Studierende und Dozierende der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen teilen interdisziplinäre Perspektiven auf den menschlichen Körper.
Mit seinem körperlichen Sein schreiben wir dem Menschen ein spezifisches Sein zu, zu dem dieser sich zu verhalten hat. Der Körper ist damit sich eigen und gleichzeitig auch nicht.[1] In seinem Alltag kann sich dieses Sich-Verhalten auf einem Spektrum von Gehorsam gegenüber äußeren Erwartungen bis hin zum aktiven Widerstand bewegen, das sich an der Logik eines körperlichen Eigen-Sinns, einer individuellen Sinnproduktion in der geschlechtlichen Verhältnisbestimmung zur Umgebung, orientiert. Kunst, Literatur oder Mode zeigen uns – gegenwärtig wie geschichtlich – wie aufregend und gleichzeitig vulnerabel sich diese Aushandlung äußerer und innerer Sinnzuschreibung auf den menschlichen Körper hin gestalten kann.
Körper: Spektrum von Gehorsam gegenüber äußeren Erwartungen bis zu aktivem Widerstand
In einem Kolloquium zum Thema „Der Körper in interdisziplinärer Perspektive“ hat sich eine Gruppe von sieben Studierenden der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen mit wechselnden Dozierenden mit dem menschlichen Körper in seinen mannigfaltigen Facetten beschäftigt. In Form eines Body-Scans – eines Wanderns durch den menschlichen Körper und seine Körperteile – möchten wir unsere Ergebnisse teilen.
Ich betrachte einen nicht-weißen Körper. Doch mein (weißer) Blick ist nicht einfach eine „neutrale“ Betrachtung. Mein Blick ist die Norm, welcher sich bodies of colour ausgesetzt sehen: the White Gaze. Der Begriff White Gaze bezeichnet den über Jahrhunderte durch rassistische Ideologien gewachsenen Referenzrahmen, innerhalb dessen nicht-weiße Körper bewertet, essentialisiert, sexualisiert werden.
White Gaze verlernen: weniger bewerten, essentialisieren, sexualisieren
Denke ich über Körperlichkeit nach, muss ich die Kämpfe derjenigen mitdenken, die ihre Körper vom White Gaze befreien wollen. Ich muss verstehen, dass mein Blick auf diese Körper – schon der Blick auf dieses Foto – eine machtvolle Position innerhalb eines Systems ist, welches Körper hierarchisiert und durch konstruierte Normen bevorzugt oder benachteiligt. Mein Blick kann für nicht-weiße Körper eine Erwartungshaltung implizieren, wie sie sich der weißen Norm entsprechend bewegen, kleiden, berühren sollen. Allein der Blick auf einen Körper über den Bildschirm vermag es, unterschiedliche Dimensionen dieser Gewaltgeschichte, die sich an Körpern austrägt, aufzuzeigen.
Wie blicken Theologien auf diesen Körper? Sind sie Teil des White Gaze und laden ihn zusätzlich toxisch-religiös auf? Solidarisieren sie sich mit dem Befreiungskampf von rassistischer Gewalt an nicht-weißen Körpern? Wo verorte ich meine theologische Perspektive?
„Es ist Gottes Körper, der mit uns entzweibricht.“[2]
Ein Gott, der als Körper – wie wir selbst auch alle einen Körper haben – auf dieser Erde gelebt hat und als Mensch eingestanden ist für andere Menschen, für deren Würde und für Gerechtigkeit in dieser Welt, wird durch sein Menschsein greifbar. Der Glaube daran, in seinem Leiden bis heute durch die Eucharistie miteingebunden sein zu können, lässt Gottes Präsenz nahbar werden.
Aber welche Körper sind es, die damit angesprochen werden? Die in theologischen Anthropologien mitgedacht und reproduziert werden? Werden darin Körper angesprochen, die nicht dem unterdrückenden Mythos eines vollkommenen Körpers entsprechen? Eine theologische Anthropologie, die Körperlichkeit und körperliche Vielfalt sieht und wertschätzt?
Eine theologische Anthropologie, die körperliche Vielfalt wertschätzt?
