In den vergangenen Monaten sind aufgrund der Corona-Einschränkungen neue Gottesdienst- und Begegnungsformen entstanden. Elisabeth Fritzl (Graz) analysiert ihre Erfahrungen mit neuen digitalen Formen des Feierns und sieht darin Chancen und Herausforderungen für Gegenwart und Zukunft.
„Jesus ist nach seiner Auferstehung durch verschlossene Türen gegangen, dann kann er auch im Internet präsent sein.“ Dieser Satz stammt von Gunda Brüske, der Leiterin des Liturgischen Instituts der deutschsprachigen Schweiz. Bei einer Weiterbildung zum Thema „Gottesdienste über ZOOM“ stellte sie ihn an den Anfang unserer gemeinsamen Andacht am Beginn des Workshops. Und genau so habe ich es bei den meisten unserer digital gefeierten Gottesdienste und spirituellen Angebote im letzten halben Jahr erlebt.
1. Erfahrungen und Initiativen
Am Anfang stand die große Frage, wie man Gottesdienste digital feiern kann. Auch wir hatten schon 2020 mit einfachsten Mitteln und nur zu besonderen Anlässen eine Wortgottesfeier gestreamt und zu Ostern 2020 auch die Gottesdienste der Karwoche. Persönlich schaue ich darauf mit Unbehagen zurück, denn eine Partizipation der Gemeinde war kaum möglich, und spätestens bei der Kommunion habe ich gespürt, dass es nicht ganz stimmig ist.
Bei den Zoom-Wortgottesfeiern feierten viel mehr Menschen mit als in Präsenz, denn viele hatten eine Aufgabe übernommen.
Mit dem Lockdown im Dezember und Jänner war klar, dass der Wunsch, miteinander zu feiern, größer war als die Unsicherheit in Bezug auf Technik usw. – zum Einen, bei denen, die mitfeiern, zum Anderen beim Vorbereitungsteam. Vorbereitungsteam ist ein wesentliches Stichwort: Keiner der digitalen Gottesdienste wurde von einer Einzelperson vorbereitet, es fanden sich immer mehrere Menschen, die sich Gedanken über die Form der Feier, die Musik und auch die technische Umsetzung machten. Das führte beinahe automatisch dazu, dass bei den Wortgottesfeiern viel mehr Menschen mitfeierten als in Präsenz, denn viele hatten (freiwillig und gern) eine Aufgabe übernommen.
Startgottesdienst für Firmlinge, ZOOM-Bibliolog und Nachtgebet.
Im Rahmen der Firmvorbereitung in unserem Pfarrverband feierten wir mehrere Gottesdienste auf ZOOM, angefangen mit dem Startgottesdienst. Auch die Eltern waren dazu eingeladen. Noch nie haben sich bei einem Startgottesdienst so viele Jugendliche aktiv beteiligt und persönlich eingebracht wie bei dieser digitalen Feier. Während des Lockdowns im Jänner und Februar feierten wir im Pfarrverband zweimal eine Wortgottesfeier auf ZOOM. Sehr gut angenommen wird auch der ONLINE Bibliolog, bei dem die Teilnehmer/innen es besonders schätzen, von zu Hause aus dabei sein zu können.
Ein ganz neues Projekt war das Nachtgebet, das wir in der Fastenzeit und wegen der tollen Resonanz noch bis Pfingsten fortführten. Wir beteten täglich um 21.30 Uhr die Komplet. Die Beter:innen kamen aus unserem Pfarrverband und Seelsorgeraum und weit darüber hinaus: Vorarlberg war vertreten, Deutschland und immer wieder Interessierte. Die Erfahrung des täglichen Gebets, bei dem fast immer jede:r zu Wort kommen konnte, war eine große Bereicherung.
Karwoche und Ostern: besondere Stimmung, konzentriert auf das Wesentliche
Mein persönliches Highlight waren die Feiern am Gründonnerstag, Karfreitag, Osternacht und am Ostersonntag. Es war eine besondere Stimmung zu spüren, und obwohl – oder weil? – die Feiern anders aufgebaut waren als in Präsenz, blieben sie auf das Wesentliche konzentriert.
Überraschend waren für mich besonders zwei Dinge: 1. Die aktive tätige Teilnahme war bei diesen Feiern wesentlich spürbarer als bei Gottesdiensten in Präsenz. 2. Es entsteht trotz der räumlichen Trennung sehr schnell eine gute Feiergemeinschaft, die immer offen für neue Mitfeiernde bleibt. Denn Christus verbindet uns miteinander, egal wo wir uns gerade befinden.
2. Chancen
Eine große Chance von digitalen Gottesdiensten ist es, dass jede:r unabhängig vom Ort mitfeiern kann, sobald eine stabile Internetverbindung gegeben ist. Dadurch sind auch Feiern auf „weltkirchlicher“ Ebene möglich. Am 12. Juni feierten wir beispielsweise in der Diözese Graz Seckau den Sonntag der Diözesanpartnerschaften mit unseren Freund:innen in Bom Jesus da Lapa/Bahia/Brasilien.
Für viele Menschen ist der Klick auf einen Zutrittslink eine niedrigere Hemmschwelle als eine Kirche zu betreten
Für viele Menschen ist der Klick auf einen Zutrittslink eine niedrigere Hemmschwelle als eine Kirche zu betreten, da die Digitalisierung ja bei vielen Menschen auch im Berufsleben vieles verändert hat. Ein:e Gottesdienstleiter:in steht nicht im Mittelpunkt des Geschehens, das kann allein durch die Galerieansicht gesteuert werden oder dass immer wieder andere Menschen, die gerade etwas lesen, singen oder vorbeten im Spotlight sind.
