Seit einem Jahrhundert sind Architektur, Theologie und Kunst in der Schweizer Lukasgesellschaft miteinander im Gespräch. Marco Schmid beleuchtet deren Anfänge und Wandel, sowie ihre heutige Bedeutung.
Die Schweizerische St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche (SSL) feiert dieses Jahr ihr 100-jähriges Bestehen und blickt auf ein Jahrhundert ständigen Austauschs zwischen Kunst, Theologie und Architektur zurück. Seit ihrer Gründung im Jahr 1924 setzt sich die Gesellschaft für die Förderung zeitgenössischer Kunst und Architektur im kirchlich-religiösen Kontext ein und beschreitet dabei immer wieder neue Wege, um künstlerische Ausdrucksformen mit spirituellen Anliegen zu verbinden. Das Motto des Jubiläums „GEWAGT! 100 Jahre gegenwärtig“ unterstreicht diesen Mut zur Erneuerung.
Die Anfänge der Lukasgesellschaft
Die Lukasgesellschaft entstand in einer Zeit, in der Kunst und Kirche vor grossen Herausforderungen standen. Der Erste Weltkrieg hatte gesellschaftliche, künstlerische und religiöse Werte erschüttert. Bewegungen wie Dada und Bauhaus gewannen an Einfluss, indem sie traditionelle Kunstformen infrage stellten. Gleichzeitig suchte die liturgische Bewegung in der Kirche nach einer Vertiefung des Glaubenslebens. Liturgie wurde nicht mehr nur als formales Ritual, sondern als lebendige Feier der christlichen Gemeinschaft und als Quelle religiösen Lebens verstanden, was die sakrale Kunst und Architektur nachhaltig beeinflusste.
Sakrale Kunst erneuern
Im Dezember 1924 gründete sich in Olten eine Gruppe von Theolog*innen, Künstler*innen und Architekt*innen, die sich „Schweizerische St. Lukasgesellschaft“ nannte. Dieser Name bezog sich auf eine welsche Vorgängergruppe von Künstler*innen, die nach dem Heiligen Lukas, dem Schutzpatron der Kunstschaffenden, benannt war und nun in den gesamtschweizerischen Verein integriert wurde. Das Ziel der SSL war es, die sakrale Kunst zu erneuern und den Austausch zwischen kirchlichen und künstlerischen Kreisen zu fördern. Sie setzten sich dafür ein, künstlerische Qualität in religiöse Räume zu bringen und der Tendenz entgegenzuwirken, dass sakrale Kunst als Folge der Industrialisierung massenhaft produziert wurde. Ebenso wollte man die zeitgenössische Architektur stärken, die sich gegen den damals dominierenden Historismus behaupten musste, der nur Gotik und Romanik als authentische christliche Baustile anerkannte.
Netzwerk von Künstler*innen und Architekt*innen
Die SSL gewann schnell an Bedeutung durch interdisziplinäre Fortbildungen und Ausstellungen. Die Jahrbuchreihe „Ars sacra“ brachte ihre Anliegen einem breiten Publikum näher. Die Lukasgesellschaft diente auch als Netzwerk von Künstler*innen und Architekt*innen, die gezielt bei Kirchneubauten herangezogen wurden. Solche und andere lokale Entwicklungen in ganz Europa wirkten sich schliesslich auch auf das Zweite Vatikanische Konzil aus, das eine positive Neuausrichtung der katholischen Kirche in Bezug auf zeitgenössische Kunst und Architektur unterstützte, indem diese nicht mehr in den Diensten, sondern als Dialogpartnerinnen auf Augenhöhe mit der Theologie verstanden wurden.
Wandel und Kontinuität über ein Jahrhundert
In ihren 100 Jahren hat sich die Lukasgesellschaft stetig weiterentwickelt. Ursprünglich ein katholischer Verein, öffnete sie sich ab den 1970er-Jahren den anderen christlichen Kirchen und wurde zu einer ökumenischen Plattform. Die Nachfrage nach interreligiösen Räumen der Stille verlangt heute von den SSL-Mitgliedern zudem vermehrt auch eine interreligiöse Kompetenz. Gleichzeitig blieb die SSL ihrer Gründungsmission der Förderung zeitgenössischer Kunst und Architektur im kirchlich-religiösen Kontext treu.
Von der liturgischen Bewegung inspirierte Künstler*innen
Auch das Selbstverständnis der SSL-Mitglieder als Kunstschaffende wandelte sich im Laufe der Zeit.[1] Anfangs verstanden sie sich als christliche, von der liturgischen Bewegung inspirierte Künstler*innen, die zeitgenössische Kunst und Architektur gegen den Historismus durchsetzen wollten. Zwischen 1950 und 1980 profitierten viele Mitglieder vom Kirchenbauboom, wodurch vielerorts die errungenen Ideen der SSL umgesetzt werden konnten. Seit den 1980er Jahren bis heute vollzog sich eine gewisse Loslösung von der Kirche, indem eine autonome Kunst gefordert wird, die in den kirchlich-religiösen Raum wirken möchte.
