Die „Verkündigung der Geburt Jesu“ ist eine Prophetenberufung und Maria keine unterwürfige Magd. Dies zeigt Helga Kohler-Spiegel mit genauem Hinsehen auf den Textabschnitt im Lukasevangelium.
Mein eigener Zugang zu Maria war früher eher versperrt, bis ich die Bibelstelle am Beginn des Lukasevangeliums, diese Begegnung Marias mit dem Engel Gabriel für mich genauer entdeckte, die „Verkündigung der Geburt Jesu“, wie sie oft genannt wird. Der Textabschnitt in Lukas 1, 26-38 nimmt ein bekanntes Motiv aus der Antike auf, nämlich dass ein neuer Anfang ohne Zutun eines Mannes geschieht. Leben kommt ausschließlich von Gott, entscheidend aber ist, dass die bewusste Zustimmung Marias, ihr „Ja“ unverzichtbar ist.
Die bewusste Zustimmung Marias ist unverzichtbar.
Aber – und das macht diese Überlieferung in Lukas 1, 26-38 spannend: Die „Verkündigung der Geburt Jesu“ ist eine Prophetenberufung. Die Berufung von Propheten läuft in der jüdischen Bibel bzw. dem Ersten Testament der Christinnen und Christen nach einem vorgegebenen Muster ab: Der Prophet bzw. die Prophetin wird angesprochen, von Gott selbst oder von einem Engel (denn „Engel“ sind oft die „sichtbare Seite Gottes“, weil der Mensch Gott selbst nicht sehen kann). Der Mensch erschrickt und antwortet, Gott bzw. der Engel verkündet den Auftrag. Der Mensch widerspricht diesem Auftrag und zweifelt, dass es nicht möglich sei, diesen Auftrag Gottes zu erfüllen. Darauf folgt ein Zeichen Gottes bzw. des Engels zur Bestätigung, dass für Gott alles möglich sei. Und dann bestätigt der Prophet mit seinem Ja: „Ja, ich bin Knecht Gottes.“
Ich bin ein „Knecht Gottes“ wie alle Propheten und Prophetinnen vor mir,
Genau so auch bei Maria, am Ende der Szene sagt auch sie: „Ja, ich bin Knechtin Gottes“, ich bin ein „Knecht Gottes“ wie alle Propheten und Prophetinnen vor mir. Fatal war und ist, dass die weibliche Form der Bestätigung im Deutschen nicht „Knechtin Gottes“, sondern „Magd Gottes“ bzw. „Magd des Herrn“ heißt. Neben der Bedeutung des Wortes „Magd“ für eine unverheiratete (junge) Frau, meint „Magd“ eine weibliche Person, die zur Verrichtung grober Arbeiten im Haus und in der Landwirtschaft angestellt ist. Diese schweren Arbeiten waren mit sehr niedrigem sozialem Status und zahlreichen sozialen Einschränkungen verbunden.
Maria wird nicht als untergebene, unfreie „Magd eines Herrn“ vorgestellt, sondern als Prophetin.
Am Anfang des Lukasevangeliums wird Maria nicht als untergebene, unfreie „Magd eines Herrn“ vorgestellt, sondern als Prophetin. Nach der Anrede und dem Erschrecken ist Marias Widerrede prägnant und klar: „Es geht nicht“, lässt sie den Engel wissen. Immer wieder finden wir den Einspruch der Erwählten, immer wieder folgt auf das Erschrecken der Begegnung mit „G’tt“ die Gegenrede. Mose sagt: „Ich kann nicht reden“, Jeremia sagt: „Ich bin zu jung.“ Mir sind eigene Einreden eingefallen: Ich kann das nicht, das geht nicht, das sollen Berufenere machen, das könnte mir schaden, ich will mir nicht wieder die Finger verbrennen… Bis heute gibt es viele – meist begründete – Gegenargumente, sich einzulassen, es gibt viele Argumente, sich möglichen Herausforderungen im eigenen Leben nicht zu stellen, das eigene „Lebensthema“ nicht ernst zu nehmen.
Sie ist zugleich die Prophetin des Magnifikat.
Maria ermöglicht mit ihrem „Ja“ einen Neubeginn: Das junge Mädchen ist die Prophetin, die „Ja“ zu diesem Ruf sagt. Sie ist zugleich die Prophetin, die dann im Magnifikat (LK 1,46-55) vom Eingreifen Gottes und von der Veränderung dieser Welt zum Guten singt. Und dieses „Eingreifen Gottes“ geschieht ganz unspektakulär: Indem Maria ihr Kind zur Welt bringt, ein neues Baby in diese gewalttätige und ungerechte und doch so schöne Welt. Mit ihrem Baby, mit ihrem Erstgeborenen auf dem Arm hofft und kämpft sie für eine andere, eine bessere Welt. Weil sie – so das Lukasevangelium – eine Prophetin ist…
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Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Human- und Bildungswissenschaften an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg und Redakteurin von feinschwarz.net.
Bild: Bas-Relief am Dom von Orvieto /
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