Der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich sagte unlängst in einem Interview, die biblische Botschaft sei noch immer aktuell, „aber die Boten erscheinen manchmal in Kostümen aus vergangenen Zeiten, was der Botschaft selbst nicht den besten Dienst erweist“.[1] Über Aspekte und Gründe einer solchen Kostümierung reflektiert Elisabeth Birnbaum in fünf biblischen Bildern und fordert: Legt die Kostüme ab!
Erwartungen erfüllen
Ein erstes biblisches Bild: Judit, die seit Jahren zurückgezogen als Witwe lebt und ebenso lange Trauergewand trägt, beschließt, ihr Volk vor den übermächtigen und grausamen Assyrern zu retten. Um dem feindlichen Feldherrn entgegenzutreten, „macht sie sich schön“. Sie verkleidet sich, um damit ihr Ziel, die Rettung des Volkes, zu erreichen. Ihr Kostüm dient einem einzigen Zweck: die Erwartungen des Holofernes scheinbar zu erfüllen, ihn damit zu täuschen und dafür zu sorgen, dass er in jeder Hinsicht den Kopf verliert. Sie weiß dabei stets, dass sie eine Rolle annimmt, die nichts mit ihr persönlich zu tun hat. Nach ihrer Rettungstat legt sie das „Kostüm“ wieder ab und wird wieder zur zurückgezogen lebenden trauernden Witwe.
Auch zog sie Sandalen an, legte ihre Fußspangen, Armbänder, Fingerringe, Ohrgehänge und all ihren Schmuck an und machte sich schön, um die Blicke aller Männer, die sie sähen, auf sich zu ziehen.
(Jdt 10,4)
Wenn die Boten der biblischen Botschaft in diesem Sinne Kostüme vergangener Zeiten tragen, würden sie also ebenfalls einen bestimmten Zweck damit verfolgen. Dann wäre das traditionelle Erscheinungsbild das, was sie meinen, dass die Gläubigen von ihnen erwarten, ohne Rücksicht darauf, ob es ihnen selbst entspricht. Sie würden meinen, dass die Botschaft aus vergangener Zeit nur mit Worten aus vergangener Zeit zu vermitteln sei. Bestenfalls erhoffen sie, damit den Menschen einen guten Dienst zu erweisen. Schlimmstenfalls ist ihre Verkündigung eine temporäre Verkleidung, angelegt, um Menschen zu täuschen.
Schwächen verbergen
Ein zweites biblisches Bild: Nach dem Essen der verbotenen Frucht im Paradiesgarten gehen Adam und Eva die Augen auf und sie erkennen ihre Nacktheit. Um diese Nacktheit zu verbergen, binden sie sich Feigenblätter um. Die ersten Kostüme der Bibel dienen demnach dem Verbergen eigener Unzulänglichkeiten.
Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz (Gen 3,7)
Solcherart kostümiert, hätte das Verstecken hinter dem Kostüm der Vergangenheit für die Boten der biblischen Botschaft den Vorteil, ihre eigenen Mankos nicht zeigen zu müssen, etwa die Unfähigkeit, eigene, authentische Worte zu finden, die aus der persönlichen Erfahrung entspringen, oder die eigene innere Leere. Ob das im Sinne der biblischen Botschaft ist, sei allerdings dahingestellt.
Sich über andere erheben
Ein drittes biblisches Bild: Die in den Evangelien kritisierten Pharisäer ziehen Jesu Kritik auf sich, weil ihr Außen nicht mit ihrem Innen zusammenstimmt. Wenn sie ihre „Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang“ machen (Mt 23,5), dient ihr „Kostüm“ dazu, sich von anderen abzuheben, angesehen zu sein und über anderen zu stehen. Weil oder obwohl in ihrem Inneren nichts ist, was dafür Grund geben würde.
„Ihr macht die Gebetsriemen breit und die Quasten … lang“
(Mt 23,5)
Werden die alten Kostüme von den Boten der biblischen Botschaft deshalb angelegt, dienen sie einzig und allein dem Machterhalt. Dann wird die biblische Botschaft einzementiert in eine Tradition, die sich der Veränderung verschließt und den Status quo der Mächtigen befestigt. Das wäre die folgenschwerste Kostümierung.
