verhalten. Wir sehen, dass in diesen Vorstellungen die menschliche Verantwortung gegenüber eben jener Schöpfung besonders hervortritt. Nur so handelt der Mensch achtsam und gerecht. Nur so kommt der Mensch seiner Verantwortung als „Verwalter“ (khalifa) des „anvertrauten Gutes“ (amanah), nämlich der Schöpfung Gottes, nach, wie es in der koranischen Offenbarung heißt. Gott hat die Schöpfung dem Menschen anvertraut, so die klassische Lesart. Auf dass der Mensch sie vor Ausbeutung und Schaden beschützen soll, so die umweltethische Interpretation. Ohne dieses Ziel verfehlt der Mensch seine Verantwortung als religiöses Subjekt, so die Handlungsmaxime von NourEnergy.
Innehalten im Hamsterrad des Alltags
Mag die Kritik an dieser anthropozentrischen Perspektive mancher umweltbewusster Akteure, wie sie auch in den Vorstellungen von NourEnergy zum Ausdruck kommt, bis zu einem gewissen Grad auch berechtigt sein, weist diese spezifische Interpretation doch einen aktivierenden Charakter auf, wie er ansonsten von der gesinnungsethischen Aufforderungsansprache des Consumer choice à la verzichte auf Plastik, nutze erneuerbare Energien usw. nicht erreicht wird. So werden die Narrative der islamischen Umweltethik in Handlungsmaxime übersetzt und mit den übergeordneten Zielen der Scharia, v.a. mit dem Schutz des Lebens und dem Schutz der Nachkommenschaft, verbunden; und damit rückt das eigene Tun in religiöser Perspektive ins Zentrum.
Sowohl in den christlichen als auch in den muslimischen religiösen Traditionen kann der Bezug zur Schöpfung eine außergewöhnliche Rolle in der Ausübung religiöser Praktiken spielen. Gerade die Fastenzeiten haben sich für ein Innehalten im Hamsterrad des Alltags, für ein Besinnen auf die Wurzeln des Lebens etabliert. Die Kritik an der imperialen Lebensweise muss daher folgerichtig dazu führen, die eigenen Wünsche zu regulieren und das Selbst zu disziplinieren. Als großer Dschihad bezeichnet, hat Selbstdisziplinierung in der Geschichte der islamischen Ethik und Praxis einen festen Platz: Welche Begierden und Wünsche, welche Ziele und Aspirationen leiten mich? Welche Praktiken der Besinnung und Reflexion helfen mir, an mir zu arbeiten? Wie kann ich als Mensch, wie können wir als Community wachsen? Folgerichtig sind die Bestrebungen einer islamischen Umweltethik unlängst als Öko-Dschihad geframt worden.
Öko-Dschihad als islamische Umweltethik
Im Ramadan, so heißt es, öffnen sich „die Tore [..] für Reinigung und das innere Wachstum“. Nach einer verbreiteten Erzählung werden die Teufel als Innbegriff des Bösen und Schlechten im Ramadan gebunden und dem Guten werden Tür und Tor weit geöffnet. Es handelt sich um eine Erzählung, die deutlich machen soll, dass die Menschen Möglichkeiten suchen und finden werden, Gott näher zu kommen. Mit einer grünen Fastenpraxis mag es gelingen, den Blick anders kritisch auf sich selbst zu richten. So bietet der Ramadan den Raum und die Zeit, gerechtes Handeln als Gefäß der Spiritualität im und über den Ramadan hinaus zu etablieren: Nur eine der vielen ökologischen Ressourcen, die die islamische Religion bereitzustellen vermag.
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Bild von Anja auf Pixabay
Dr. Ayşe Almıla Akca ist Universitätsassistentin am Lehrstuhl für Islamische Religionspädagogik am Institut für islamische Theologie und Religionspädagogik der Universität Innsbruck. Ihre Forschungsschwerpunkte sind praktisch-theologische Fragen der Gemeindereligiosität, religiösen Praxis und Nachhaltigkeit sowie islamisches Wissen und religiöse Autorität.
Weiterführende Literatur:
Akca, Ayşe Almıla (2024), “What Ramadan is actually about” – A practical theological reflection on fasting practices in the light of the global ecological crisis and Muslims’ spirituality, in: Philipp Öhlmann, Marie-Luise Frost, Simangaliso Kumalo, Ignatius Swart & Birgit Weyel (eds.): Lived Religion and Lived Development in Contemporary Society. Essays in Honour of Wilhelm Gräb (im Erscheinen)
Binay, Sara/Khorchide, Mouhanad (2019) (ed.), Islamische Umwelttheologie. Ethik, Norm und Praxis, Freiburg im Breisgau u. a.: Herder.
Kowanda-Yassin, Ursula Fatima (2018), Öko-Dschihad. Der grüne Islam – Beginn einer globalen Umweltbewegung. Salzburg/Wien: Residenz-Verlag.
Nasr, Sayyed Hossein (1968), Man and Nature: The Spiritual Crisis of Modern Man. London: Mandala Unwin Paperbacks [Imprint 1990].