Im Vorfeld der Weltsynode im Oktober nahm die Paulus-Akademie in Zürich eine Lagebestimmung vor und blickte dabei nach Frankfurt, nach Rom und auf die Schweiz. Geprägt durch die Erfahrungen auf dem Synodalen Weg plädiert Claudia Lücking-Michel für beides: strukturelle Veränderungen einfordern und „einfach machen“.
Im März 2023 hat der Reformprozess der Katholischen Kirche in Deutschland, der sog. Synodale Weg, mit seiner vorerst letzten Vollversammlung ein wichtiges Etappenziel erreicht. Danach stand erstmal die Weltsynode im Focus der Aufmerksamkeit. Jetzt ist schon wieder mehr als ein Jahr vergangen. Eigentlich haben wir keine Zeit für „große Pausen“, aber nutzen wir sie, um Bilanz zu ziehen und uns neu zu orientieren. Wir wollten die Synodalität der Kirche stärken – entschieden und klar und auf eine theologisch verantwortbare Weise! Jetzt müssen wir verhindern, dass während wir uns noch über die kleinen Erfolge freuen, die großen Synodalen Hoffnungen schon wieder fein säuberlich gedruckt in den Bücherregalen mit Beschlüssen und Texten verschwinden.
1. Ausgangspunkt
Das darf nicht sein, wenn man nur einen Moment an den Ausgangspunkt zu-rückdenkt. Eine große Erläuterung zu den Anfängen des Synodalen Wegs ist nicht nötig. Die Erkenntnisse und Erschütterungen, die in Deutschland 2018 mit Erscheinen der sog. „MHG-Studie“ über sexuelle Gewalt durch Kleriker zu der Vereinbarung dieses großangelegten Reformprozesses geführt haben, sind so massiv und weiterhin so präsent, dass man sie wirklich nicht vergessen kann. Denn leider gilt: Am Anfang des Synodalen Wegs stand weder die hehre Idee einer neuen „Würzburger Synode“, noch wollte man aus freien Stücken zu einer großen Reform ansetzen.
Nein, die Lage war zu ernst, es ging erstmal „nur“ um eine wirkmächtige Reak-tion auf die existenzielle Kirchenkrise.
Klar war, man musste alles dafür tun, die strukturellen Rahmenbedingungen zu verändern bzw. zu beseitigen, die diese Fälle sexueller Gewalt nicht nur nicht verhindert, sondern begünstigt und deren Aufklärung über Jahrzehnte verhindert hatten. So sollte der Synodale Wegs durch systemische Änderungen in ei-nem vom Prinzip maroden System kirchlicher Strukturen dafür sorgen, Machtmissbrauch in der Kirche zukünftig zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
Zu vier zentralen Herausforderungen wurden Synodalforen eingerichtet mit dem Auftrag, Grundlagen für die Synodalversammlungen zu erarbeiten: „Macht und Gewaltteilung“, „Priesterliche Existenz heute“, „Leben in gelingenden Beziehungen“ und – auf massive Forderung der Frauen im ZDK schließlich auch – das Forum „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“. Schon diese Aufgabenstellungen verweisen auf die aktuelle Krisenlage. Das ist kein Programm für eine umfassende, sicherlich auch nötige Synodale Kirchenreform, da hätte dann noch einiges Mehr auf die Agenda gehört.
2. „Macht- und Gewaltenteilung“ als Meta-Aufgabe
Schon der Auftrag des ersten Forums kommt einem allerdings vor, wie die Botschaft aus einer anderen Welt. Demokratisch geschult, können Staatsbürger*innen einer modernen Demokratie des 21. Jahrhunderts aus dem Stand über die Notwendigkeit von Gewaltenteilung referieren und ebenso darüber Auskunft geben, welche wirkmächtigen Instrumente zu deren Umsetzung denkbar sind. In der Kirche leben wir dagegen in einem weitgehend autokratischen System ohne funktionierende Macht- und Gewaltenteilung. Es gibt keine (ausreichenden) Instrumente zur Machtkontrolle. Alle Bemühungen und Forderungen eine Art von Verwaltungsgerichtsbarkeit einzuführen, brachten nur Ankündigungen und bisher leere Versprechen. Wer hat Zugang zur Macht? Wer kontrolliert sie? Wer fordert Rechenschaft ein? Wer begrenzt Macht zeitlich und inhaltlich? Alles Fragen, die gerade auch in kirchlichem Kontext wahrlich nicht neu, aber trotzdem weitgehend unbeachtet geblieben sind.