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Verfestigter Habitus
Ein viertes biblisches Bild: Der Kolosserbrief ruft dazu auf, alte Gewohnheiten und Identitäten abzulegen und Christus anzuziehen. In Kol 3,11 wird nicht mehr das Trennende („Da gibt es dann nicht mehr Griechen und Juden, Beschnittene und Unbeschnittene, Barbaren, Skythen, Sklaven, Freie …“ ), sondern die gemeinsame Ausrichtung auf ein größeres heilvolles Verbindendes („… sondern Christus ist alles und in allen“) angezielt. Dieses neue „Kostüm“ wird nicht bei Bedarf an- oder abgelegt, sondern bewirkt eine Transformation, die bleibt, ist also ein Kostüm im ursprünglichen Sinn: Das „Kostümieren“ (von ital.: costume bzw. lat.: consuetudo) als Anlegen eines Habitus, einer Gewohnheit, einer Sitte. Nicht das Verbergen, sondern im Gegenteil das Zeigen dessen, wer man ist, ist sein Sinn. Die Tragenden betonen und bekennen damit das, was sie sind oder werden wollen.
… ihr habt den alten Menschen mit seinen Taten abgelegt und habt den neuen Menschen angezogen …
(Kol 3,9–10)
Dennoch: Wenn sich dieser bekennende Habitus wieder in einem „Kostüm“ manifestiert, wird er anfällig für zeitlich geprägte neue Verfestigungen, die wieder mehr trennen als verbinden. Sichtbar wird das etwa am liturgischen Gewand: Die Albe, das weiße Untergewand des Priestergewandes, symbolisiert das „Christus-Anziehen“.[2]
Einst aus einem Alltagsgewand hervorgegangen, wirkt es heute altertümlich. Die hierarchisch genau definierten Gewandstücke darüber verundeutlichen zusätzlich diesen Habitus. Und nicht zuletzt macht die Tatsache, dass die Albe nicht allen Gottesdienstteilnehmer:innen zusteht, sondern nur einigen ausgewählten, das „Christus-Anziehen“ wieder nur zu einem trennenden statt verbindenden Symbol.
Legt die Kostüme ab!
Aus diesen Gründen lautet mein Plädoyer: Legt die Kostüme ab! Verzichtet auf jede Art von Kostümen, wenn ihr die biblische Botschaft weitertragen wollt.
… Ich kann in diesen Sachen nicht gehen, ich bin nicht daran gewöhnt …
(1 Sam 17,39)
Auch dazu ein biblisches Beispiel: David, der junge Hirtenknabe, der den Kampf gegen Goliat wagt, will sich zunächst als erfahrener Krieger präsentieren und legt die Rüstung von König Saul an. Als ihm diese aber erheblich zu groß ist, verzichtet er auf die „Verkleidung“ und tritt in seinem eigenen Gewand vor Goliat. Mit den Mitteln, die er in diesem Moment gerade zur Verfügung hat, besiegt er den Riesen.
Fazit
Auf Hollerichs Zitat bezogen: Würde die biblische Botschaft nicht am meisten gewinnen, wenn sie ohne feste Gewohnheit, ohne geprägte Sitte, ohne Habitus verkündet würde, einfach so, mit den Mitteln, die aktuell sind und gerade zur Verfügung stehen, ohne sich mit Traditionen vergangener Zeiten bewaffnen, tarnen oder schmücken zu müssen? Wenn sie von Personen vermittelt wird, die im Augenblick und im Hier und Jetzt da sind und das sind, was sie eben sind? Es ist Zeit die Kostüme abzulegen. Nicht erst am Aschermittwoch.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.
Bildnachweis: © pixabay
[1] Interview mit dem Bischof von Luxemburg, Hollerich am 24.1.2022. https://religion.orf.at/stories/3211006/
[2] Mein Dank gilt Ingrid Fischer, die mir das wieder bewusst gemacht hat.