Beratende und fördernde Rolle der Lukasgesellschaft
Ein Schwerpunkt der heutigen Arbeit der SSL liegt in der Beratung kirchlicher und staatlicher Behörden bei Bau- und Renovierungsprojekten von Kirchen, Kapellen und interreligiösen Räumen. Künftig wird die SSL ihr Wirken als Mitorganisatorin des Schweizer Kirchenbautags weiter ausbauen. Ein weiteres wichtiges Tätigkeitsfeld ist die Unterstützung künstlerischer Projekte. Die SSL organisiert Ausstellungen und Exkursionen und berät Kirchgemeinden bei Kunstwettbewerben. Mitglieder werden zudem über aktuelle Projektausschreibungen im Kontext von Kirche und Kunst informiert.
Verschiedene Publikationsreihen
Ein wichtiges Kommunikationsmittel seit den Anfängen der SSL waren verschiedene Publikationsreihen, die jeweils neue Entwicklungen in Kunst und Architektur im kirchlich-religiösen Kontext diskutieren und Arbeiten von SSL-Mitgliedern vorstellen.[2] Seit der Gründung bis 1953 wurde das Jahrbuch «Ars Sacra» veröffentlicht, das durch die Reihe «Sakrale Kunst» abgelöst wurde. Es folgten von 1979 bis 1990 das «Bulletin Schweizerische St. Lukasgesellschaft» und von 1993 bis 1997 das «Lukasbulletin». Ab 1987 bis 2004 folgte die Reihe «Brückenschlag zwischen Kunst und Kirche», und zwischen 2001 bis 2009 publizierte die SSL vierteljährlich die Zeitschrift «Forum Kunst und Kirche». Seit 2010 gibt die Lukasgesellschaft das „Jahrbuch Kunst und Kirche“ heraus. Im Fokus jedes Jahrbuchs steht ein Schwerpunktthema, das mit Fachartikeln und farbigen Abbildungen die Bereiche Theologie, Architektur, Kunst und Spiritualität beleuchtet. Damit werden aktuelle Fragestellungen der zeitgenössischen Kunst und architektonische Positionen im religiös-spirituellen Umfeld aufgegriffen. Ergänzt wird das Jahrbuch durch Buchrezensionen und die Vorstellung künstlerischer Arbeiten von SSL-Mitgliedern.
Zwei aktuelle Arbeiten von SSL-Mitgliedern
Im Bereich Architektur ist die Renovation der Kirche Glaubten in Zürich-Affoltern zu erwähnen (vgl. Beitragsbild), die 1970 von den Architekten Guyer und Guyer erbaut wurde. Die Kirche ist bekannt für ihre auffällige Lichtführung durch 104 Oberlichter, eine damals bautechnisch noch nicht einwandfrei umsetzbare Idee. team4 Architekten aus Zürich renovierten das Gebäude unter der Leitung von SSL-Mitglied Christoph Franz nach aktuellem technischem Standard und verhalfen der ursprünglichen Idee zum Durchbruch. Besonders nachts kommt das Lichtkonzept der Bauzeit wieder schön zur Geltung.
„Deus in Machina“
Ein Beispiel der jüngeren Kunstprojekte ist die Kunstinstallation „Deus in Machina“ in der Peterskapelle Luzern, entwickelt von Philipp Haslbauer und SSL-Mitglied Marco Schmid. Hier konnten Besuchende in einem Beichtstuhl ihre Gedanken mit einer künstlichen Intelligenz teilen, die auf einem Monitor als Jesus erschien. Das Projekt regte zum Nachdenken über das Potenzial von Maschinen in religiösen Kontexten an und stellte die Frage, wie sehr Menschen ihnen auch persönliche Themen anvertrauen können.
Über einen Zeitraum von zwei Monaten wurden über 1000 Gespräche mit dem KI-Jesus geführt und 230 Feedbackbögen ausgefüllt. Diese haben gezeigt, dass gut zwei Drittel das Gespräch mit dem KI-Jesus als religiös-spirituell anregend empfanden.
Blick in die Zukunft
Die Schweizerische St. Lukasgesellschaft für Kunst und Kirche wird auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, indem sie den Trialog zwischen Kunst, Architektur und Theologie fördert und mutig neue Impulse setzt. Gerade in Zeiten des Umbruchs in der sakralen Landschaft – wie beispielsweise der Umnutzung von Kirchen – bleibt dieser Austausch gefragt. Aber auch sakrale Räume sind für Künstler*innen und Architekt*innen weiterhin attraktive und inspirierende Orte, sei es als täglich öffentlich zugängliche, thematisch vielfältige Ausstellungsorte oder als architektonisch beständige Bauten, die von Kunstliebhaber*innen, Tourist*innen und Einheimischen weiterhin als Orte der Kunst, Kultur und des Gebets zahlreich aufgesucht werden.
[1] Vgl. Johannes Stückelberger, 100 Jahre Schweizerische St. Lukasgesellschaft. Ziele, Aufgaben und Themen im Wandel der Zeit, in: Jahrbuch Kunst + Kirche 2024, GEWAGT! 100 Jahre gegenwärtig, Redaktion: Alexia Zeller, Herausgeberin: Schweizerische St. Lukasgesellschaft, Zürich: TVZ, 2024, Seiten 20ff.
[2] Vgl. Johannes Stückelberger, 100 Jahre Schweizerische St. Lukasgesellschaft, a.a.O., Seiten 24f.