Am 9. Februar endete der erste Teil der europäischen Kontinentalsynode in Prag. Ein Bericht von Regina Polak, österreichische Delegierte in Prag.
Ausgehend vom „Arbeitsdokument zur kontinentalen Phase „Mach den Raum Deines Zeltes weit (Jes 54,2)“ bestand das Ziel der Prager Versammlung darin, Resonanzen auf die weltkirchliche erste Erhebungsphase zu sammeln, Spannungen zu benennen und aus der Sicht der Kirche Europas eine Prioritätenliste jener Themen zu erstellen, die im Rahmen der kommenden Bischofssynode in Rom bearbeitet werden sollen. Vier Tage lang diskutierten Delegationen von 39 Bischofskonferenzen sowie 40 von der CCEE eingeladene Gäste – von der Fokolarbewegung über Opus Dei bis zu Iustitia et Pax – über die Zukunft der Kirche in Europa. Zugeschaltet waren ferner von jedem Land bis zu zehn Online-Delegierte, die sich in 12 Onlinegruppen austauschten und ihre Ergebnisse ebenfalls einbrachten. Die Präsenzdelegierten arbeiteten dabei in Kleingruppen mit der synodalen Methode der geistlichen Anhörkreise.
Seit dem 10. Februar liegt eine Abschlusserklärung öffentlich vor, die teilnehmenden Bischöfe arbeiten bis zum 12. Februar an einer Stellungnahme, und das internationale Redaktionsteam stellt in den nächsten Wochen das ca. 20-seitige Abschlusspapier fertig, dessen Text bei der Synode verlesen wurde, die von den Teilnehmer*innen eingebrachten Themen dokumentiert und vom Generalrelator der Synode, Kardinal Jean-Claude Hollerich SJ, in Rom eingebracht werden wird. Entscheidungen waren von Anfang an nicht vorgesehen.
Schmerzhafte Umkehr einer kulturell und spirituell vielfältigen Kirche
An der Komplexität dieses Prozesses lässt sich erkennen, dass hier eine neue, synodale Kultur etabliert werden soll, die ein Grundprinzip kirchlicher Gemeinschaft in die Tat umsetzt, das bereits vom Zweiten Vatikanischen Konzil formuliert wurde. Die damit verbundene Kultur offener, freier und kontroverser Rede ist historisch neuartig, für viele aber auch ungewohnt und irritierend – insbesondere für jene Bischöfe und Laien, die einem traditionell-hierarchischen Kirchenbild verpflichtet sind. Dementsprechend beobachtete ich in diesen Tagen auch so manche Unsicherheit, Ratlosigkeit, Kritik und mehr oder weniger offenen Widerstand. Dass es möglich und sogar erwartet wird, kontroverse Überzeugungen und Spannungen im öffentlichen Raum zu artikulieren und nebeneinander stehen zu lassen, war während der vergangenen Pontifikate ja nicht unbedingt erwünscht und mitunter sogar riskant. Dementsprechend war die Atmosphäre mitunter von Vorsicht und der Sorge geprägt, dieser Prozess könnte zu offenen Konflikten führen oder die Einheit der Kirche gefährden.
Zu dieser Einheit und der Bereitschaft, den synodalen Weg gemeinsam entschieden weiterzugehen, bekannten sich alle. Gleichwohl führten heterogene Erwartungen bei einigen Delegationen auch zu Unzufriedenheiten und Enttäuschung: Erhofften sich z.B. (nicht nur) die deutsche und schweizerische Kirche weitaus konkretere Ergebnisse bezüglich der strittigen Fragen, befürchtete (nicht nur) die ungarische Kirche eine Verwässerung der katholischen Identität. All dies ist schmerzhaft und erzeugt Spannungen, die nun ausgehalten und weiter bearbeitet werden wollen. Es sind die Schmerzen einer Kirche, die gemeinsam umkehren möchte.
Dennoch ist in Prag etwas wirklich Neues und Wegweisendes geschehen. Denn die spirituelle und kulturelle Vielfalt der europäischen Kirche wie auch die große Liebe zur und das leidenschaftliche Engagement der Beteiligten für die Kirche sind beeindruckend und trotz aller Spannungen eine große Ressource bei der Suche nach Lösungen für die vielen Herausforderungen, vor denen die Kirche steht. Wichtig wäre es nun, diese synodalen Erfahrungen in die Ortskirchen zu transportieren und Synodalität ortskirchlich zu implementieren. Die folgenden Überlegungen sind eine persönliche Reflexion aus jenen Perspektiven, die ich in Prag einzunehmen und in Spannung zu halten versucht habe – gleichsam die „Hüte“, mit denen ich in Prag teilgenommen habe. Für ein pastoraltheologisches Urteil ist es zu früh.