3. Ergebnisse
Immerhin, einige Texte und wichtige Beschlüsse wurden von der Vollversammlung mit den nötigen Mehrheiten verabschiedet.[1] Dazu gehört ein wichtiger Grundlagentext, der ausrei-chend theologischen Argumente für eine Gewaltenteilung in der Kirche an die Hand gibt.
Ebenso relevant, verabschiedet, aber seitdem konsequent ignoriert: der Beschluss zur Beteiligung des Kirchenvolkes an der Wahl des eigenen Bischofs.
Wer Partizipation ernst meint, kann diese nicht auf begrenzte Zeit einführen.
Und – aus meiner Sicht zentral – die Entscheidung, einen permanenten „Synodalen Rat“ einzurichten, dessen genaue Aufgaben und Arbeitsweise allerdings erst noch näher bestimmt werden durch das Übergangsgremium eines „Synodalen Ausschuss“. Die Botschaft ist: Wer Partizipation ernst meint, kann diese nicht auf begrenzte Zeit einführen. Das zumindest war eindeutig auch das Votum der Mehrheit der Vollversammlung.
Für die konkrete Umsetzung sollte dann der Beschlussvorschlag „Gemeinsam beraten und entscheiden“ wichtige Handlungsvorgaben liefern. Allerdings ist der leider vorerst nicht über die erste Lesung hinausgekommen. Andere wichtige Handlungstexte, wurden aus Zeitmangel gar nicht mehr zur Beratung aufgerufen.
4. Römische Interventionen und Synodale Beharrlichkeit
Kurz vor der 5. Vollversammlung hatte noch ein Brief aus Rom für Furore gesorgt. Mit direktem Verweis auf den Papst wurden hier Fragen beantwortet, die außer fünf bischöflichen Fragestellern niemand offiziell kennt. Der Handlungs-text „Gemeinsam Beraten und Entscheiden“ sollte demnach – so der Brief – unbedingt abgelehnt werden. Diese römische Vorgabe hat die Debatten beim Sy-nodalen Weg sehr erschwert, aber ganz deutlich war der Wille der Synodalen, jetzt erst Recht die Beratung nicht einfach zu stoppen. Auch die römischen Ausführungen, dass kein Bischof an dem Synodalen Rat teilnehmen muss, sagen vor allem etwas aus über diejenigen, die offensichtlich die Fragen gestellt haben und darüber, wer wohl wie den Papst informiert hat. Doch eins wurde damit auf jeden Fall offensichtlich: Der Synodale Ausschuss zur Vorbereitung des Synodale Rats ist wichtig.
5. „Gemeinsam Beraten und Entscheiden“ (GBUE)
Und was ist jetzt so „gefährlich“ an „Gemeinsam Beraten und Entscheiden“? Geholfen hätte es, wenn mit dem Beschluss GBUE eigentlich sehr grundsätzliche Überlegungen für alle Ebenen von der Pfarrei über die Diözesen bis hin zu Bischofskonferenz und ZdK konkret durchdekliniert worden wären. Das zentrale Anliegen ist, dass – anders etwa als in den Pastoralen Gremien, die nach der Würzburger Synode entstanden sind – man jetzt einen Schritt weitergehen und Gremien wählen würde, in denen Bistumsleitung und Laien gemeinsam beraten und entscheiden. Wie das gehen kann, ohne dass eine der beiden Seiten überstimmt wird, spielt der Handlungstext im Detail durch.
