Theologiestudierende werden mit den «besten Zutaten» ausgestattet. Doch das «Kochen» wird ihnen nicht beigebracht. Martin Bergers weist auf eine Lücke in der Ausbildung pastoraler Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hin: Spiritualität und Gebet.
Das Gebet verbindet mit Gott. Es ist «Markenzeichen» unserer Kirche sowie Quelle von Kraft und Inspriation. Aktuelle Herausforderungen wie der Weg zur Kirchenerneuerung in der Schweiz und der synodale Weg in Deutschland lassen sich nur aus der Quelle des Gebetes bewältigen. Haben wir aber auch das nötige Rüstzeug dafür mitbekommen? Priesteramtskandidaten gehen durch eine Art «Gebetsschule». Wo lernen aber wir Laien-Seelsorgerinnen und -Seelsorgern das entsprechende Know-how, damit das Gebet im pastoralen Dienst und für uns selbst fruchtbar werden kann?
Die Kunst der Zubereitung, wie wir mit den Menschen konkret beten, wird nicht gelehrt.
Die Situation meiner kirchlichen Ausbildung möchte ich mit einem Vergleich darstellen: Bitte stellen Sie sich vor, Sie gehen in ein altehrwürdiges Restaurant. Das schöne Ambiente weckt Ihre Vorfreude auf ein feines Essen. Als Sie die Spezialität des Hauses probieren, sind Sie jedoch enttäuscht: Nicht schlecht, aber es schmeckt auch nicht wirklich gut. Das Ambiente hat grössere Erwartungen geweckt. Sie geben dem Kellner Ihren ehrlichen Eindruck wieder, und dieser antwortet: «Wissen Sie, wir arbeiten mit besten Zutaten, aber Köche bilden wir nicht aus!»
So erlebe ich unsere Ausbildung als Laien-Seelsorgerinnen und -Seelsorger im Bereich der Spiritualität. Mit dem Studium der Exegese, der Kirchengeschichte, Dogmatik etc. verfügen wir über beste Zutaten. Aber dort, wo diese Zutaten ihren Sinn erhalten, nämlich in der Mahlzeit für die Restaurantbesucher, bleibt eine Lücke: Die Kunst der Zubereitung, wie wir mit den Menschen konkret beten, wird nicht gelehrt. Die Folgen sind fatal: Wer geht wieder in ein Restaurant, wenn ihm das Essen nicht geschmeckt hat?
Das «altehrwürdige Restaurant» der Kirche hat eigentlich viel zu bieten.
Das «altehrwürdige Restaurant» der Kirche hat eigentlich viel zu bieten. In meiner Ausbildung habe ich jedoch nichts gehört vom Atemgebet, vom Körpergebet, von der Lectio Divina, der ignatianischen Bibelmeditation, der «Rumination» aus der klösterlichen Tradition, auch nicht von klassisch katholischen Gebeten wie dem Stundengebet, dem Rosenkranz, der eucharistischen Anbetung, auch nicht von östlichen oder östlich inspirierten Meditationsformen wie der Zen-Meditation, Yoga oder Shibashi.
Fragen des vertieften individuellen Betens haben wir uns gar nicht erst gestellt: Wie komme ich zur Ruhe? Wie bringe ich meine Lebenssituation ins Gebet ein? Am Beispiel der ignatianischen Bibelmeditation: Wie finde ich einen Zugang, mir die biblischen Texte imaginativ zu erschliessen? Welche Formen von Wiederholung sind sinnvoll und wie häufig? Bleibe ich mit solchen Fragen alleine, überfordern sie mich.
Ich bin katholischer Universitätsseelsorger in Freiburg i. Ue. und habe vorher als Pfarreiseelsorger in Schweizer Pfarreien gearbeitet. Neben drei Praktika in der Studienbegleitung war meine Ausbildung während des Studiums rein wissenschaftlich geprägt. Pastorale Praxis kam erst in der Berufseinführung dazu. Auf Elemente, wie oben beschrieben, musste ich jedoch auch dort fast gänzlich verzichten.
«Theologie der Spiritualität» – ein Aha-Effekt! Den hätte ich mir schon eher gewünscht.
Nach langer Suche habe erst im Alter von 47 Jahren mit der ignatianischen Spiritualität ein Gebetsleben gefunden, das mich erfüllt UND mit dem ich vertieft selbständig beten kann. Weitere zwei Jahre später erkannte ich an einem Wochenende zur «Theologie der Spiritualität» Zusammenhänge, um verschiedene spirituelle Formen in spirituelle Strömungen einordnen zu können. Das war ein erschließender Aha-Effekt! Den hätte ich mir schon eher gewünscht.
Zur Zeit der Volkskirche hatten die Gläubigen noch selbstverständlich ein individuelles Gebetsleben mit dem Tischgebet, dem Rosenkranz und Angelusgebet, dazu natürlich die Teilnahme an der Sonntagsmesse. Seitdem wurde der Fächerkanon an den theologischen Fakultäten nicht grossartig überarbeitet. Die Chance wurde verpasst, auf die veränderten Bedürfnisse der Menschen einzugehen.