Der „Österreich-Hut“
Meine primäre Rolle war die der Repräsentantin der Ergebnisse der österreichischen Nationalsynthese und der „österreichischen Teilwahrheit“. Aus dieser Perspektive sind die Inhalte, die sich im Schlussbericht finden werden, durchaus zufriedenstellend. Nahezu alle österreichischen Themen liegen mit ihren Spannungen auch im Endbericht offen am Tisch: u.a. die Etablierung der Synodalität auf allen kirchlichen Ebenen, die Frage nach Ämtern und Diensten sowie die Rolle der Frauen in der Kirche; die Aufgabe der Evangelisierung und Mission und die Aufmerksamkeit für die Zeichen der Zeit.
Ich hoffe, dass das Endpapier die Spannungen auch inhaltlich konkret benennt, damit diese weiter bearbeitet werden können. So sind sich z.B. alle einig, dass die Kirche inklusiv und für alle da sein soll. Aber während dies für die einen um der Glaubwürdigkeit der Kirche willen zur Änderung der kirchlichen Lehre führen sollte, sehen andere darin eine Gefährdung ebendieser (z.B. in Bezug auf den Umgang mit gleichgeschlechtlichen Paaren und der LGBTIQ+-community). Ähnliche Polarisierungen gab es bei der Frage nach der Rolle der Frau in der Kirche (Teilhabe am Ordo vs. Stärkung der Rolle der Frau als Mutter) oder bei der Gewichtung der Bedeutung des sexuellen Missbrauchs und seiner Ursachen. Angesichts der Spannungen, die mich teilweise ratlos und ohnmächtig zurückließen, bin ich über das Endpapier durchaus erstaunt und zufrieden. Mehr wäre aus meiner Sicht nicht möglich gewesen.
Zu diesem „Mehr“ gehört die „Unterscheidung“ der Ergebnisse, die nicht stattgefunden hat und für die nach wie vor keine Kriterien und Prozessanleitungen vorliegen. Offen geblieben ist auch, wie es am Ende des Synodalen Prozesses zu Entscheidungen der strittigen Fragen kommt und wer daran beteiligt wird. Sollte dies nicht oder intransparent geschehen, werden sich (nicht nur) in Österreich viele Gläubige zurückziehen, verärgert und enttäuscht sein und die Dynamik des Kirchenaustritts ungebrochen weitergehen. Die Bischofssynode wird sich diesbezüglich wohl überlegen müssen, welchen Flügel der Kirche sie eher zu verlieren bereit ist. Denn trotz redlichen Bemühens um die Einheit der Kirche und das Beenden der Logik von Gewinnern und Verlierern wird es aufgrund der Kürze der Zeit, die es nun zum argumentativen Aushandeln der Divergenzen benötigte, eine substanzielle Kirchenreform ohne Enttäuschte nicht geben.
Als österreichisches Team wollten wir uns überdies den anderen Ortskirchen und der Universalkirche gegenüber „andockfähig“ und „ergänzungsbedürftig“ (so Erzbischof Franz Lackner) verhalten, den österreichischen Teilbeitrag einbringen und erwarteten dies zugleich von anderen Ortskirchen und Rom. Dieser Ort „zwischen allen Stühlen“ ist freilich ein Spagat und kann einem leicht als mangelnde Solidarität, Profillosigkeit oder Naivität ausgelegt werden.
Der „Hut“ der Prozessbeobachterin
Infolge des historischen Erbes und der kulturellen Unterschiede – vor allem zwischen Ost und West – waren die Spannungen in der Kirche Europas erwartbar. Die Ungleichzeitigkeit der Kirchen legt damit eine gewisse Dezentralisierung nahe. Ebenso erwartbar sind in Institutionen Spannungen und Widerstände bei der Etablierung neuer Methoden der Kommunikation und Entscheidung. So gesehen wurde in Prag ein positiver Weg beschritten, zu dem es auch ein klares Bekenntnis gibt. Gleichwohl wäre hinkünftig einiges zu verbessern. So könnte man z.B. eine Sitzordnung vorsehen, die die synodale Beratung auch im Plenum befördert, wie dies bei der bei Synode in Ozeanien geschehen ist, die auch mit Tischgruppen arbeitete. Auch die Möglichkeiten und Grenzen der geistlichen Anhörkreise sollten reflektiert werden. Sie sollten von geistlich erfahrenen Personen begleitet werden und benötigen ein entsprechendes Umfeld.