Eine Herausforderung besteht darin, dass die Ausgangslage in den verschiedenen Bistümern sehr unterschiedlich ist. In manchen muss man bei der Bistumsleitung mit entschiedenem Widerstand rechnen, bei anderen ist die Praxis schon weiter als das, was der Text jetzt fordert. Deswegen ist wichtig: GBUE liefert keine Mustersatzung, es wird kein Standardmodell der Mitbestimmung vorgelegt, sondern eher so etwas wie Kriterien, anhand deren man die jeweiligen Vorschläge prüfen und bewerten sollte.
Nicht der Synodale Rat ohne den Bischof, aber ebenso wenig umgekehrt.
Immer wieder kritisch angefragt, wird der Kerngedanke der „Selbstbindung der Bischöfe“. Ja, zugegeben, ein großer Vertrauensvorschuss ist in den vorgeleg-ten Überlegungen Bedingung der Möglichkeit. Bitte nicht verwechseln mit „unverbindlich“ oder „beliebig“ oder gar „naiv“. Von den Ortsbischöfen wird erwartet, dass sie sich an klar definierte Prozesse und Verfahrensschritte und an de-ren Ergebnisse „selbst“ binden. Und da man bei solchen Verfahren immer vom worst case, also vom Konflikt ausgehen soll und der Frage, was ist, wenn man sich gar nicht einigen kann, ist wichtig festzuhalten, dass es auch im Konfliktfall keine „Letztentscheidung“ des Bischofs gibt, kein Machtwort oder Basta, sondern ein Konsensverfahren, bei dem keine Seite ohne die anderen weitermachen kann. Nicht der Synodale Rat ohne den Bischof, aber ebenso wenig umgekehrt.
6. „Von Brüchen und Aufbrüchen“ (Birgit Mock)
Wie ist es nun seit der letzten Vollversammlung weitergegangen? Die Mitglieder des Synodalen Ausschusses waren von der Vollversammlung des Synodalen Wegs gewählt und beauftragt worden. Mittlerweile hat der Ausschuss zweimal getagt, Arbeitsgruppen wurden gewählt, Aufträge und einen Zeitplan festgelegt. Restanten des Synodalen Wegs sollen bearbeitet und der Synodale Ausschuss vorbereitet werden. Dabei sollte man aus den Fehlern des Synodalen Weges lernen. Finanzen. Personal und die Reaktionen aus Rom sind entscheidende Punkte.
Bisher ist alles weitere Vorgehen auf Dialog und im Konsens angelegt. Was passiert, wenn in der Zwischenzeit die Weltsynode zu ganz anderen Vorgaben kommt? Wenn die Etablierung eines wirkmächtigen Synodalen Rats vertagt, Reformen durch Kritik-Bischöfe mit Bande über Rom ausgehebelt oder durch mangelnde Ressourcen „ausgehungert“ werden? Hinter die Erfahrungen und Visionen von Reform will die Mehrheit der Synodalen nicht zurück. Doch ob dann aus Reform noch Revolution werden könnte? Die Massen der Gläubigen werden wohl nicht wie vor dem Mauerfall protestierend auf die Straße gehen, sondern weiterhin massenhaft mit einem stillen Auszug und hoffnungslosem Kopfschütteln ihre Kirche verlassen.
Was hat das alles also überhaupt gebracht?Bei der Machtfrage wurde zumindest ein Hebel angesetzt, der mit langem Wirkungsgrad weitere Veränderungen bewirken könnte.
Kirche hat keine Zukunft, wenn die Frauen gehen.
Vor allem für uns Frauen gilt jedoch: Trotz aller Appelle sind wir über die Forderungen der Würzburger Synode vor 50 Jahren nicht hinausgekommen. Die Argumente sind seitdem nicht überzeugender, aber die Bereitschaft diese Ungerechtigkeit zu akzeptieren weniger geworden. Frauen werden nicht mehr in der Kirche bleiben, wenn sie weiter als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Kirche hat keine Zukunft, wenn die Frauen gehen.
Sinn und Zweck eines rein männlichen, offiziell zum Zölibat verpflichteten Kleriker-Stands wurde heftig diskutiert, doch noch schneller durch die Wirklichkeit der rasant abnehmenden Priesterzahlen in den Diözesen überholt.