Ich bin dankbar, dass heute – im Umfang je nach Bistum unterschiedlich – spirituelle Elemente in der Studienbegleitung für Laien-Seelsorgerinnen und -Seelsorger enthalten sind. Innerhalb der Universitäten wird jedoch nur selten «Theologie der Spiritualität» gelehrt.
Veritatis Gaudium: Spiritualität als Pflichtfach.
Das könnte sich jedoch ändern. So laufen aktuell verschiedene Prozesse zur Umgestaltung der theologischen Studien. Mit der Konstitution «Veritatis Gaudium» (2017) gibt Papst Franziskus bspw. Richtlinien für die kirchlichen Universitäten und Fakultäten vor. Verbundenes Ziel ist es, die Kirche neu auszurichten als eine missionarische Kirche im Aufbruch. Franziskus ordnet der Erneuerung des kirchlichen Studiensystems eine strategische Rolle zu (vgl. VG 3).
Als erstes von vier Grundkriterien nennt er dafür eine geistliche, intellektuelle und existentielle Einführung in die Kontemplation (vgl. VG 4). Die Ausführungsbestimmungen nennen daher «Moraltheologie und Spiritualität» als Pflichtfach. (vgl. VG, Ausführungsbestimmungen Art. 55)
Wenn ich hier über die Lücken in der spirituellen Ausbildung nachdenke, betrifft es drei separate Bereiche mit jeweils unterschiedlichen Charismen: Die wissenschaftliche Ausbildung an der Universität, die Studienbegleitung – oft im Bewerberkreis durchgeführt – sowie die anschliessende Berufseinführung.
Vermittlung von Kompetenzen, damit in den Seelsorgerinnen und Seelsorger selbst die «Quelle des Gebetes» fliessen kann.
Im Dienst an den (suchenden) Menschen wünsche ich mir für die Ausbildung von Laien-Seelsorgerinnen und -Seelsorgern die Vermittlung von Kompetenzen:
- damit in den Seelsorgerinnen und Seelsorger selbst die «Quelle des Gebetes» fliessen kann, so dass Leben und Arbeit verstärkt aus der Freundschaft mit Gott gestaltet werden kann.
- damit Seelsorgerinnen und Seelsorger im Dienst an den Menschen pastoral relevante und christlich verantwortbare spirituelle Formen durchführen und vermitteln können, welche den (suchenden) Menschen einen geistlichen Nutzen bringen – und Ressourcen bieten für aktuelle Herausforderungen.
Diese Ziele betreffen die oben genannten drei separaten Bereiche der Ausbildung. In der wissenschaftlichen Ausbildung wäre dabei das nötige Fachwissen für ein breites spirituelles Spektrum zu vermitteln. Zusammenhänge wären aufzuzeigen, so dass der jeweilige Sinn erschlossen werden kann. Grundsatzfragen können reflektiert werden: Ist es beispielsweise sinnvoll, spirituelle Formen anderer Weltreligionen christlich zu adaptieren und auch ihren Schatz zu erschliessen? Wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?
In der Studienbegleitung sowie später in der Berufseinführung würde dann stärker in die Ausübung pastoral relevanter spiritueller Formen eingeführt werden. Die Lernenden könnten hier für ihre persönliche Spiritualität vertiefen, was sie besonders anspricht.
Beten kann man im strengen Sinne nicht lernen, jedoch das Know-how zum Gebet.
Es ist zu beachten, dass das Beten ein Beziehungsgeschehen zwischen Mensch und Gott darstellt. Man kann es im strengen Sinne nicht lernen. Lernen kann man jedoch das Know-how zum Gebet. Auf diese Weise kann der grosse spirituelle Schatz der christlichen Tradition «gehoben» werden.
Mit einer spirituellen Ausbildung müssen nicht überall «Spitzenköche» ausgebildet werden. Es genügt, wenn sich diese in den Orden und spirituellen Zentren finden. Jedoch auch in der Pfarrei sollte das «Essen» schmecken und geistlich nähren.
Gerade als Universitätsseelsorger möchte ich nicht, dass Theologie-Studierende überfordert werden. Eine spirituelle Ausbildung kann daher nicht einfach addiert werden. Die aktuellen Veränderungen in der wissenschaftlichen Ausbildung bieten die Chance, die Präferenzen zu überdenken und die Studienordnung umzugestalten. Gleiches gilt für die Studienbegleitung und anschliessende Berufseinführung. Damit im «Restaurant Kirche» das Entscheidende vermittelt wird: Das Kochen selbst!
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Martin Bergers ist katholischer Universitätsseelsorger in Freiburg i. Ue. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit bilden Angebote aus der ignatianischen Spiritualität.
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