Wie geht jahrtausendealte Gotteserfahrung in einem Satz? Michael Schüßler schreibt über seinen aktuellen Favoriten unter den Kurzformeln des Glaubens.
Was ist eigentlich das Zentrum des christlichen Glaubens? Jesus Christus als Black-box der eigenen Sehnsüchte? Das Glaubensbekenntnis? Der Katechismus? Die bald abschlossene Karl-Rahner-Gesamtausgabe? Oder der Glaube, den Christinnen und Christen in ihrem Handeln alltäglich und konkret suchen und bezeugen?
Kurzformel des Glaubens – gar nicht so einfach
Gar nicht so einfach also. Man hat entweder viel zu viel und viel zu dichten Text. Oder man verliert in den sich oft widersprechenden Glaubens- und Nachfolgegeschichten den Überblick. Karl Rahner und Otto Semmelroth fanden schon in den 1960er Jahren, es brauche handliche „Kurzformeln des Glaubens“. Deren Eigene waren tatsächlich kurz, blieben aber ohne ein geisteswissenschaftliches Studium meist weiter irgendwie unverständlich. Vor kurzem bin ich auf einen Satz gestoßen, der auf dem besten Weg ist, für mich zu einer solchen Kurzformel zu werden.
Hier der aktuelle Favorit
„Das Evangelium lädt vor allem dazu ein, dem Gott zu antworten, der uns liebt und uns rettet – ihm zu antworten, indem man ihn in den anderen erkennt und aus sich selbst herausgeht, um das Wohl aller zu suchen.“
Dieser Satz schließt erst einmal nichts aus. Aber er gibt Antworten auf mindestens drei Fragen, Antworten, die einen Unterschied machen zu ganz anderen Möglichkeiten.
Entscheidend ist nicht, was ich für Gott tue
Erstens: Wer ist Gott für mich? Wie kann ich Gottes Ansprüchen gerecht werden? Diese Frage begegnet mir immer wieder bei religiös suchenden oder auch sehr überzeugten Menschen, also bei sehr vielen und auch bei mir selbst.
Die Antwort ist verblüffend einfach: Das ist nämlich gar nicht die erste und zentrale Frage. Die Basisaussage des Evangeliums ist eine Initiative Gottes. Die grundlegend gute Nachricht besteht in einem Gott, der uns liebt und uns rettet. Noch vor aller Antwort, all unseren Sorgen und jeder religösen oder moralischen Leistung. Das ist der allem zuvorkommende Indikativ der Gnade, den vor allem Karl Rahner immer wieder ins Zentrum seiner Theologie gestellt hat. Entscheidend ist nicht, was ich für Gott tue, sondern was Gott allen zusagt hat. Und niemand muss dazu erst einmal Jesus sein Leben übergeben.
Diese Zusage erzwingt nichts und ermöglicht alles
Zweitens: Was erwartet Gott von mir? Antwort: Wir müssen erst einmal gar nichts tun. Die befreiende Zusage ermöglicht zwar ganz bestimmte Antworten, ein antwortendes Handeln. Aber Gottes Initiative kommt im Modus der freien Einladung auf uns zu. Sie erzeugt gerade kein Schuldverhältnis, keine Bringschuld gegenüber Gott. Diese Zusage erzwingt nichts und ermöglicht alles.
Unsere Rettung hängt im letzten nicht an der Art und Weise unserer Antwort. Gott vergibt beiden, Christen und Heiden (D. Bonheoffer). Es wird nicht egal sein, wer wir sind und was wir tun – vor allem nicht für jene Menschen und Dinge, die auf unsere Sensibilität und Solidarität hoffen. Aber der letzte Horizont christlichen Glaubens ist nicht die Angst vor der Strafe im Gericht, sondern das antwortende Handeln auf die Erfahrung einer Zusage. Diese Zusage kommt vor jeder Forderung.
Engagement zum Wohl aller
Drittens: Was muss ich tun, um vor Gott ein guter Mensch zu sein? Zu welcher Antwort lädt das Evangelium konkret ein? Die Kurzformel beschreibt drei Perspektiven. Zeugnis vom Evanglium heißt hier nicht zuerst, mit anderen über Jesus sprechen und sie von einem exklusiven religiösen Heil zu überzeugen.
Das Evangelium legt einem erstens nahe, Gott selbst im jeweils Anderen zu erkennen. Gott ist nicht der Besitz meines persönlichen Glaubens. Ich darf damit rechnen, dass der Andere, der Fremde oder sogar der Feind zu meinem Nächsten wird, und darin zum Anlitz Gottes als des ganz Anderen. Es ermöglicht zweitens aus sich herauszugehen, ins Risiko des Engagements für Menschen, deren verletzbares Leben bedroht ist. Und drittens hat dieses Engagement nicht das Wohl der Katholiken oder der Christen, nicht der Deutschen oder der Europärer im Blick, sondern das auf die Fremden und Feinde entgrenzte Wohl aller. Im Horizont des universalen Heilswillens Gottes geht das Zeugnis vom Gott Jesu nicht ohne die je Anderen, weil ich selbst so ein Anderer bin.
Und hier die Auflösung: EG 39
Diese Kurzformel stammt nicht von mir. Sie steht etwas versteckt unter der Kapitelüberschrift „Aus dem Herzen des Evangeliums“ in einem Text des amtierenden Bischofs von Rom, in Evangelii gaudium 39. Je öfter ich diesen Satz in Fortbildungen und Vorträgen vorstelle, umso wichtiger ist er mir geworden: eine Kurzformel des Glaubens eben.
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Michael Schüssler ist Professor für Praktische Theologie an der Universität Tübingen und Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Bild: Michael Schüßler