In Blick auf die Stellung querer Gläubige und nicht heterosexueller Beziehungen hat sich dagegen nicht nur in der Wahrnehmung, sondern auch auf formaler Ebene der Anerkennung und Segnung ihrer Beziehungen sehr viel getan.
Damit die Reformanliegen wirklich greifen können, geht das nur zusammen mit der Weltkirche! Selbstverständlich!
Damit die Reformanliegen wirklich greifen können, geht das nur zusammen mit der Weltkirche! Selbstverständlich! Aber das kann ja nicht heißen, abzuwarten bis in Rom etwas entschieden wird, vielmehr geht es um Meinungsbildung hier bei uns und aktives Einbringen der eigenen Positionen und Anliegen und darüber Mitgestaltung der Arbeit der Weltsynode.
Der Vorwurf wird immer wiederholt, dass der Synodale Weg vor allem eine Hinhalte-Taktik und Beschäftigungstherapie sei. Die Gefahr besteht. Die Wandergruppe des Synodalen Wegs, darf nicht in der Etappe hängen bleiben. Wirkmächtige Gremien und Formate des gemeinsamen Beratens und Entscheidens sind so wichtig. Ich bin überzeugt, dass durch gemeinsame intensive Beratungen, das Ringen um Kompromisse formale Änderungen, die den Namen verdienen, möglich sind. Das Ziel ist aber noch wahrlich nicht erreicht.
7. Zeige uns den Weg! Und bis dahin „einfach machen“!
Immer wieder kommen die (selbstkritischen) Fragen, nach dem Sinn des Ganzen. „Das bringt ja doch alles nichts“- höre ich dann von den Ungeduldigen. „Die sind doch alle nicht mehr richtig katholisch“ – von den konservativen Kritikern. Aber auch „Lass die mal reden, wir machen schon mal voran! Wo stünden wir heute, wenn viele Christ*innen nicht schon lange vorleben würden, was Kirche der Zukunft heißen kann, und dafür die Grenzen des aktuell Möglichen ausloten und überschreiten. Es braucht mehr von diesem „vorauseilenden Gehorsam“.
Es braucht aber auch eine starke Anwaltschaft für eine strukturell andere Kirche. So sehr aber Systemveränderungen und formale Regelungen notwendig sind, sie sind „nur“ eine der Bedingungen der Möglichkeit, aber wahrlich nicht hinreichend für eine glaubhafte und lebendige Kirche in unserer Zeit.
Es muss sich noch viel ändern, damit wir als glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen der Botschaft Jesu Christi wieder ernst genommen werden können
Deswegen meine Bitte an alle Glaubens-Geschwister, nicht abwarten, sondern vorher „einfach machen“: Glaube vorleben und Hoffnung miteinander teilen. Vieles passiert schon. Gut so. Bleiben wir dabei: Wortgottesdienste mit Kom-munionfeier, Trauerfeiern und Beerdigungen, Taufe durch Laien. Ermutigung und Selbst-Ermächtigung, wo immer wir gegenseitig füreinander Kraftquellen erschließen können. Ich hoffe auf viele Wegbeleiter*innen mit einem langen Atmen, die den Weg weiter mitgehen.
Denn der Weg ist noch lang. Es muss sich noch viel ändern, damit wir als glaubwürdige Zeuginnen und Zeugen der Botschaft Jesu Christi wieder ernst genommen werden können. Stärken wir uns gegenseitig in der Zuversicht und leben wir gemeinsam aus der Freiheit des Evangeliums.
[1]Alle Texte, die beim Synodalen Weg von einem der Foren erarbeitet und dem Plenum eingereicht wurden, sind auf der Homepage des Synodalen Wegs dokumentiert.
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Dr. Claudia Lücking-Michel, Bonn, langjährige Vizepräsidentin des ZdK, Co-Leiterin des Synodalforums «Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilhabe und Teilhabe am Sendungsauftrag» beim Synodalen Weg sowie Mitglied des Synodalen Ausschusses der kath. Kirche in Deutschland.