Bestehen wir in der „größten Krise seit der Nachkriegszeit“? Judith Müller reflektiert die eucharistische Tradition unter dem Eindruck von Corona und denkt Kommunion als Gegenmodell zu Konsum.
Abschiedlichkeit lag in der Luft in diesen ersten Märztagen. Eine Ahnung, die sich täglich verdichtete: Dass sehr bald vieles, vielleicht alles in Frage stehen würde von der Lebensart und dem Lebensgefühl, die wir gewohnt waren. Und die bange Frage: Werden wir bestehen in dieser „größten Krise seit der Nachkriegszeit“. Krisen bringen das Beste und das Schlechteste im Menschen zum Vorschein. Werden wir uns selbst danach noch in die Augen sehen können?
Ein Mahl, dem Abschied und Übergang eingeschrieben sind.
„Es fand ein Mahl statt … (Joh 13,2). Dem Mahl, im dem die Eucharistietradition gründet, ist der Charakter von Abschied und Übergang eingeschrieben: Letztes Abendmahl. Auch sein jüdischer Quellstrom, das Paschamahl ist ein Mahl auf der Schwelle. Stärkung für den Übergang. Es ist ein Mahl mit der Bitte auf den Lippen: Dass wir den Übergang bestehn …“ (Brevier, Hymnus in der Fastenzeit).
Während der Wochen des Übergangs fanden merkwürdige „Mähler“ statt. Im digitalen Raum konnte man Priestern und Bischöfen dabei zusehen, wie sie hygienesicher das Brot aßen – einsam „kommunizierten“. Vielen konnte man ansehen, dass sie litten. Es fehlte ihnen die real anwesende, mitfeiernde Gemeinde. Manchen schien eher das fromme Publikum zu fehlen, das die eigene Bedeutsamkeit bestätigt. Und manchen fehlte die Gemeinde gar nicht. Sie konnten gut „ohne“. Allein zu Haus. Allein in der Kirche. Manchmal mit ein paar Auserwählten. Einer predigte ungestreamt (!), aber in voller Überlänge allein für den zu seinem persönlichen Pläsier dienstverpflichteten Organisten.
… zurechtsehen, zurechthören, zurechtspüren …
All das konnte gut begründet werden. Der theologische Instrumentenkoffer ist für alle Fälle gerüstet und sorgt dafür, dass selbst für augenscheinlich Widersinniges ein tieferer Sinn angenommen werden kann. Dieser erschließt sich freilich nur dem, der darin Übung hat und bereit ist, das, was da zu sehen, zu hören und zu spüren ist, zurechtzusehen, zurechtzuhören und zurechtzuspüren. „Was dem Auge sich entziehet … sieht der feste Glaube ein“?
„Das hochheilige Opfer des Altares wird mit der Teilnahme am göttlichen Mahl beschlossen. Wie alle wissen, gehört aber nur die Kommunion des Priesters zur Vollständigkeit des Meßopfers; es ist hingegen nicht erfordert, daß auch das Volk zum Tische des Herrn gehe, wiewohl das höchst wünschenswert ist.“ (Pius XII., Enzyklika Mediator Dei, 1947, Anton Rohrbasser, Heilslehre der Kirche, Nr. 301) Der Priester hat kommuniziert. Das Entscheidende ist getan. Mit diesem Konzept geht die „Messe ohne Volk“.
Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens.
Die Gewährleistung von Eucharistiefeiern scheint aller Anstrengungen wert zu sein. Viel Energie fließt jetzt in die erforderlichen Hygienemaßnahmen. Kompromisse in der Feiergestalt werden in Kauf genommen. Die Eucharistie ist schließlich „Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens“, weil sie „das Heilsgut der Kirche in seiner ganzen Fülle“ enthält (KKK 1324). Ein bischöflicher Appell mahnt, dass andere Gottesdienstformen wie Wort-Gottes-Feiern, Andachten oder das Stundengebet, die in der Corona-Zeit hervorgehoben worden seien, nur als Vorbereitung für den Höhepunkt der Eucharistie verstanden werden dürften.
Haltet Messen ab.
Wenn nur wieder Messe ist! Ist es damit getan? Geht es um einen Akt der Selbstbehauptung der Kirche angesichts des beklagten Relevanzverlustes? Meint „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ wirklich „Haltet Messen ab“? Eine Kirche als Selbst-Versorgerin der eigenen frommen Bedürfnisse geht der Menschheit nicht ab. Das ist die Infektionsgefahr nicht wert.
Die pandemie-bedingte Unterbrechung hat die Lebenslügen unserer Lebensart, unseres Wirtschaftens ans grelle Licht gebracht. „Der Verbraucher will das so.“ So lautete stets die Rechtfertigung für die auch „vor Corona“ bekannten Missstände im System. Der Verbraucher und die Verbraucherin wollten es billig, praktisch, sorglos, rücksichtslos. Und jetzt: „Konsumiere bitte wieder!“ so lautet der Appell für einen raschen Weg aus der Krise. Wollen wir wirklich Verbraucher*innen bleiben? Dazu verdammt, die Ressourcen aufzubrauchen, von denen wir leben? Hauptsache billig – koste es was es wolle.
Kommunion – das wäre das Gegenmodell zum Konsum.
Das Leben und Überleben der Menschheit steht und fällt damit, dass sie sich als kommunizierende Menschheit begreift. Wir haben die Wahl, was wir sein wollen: Nur Verbraucher*innen, Konsumierende oder Kommunizierende. Eine Kirche, die sich als Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit begreift, muss selbst wirklich kommunizieren, Vereinigung vorleben und mitleben, sie nicht nur „zelebrieren“. Die (Wieder-)Herstellung von Gottesdienstordnungen, die Sorge für den eigenen Bedarf allein ist nicht Höhepunkt kirchlichen Handelns.
Eucharistie leben, das heißt, das Leben des/r anderen nicht geringer achten als das eigene. Die eigene Bedürftigkeit und Verletzlichkeit nicht wichtiger nehmen als die Bedürftigkeit und Verletzlichkeit der anderen. Nehmen, nicht ohne zu geben, und im Geben immer auch Empfangende sein. Ja, auch Eucharistie feiern – aber so, dass sie bewirken kann, was sie bezeichnet: sinnenfällig, herzhaft, bewegend. Und dabei hilft, uns hineinzuverwandeln in kommunizierende Menschen.
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Text: Dr. Judith Müller, Theologin, München.
Bild: Birgit Hoyer