Ein Wandel weg von der Norm des „Gesundseins“ und hin zu Würdigung der Erfahrung der Behinderung als gottebenbürtig ist nötig. Es braucht die Perspektive, die Gott nicht (nur) ungreifbar souverän und makellos denkt, die abweicht von dem Bild des weißen, gesunden, heterosexuellen Mannes. Ein Blick, der Gott auch verletzlich denkt und so besonders auch Menschen anspricht, die von der Gesellschaft behindert werden. Es braucht eine Theologie, die diskriminierte Körper nicht übersieht, sondern für Vielfalt und Gerechtigkeit eintritt.
Die Tür geht auf und in den Bus steigt eine, ein … Mensch. Warum irritiert es mich, dass ich das Geschlecht meines Gegenübers nicht einordnen kann? Meine Augen suchen. Ich nehme wahr, kann nicht anders. Und ich scheitere. Woran? Am Körper des oder der anderen? An den normativen Grenzen meiner erlernten, gesellschaftlich geschulten Sehgewohnheiten? Am inkarnierten Zwang, alles einordnen zu müssen? Körper ist nicht trennscharf, Körper ist fluide, entzieht sich, entgleitet der Suchbewegung. Und sucht selbst. Körper kann nicht ohne die anderen. Körper ist Begegnung. Ich kann nicht aus meiner Haut, auch wenn ich das Spiegelbild des Gegenübers haschen will. Es ist wie in einen See zu steigen, ohne nass werden zu wollen. Es ist ein Prozess der Gegenseitigkeit, der auch auf Wahrnehmung und Anerkennung zielt. Die Anerkennung eines Körpers, der ist und sein darf, wie er ist. Das Sehen der Notwendigkeit einer Unbestimmtheit. You can’t be what you can’t see, sagt Sheryl Sandberg. Repräsentanz schafft Möglichkeiten. Doch Sehen allein reicht nicht. Sehen und verstehen, gesehen und verstanden werden, Körperakzeptanz und Teilhabe in Selbstverständlichkeit. Natürlich. Was ist Natur? Ein Wort? Ein Konstrukt? Ein Körper? Blicke machen Leute, Worte schaffen Realitäten. Du bist Außen und Innen, ich bin mehr als meine Haut. Die Tür geht auf und ich sehe dich. Und siehe, du bist gut.
Körper ist fluide, entzieht sich, entgleitet der Suchbewegung
Ich scanne den Körper einmal von oben bis unten. Unter meinem forschenden Blick zerfällt er in seine Teile, und gleichzeitig in viele Körper. In all den Aneignungen des eigenen Leibes, in Gehorsam, Widerstand, Aushandlung und Sinnzuschreibung, gibt es nicht den einen Körper. Während mein Blick über den viel-einen Körper gleitet, kann ich den Leib hinter dem Objekt meines Suchens erahnen: Das Ich, das mir von außen nie völlig zugänglich ist, das nicht einmal sich selbst völlig zugänglich ist. Einer dieser vielen Leiber gehört mir. Er ist mir so selbstverständlich, er ist mir alles – aber sobald ich den Blick auf meine Umwelt richte, wird klar, wie besonders er ist. Ich bin dieser einzelne Leib, er schenkt mir meine einzigartige und unveräußerbar besondere Beziehung mit der Welt – gleichzeitig mächtig und verletzlich. Wie wundervoll anders und doch mir gleichend die anderen Leiber sind.
Ich bin dieser einzelne Leib, gleichzeitig mächtig und verletzlich
Immer wenn ich denke, einen anderen Leib greifen und verstehen zu können, entzieht er sich mir doch wieder. Mir wird die Bedeutung meines Körperseins und meiner Blicke auf andere Körper bewusst: Ich möchte Blicke auf mir spüren, die nicht ausgrenzen, sondern wertschätzen und ermutigen. Was bedeutet das für meine Blicke auf andere? Was bedeutet das für meine Theologie?
____________
Text: Elisabeth Böckler, Berenike Jochim-Buhl, Franziska Moosmann, Sophie Zender, Katharina Zimmermann
Bilder: Beitragsbild und die ersten beiden Bilder: Pexels; letztes Bild: Matthias Baus https://www.staatsoper-stuttgart.de/spielplan/a-z/rusalka/.
[1] vgl. Butler, Judith, Gefährdetes Leben. Politische Essays, Frankfurt a. M. 62010, S. 43.
[2] Bieler, Andrea / Schottroff, Luise, Das Abendmahl: Essen, um zu leben, Gütersloh 2007, S. 181.