Die Vermischung mit kirchenpolitischen Prozessen, die eine Synode immer auch ist und sich z.B. in der Suche und in Absprachen mit Gleichgesinnten zeigte, schwächt den geistlichen Prozess und verhindert, dass man sich tatsächlich ergebnisoffen auf Andersdenkende und den Prozess einlassen und voneinander lernen kann. Überdies braucht es Zeiträume, in denen man sich über das Gehörte auch diskursiv und argumentativ verständigen kann. Dazu sollten in den nächsten Monaten synodale Strukturen und europäische wie internationale Netzwerke etabliert werden. Bereichernd war für mich die Zuschaltung der 390 Online-Delegierten. Auch diese waren inhaltlich heterogen, brachten ihre Überlegungen aber in größter Freiheit ein.
Trotz der Schönheit der Liturgien waren für mich einige der Predigten der zelebrierenden Kardinäle irritierend, da sie auf der performativen Sprachebene mehr oder weniger explizit den Rahmen des Nachdenkens zu strittigen Themen vorgaben. So kritisierte Erzbischof Jan Graubner im Eröffnungsgottesdienst, dass er in den Eingaben des Arbeitsdokumentes den sensus fidei nicht gefunden habe, was im Widerspruch zur Einschätzung der Stimmen des Volkes Gottes durch das Arbeitsdokument selbst steht, die diese als „theologischen Schatz“ bezeichnet. Kardinal Marc Ouellet wiederum machte in seiner Deutung des Schöpfungsberichtes deutlich, dass die Geltung der biblischen Geschlechterlehre unumstößlich sei. Ungeachtet der Inhalte, die theologisch durchaus diskussionswürdig sind, scheint es mir fraglich, ob Predigten bei einer Synode inhaltlich so nahe und mit eindeutigen Botschaften zu strittigen Themen sein sollen, wenn man zugleich die parrhesia fördern möchte – oder ob diese nicht vielmehr einen Raum für die befreiende und das Nachdenken fördernde Botschaft des Evangeliums eröffnen sollten, wie ich dies z.B. bei der Predigt von Kardinal Mario Grech erlebt habe.
Der „Hut“ der Praktischen Theologin
Auch wenn im Enddokument der Theologie ein gewisser Raum eingeräumt werden wird: in Prag spielte diese eine marginale Rolle. Zwar sollen im weiteren Prozess die Ergebnisse auf die Heilige Schrift, die Tradition und das Lehramt bezogen werden, aber Rolle und Ort der akademischen Theologie im Synodalen Prozess sind mir bis heute nicht klar. Auch wenn der geistliche Prozess der Synode nicht nur kognitiv-intellektuell ist: Ohne Einbeziehung der wissenschaftlichen Theologie werden die materialen und inhaltlichen Themen des synodalen Prozess nicht angemessen diskutiert und kirchlich rezipiert werden.
Zugleich haben viele der Spannungen eine wesentliche Ursache in impliziten Ekklesiologien und Theologien, von denen manche nicht den Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils entsprechen oder jüngere theologische Erkenntnisse nicht berücksichtigen. So wurde z.B. bei der immer wieder benannten Spannung zwischen Pastoral und Lehramt von manchen vergessen, dass Papst Johannes XXIII. in seiner Eröffnungsrede dem Konzil in Erinnerung gerufen hat, dass das Wesen des Lehramtes vorwiegend pastoral ist. Auch die immer wiederkehrende Kritik an einer „soziologischen Rede“ über die Kirche oder einer Fokussierung auf strukturelle Fragen schien zu übersehen, dass Lumen Gentium 8 die Dichotomie zwischen der „irdischen“ und der „mit himmlischen Gaben beschenkten Kirche“ inkarnationstheologisch begründet aufgehoben hat und beide Dimensionen als „eine einzige komplexe Wirklichkeit“ betrachtet, „die aus menschlichen und göttlichem Element zusammenwächst“. Infolge des menschlichen Anteils ist eine sozialwissenschaftliche Sicht auf die Kirche und der Blick auf Strukturen als Manifestationen des Heiligen Geistes daher theologisch legitim und notwendig.
Zu hoffen ist, dass auch die Theologie im Synodalen Prozess hinkünftig ihren Beitrag erbringen kann. Denn der Heilige Geist berührt die Seele und den Geist, aber eben auch den Intellekt – haben manche seiner Gaben (Einsicht, Rat, Weisheit, Erkenntnis) doch wesentlich auch mit der menschlichen Fähigkeit reflektierenden Denkens über den Glauben zu tun, zu dem das ganze Volk Gottes berufen ist.
____
Regina Polak ist Assoziierte Professorin und Leiterin des Instituts für Praktische Theologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.