Der Einsatz von Musik, Bild und unterschiedlichen Tools (z.B. Padlet) schafft Möglichkeiten zur Interaktion. Als Beispiel mein Padlet zum Digitalen Feiern.
Nähe und Gemeinschaft entstehen trotz Distanz sehr schnell. Das liegt vielleicht daran, dass Menschen vor dem Laptop konzentrierter und fokussierter und somit nicht so leicht abgelenkt sind. So fällt es auch leichter, sich in die Gemeinschaft einzufügen.
Jede:r darf singen. Das ist besonders fein in den Zeiten, wo Gemeindegesang im Gottesdienst nicht erlaubt war und auch für jene Menschen, die sich in der Kirche nicht trauen, mitzusingen aus Angst, dass sie es nicht können. Liedtexte und Noten können für alle eingeblendet werden und mit stummgestalteten Mikros dürfen alle nach Herzenslust singen, die mögen.
Die Beteiligung vieler ist auf verschiedene Weise möglich, einmal bete ich etwas vor, das nächste Mal schreibe ich nur etwas in den Chat, das mich bewegt.
3. Herausforderungen
Die größte Herausforderung ist sicher die Technik, sowohl für Veranstalter als auch für Mitfeiernde. Sobald die Internetverbindung instabil ist, oder wenn Personen mit den Plattformen nicht vertraut sind, wird es schwierig.
Im digitalen Gottesdienst haben wir sicher eine größere Freiheit in der Gestaltung. Das ist eine Chance und gleichzeitig eine Herausforderung. Z.B. ging es um die Frage: was „muss“ am Karfreitag vorkommen, damit es eine „echte“ Karfreitagsliturgie ist?
Vorbereitung braucht viel Zeit – empfehlenswert ist ein Drehbuch
Aus meiner Erfahrung heraus braucht die Vorbereitung sehr viel mehr Zeit als für Gottesdienste in Präsenz. Es empfiehlt sich für jede Feier ein genaues Drehbuch zu schreiben, damit jede:r immer weiß, was wann dran ist.
Wie bei allen kirchlichen Angeboten, ob Gottesdienst oder Veranstaltung, ist die Bewerbung ein sehr wichtiger Punkt. Gerade digitale Gottesdienstformen sprechen sehr wahrscheinlich auch Menschen an, die nicht regelmäßig in der Kirche mitfeiern: wie erfahren sie von diesem Angebot?
Nicht jede:r hat Zugang zum Internet. Obwohl sich in den letzten 1,5 Jahren viele ältere Menschen mit dem Internet vertraut gemacht haben, gibt es immer noch jene, die keinen Zugang wollen oder haben. Darunter sind nicht nur ältere, sondern auch Menschen, für die das Internet im Berufsleben keine Rolle spielt und die ihre Freizeit nicht im WWW verbringen. Doch umgekehrt gibt es auch in den Kirchen vor Ort unterschiedliche Schwellen, die nicht zu unterschätzen und auch nicht für jede:n zu überwinden sind.
4. Gestaltungselemente
In der Gestaltung gibt es bei digitalen Feiern eine große Freiheit, was einerseits ein Vorteil, andererseits auch eine Herausforderung ist.
Einige Gestaltungselemente, die ich kennengelernt habe, teile ich hier noch:
- Eine persönliche Begrüßung oder Begrüßungsfolie (je nach Anlass) ist wichtig. Jede:r soll sich willkommen fühlen und soweit möglich mit Namen angesprochen werden.
- Ein Bild oder eine Kerze als zusätzliche:n Teilnehmer:in hilft bei der Fokussierung.
- Im Umgang mit dem Bibeltext gibt es eine Reihe von Methoden und Möglichkeiten:
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- Bibliolog (wenn ein:e Bibliologleiter:in anwesend ist)
- Bibel teilen
- Lesen des Textes mit verteilten Rollen
- mit anderer Betonung lesen
- eine andere Übersetzung verwenden
- Fragen zu Rollen im Text stellen
- Den Chat kann man für Fürbitten, Lobpreis, Rückmeldungen oder andere interaktive Elemente gut verwenden.
- Wenn viele mitfeiern, kann man Gruppengespräche in Breakout-Räumen führen.
- Anstatt Fürbitten zu formulieren, ist es eine gute Möglichkeit dazu einzuladen, nur die Vornamen von Menschen zu nennen, für die man jetzt beten möchte.
- Ein Whiteboard oder Padlet ist ein gutes Mittel, um miteinander in Interaktion zu kommen. Das Padlet kann auch einige Zeit nach dem Gottesdienst bestehen bleiben.
- Es ist gut, Teile zu haben, wo sich alle sehen, wo man die Präsentation sieht oder wo ein Text oder Bild bzw. Noten eingeblendet werden.
Digitale Feiern als Experimentierfeld oder Ergänzung
Ich wünsche mir, dass digitale Feiern weiterhin angeboten werden, einerseits als Experimentierfeld, andererseits als wunderbare Ergänzung zu Gottesdiensten in Präsenz. Vielleicht können auch diejenigen, die Gottesdienste vor Ort vorbereiten, von Erfahrungen profitieren und manche Elemente einbauen bzw. sich daran erinnern, was das Wesentliche unserer Feiern ist: Begegnung mit Gott und mit meinem Nächsten, egal, wie groß die Entfernung ist.
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Elisabeth Fritzl ist Theologin und Übersetzerin und arbeitet als Pastoralreferentin im Seelsorgeraum Graz-Südwest.
Beitragsbild: E. Fritzl (Screenshot eines Zoom-Gottesdienstes Graz-Brasilien)