Die Mitteleuropäische Provinz der Steyler Missionare hat sich ein neues Leitbild gegeben. P. Franz Helm (St. Gabriel/Österreich) stellt zentrale Aspekte des Leitbilds vor.
„Wer sich unserer Gesellschaft anschließt, muss bereit sein, in Erfüllung unseres missionarischen Auftrages dorthin zu gehen, wohin der Obere ihn sendet.“ So steht es in der Ordensregel meiner Ordensgemeinschaft, der Steyler Missionare. Vor fast 150 Jahren wurde diese katholische Missionsgesellschaft im holländischen Steyl gegründet. Daher die Bezeichnung „Steyler Missionare“, obwohl der offizielle Name „Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ ist. Weltweit sind wir derzeit fast 5.800 Ordensmitglieder, wovon – vor allem in Südostasien und Subsahara-Afrika – fast 1.000 junge Männer in Ausbildung sind. Mittlerweile stammt gut ein Viertel der Mitglieder aus Indonesien. Überhaupt sind mittlerweile beinahe alle unsere jungen Mitbrüder aus Ländern des globalen Südens. Weltweit verstreut auf über 70 Länder, leben und arbeiten Steyler Missionare in internationalen Gemeinschaften. Sie versuchen, interkulturell ihr Zusammenleben zu gestalten und zugleich verwurzelt in die Kultur des jeweiligen Landes zu sein. Eine große Herausforderung!
Ordensgemeinschaft in Europa ist international geworden
Anfang Januar 2024 hat das Provinzkapitel der „Mitteleuropäischen Provinz der Steyler Missionare“ stattgefunden. Zu dieser Provinz gehören rund 100 Ordensmissionare, die in Gemeinschaften am Stadtrand von Paris, in der Schweiz, in Österreich und in Kroatien leben. Ein Blick auf die Teilnehmer des Kapitels (siehe Beitragsbild!) macht sichtbar, wie international unsere Ordensgemeinschaft mittlerweile auch in Europa geworden ist. Neben Schweizern, Österreichern, Polen und Slowaken, die fast durchwegs älteren Semesters sind, bereichern Mitbrüder aus Kongo, Benin, Togo, Ghana, Brasilien, Mexiko, Indonesien, Indien und den Philippinen das Bild.
Die Entwicklung zur Internationalisierung unserer Ordensprovinzen in Europa hat erst vor gut 30 Jahren eingesetzt. Erst im Jahr 1990 wurde beschlossen, dass das Generalat des Ordens auch nach Europa Neumissionare schicken sollte.[1] Einerseits war der sich abzeichnende Personalmangel durch das Ausbleiben von Ordensnachwuchs in Westeuropa der Grund dafür. Andererseits hatte sich auch die Einsicht durchgesetzt, dass es auch in Europa viele „missionarische Situationen“ gab. Begonnen hat es mit Holland, wo junge Mitbrüder aus Übersee kamen, um in der Migrantenseelsorge und in multikulturellen Pfarreien zu arbeiten. Mittlerweile stammen von den 900 Steyler Missionaren in Europa 300 aus dem globalen Süden, und in der Mitteleuropäischen Provinz sind es gut ein Viertel.
Wo und wie müssen wir präsent sein, um das mitfühlende Erbarmen Gottes sichtbar zu machen?
Auf dem Provinzkapitel wurde ein neues Leitbild für unsere Mission beschlossen.[2] Voran steht ihm der Kernsatz: „Gerufen von der Liebe Christi, fühlen wir uns gedrängt, als Missionare des Göttlichen Wortes in den vielfältigen Wunden unserer Zeit etwas vom mitfühlenden Erbarmen Gottes in dieser Welt erlebbar zu machen.“ Darin klingt das Motto des vergangenen Generalkapitels unseres Ordens an: „Die Liebe Christi drängt uns“. Und es blickt voraus auf das kommende Generalkapitel, das heuer stattfindet: „Lasst eurer Licht vor den Menschen leuchten. Treue und kreative Jünger in einer verwundeten Welt.“ Das Leitbild greift also auf, was weltweit in unserer Ordensgemeinschaft derzeit reflektiert wird. Zugleich bemüht es sich aber darum aufzuzeigen, wohin Christi Liebe uns in West- und Mitteleuropa drängt. Wo und wie müssen wir präsent sein, um das mitfühlende Erbarmen Gottes sichtbar zu machen? Benannt werden in der Folge vor allem der Schrei der Erde und der Menschen am Rand, also die ökologischen und sozialen Herausforderungen. „So werden prophetischer Widerstand, ökologische Umkehr und nachhaltiges Leben für uns zu grundlegenden Prinzipien,“ heißt es da unter anderem.
Das Leiden unserer Mitgeschöpfe, die Krisen unserer Zeit und die schwindende Bedeutung von Kirche und Ordensleben fordern uns heraus.
Der christlichen Mission wird im Blick auf die Geschichte manchmal vorgeworfen, dass sie triumphalistisch, selbstüberheblich und vereinnahmend sei, indem anderen allgemein gültige ewige Wahrheiten aufgezwungen und Religionen und Kulturen bekämpft und zerstört werden.[3] Unser Leitbild steht in scharfem Kontrast zu diesen Haltungen und Vorgangsweisen, aus einem wachen Bewusstsein für die Geschichte, für eine evangeliumsgemäße jesuanische Haltung und für eine dem Zweiten Vatikanischen Konzil verpflichtete Auffassung von der Mission heraus. Mission wird dialogisch verstanden. Mehrere Absätze des Leitbildes beginnen mit einem bewussten Anknüpfen an der Wirklichkeit, die uns umgibt. Das Leiden unserer Mitgeschöpfe, die Krisen unserer Zeit und die schwindende Bedeutung von Kirche und Ordensleben fordern uns heraus.
In diesem Kontext wollen, ja müssen wir unsere Mission leben. Und wir leben diese Mission nicht allein, sondern vernetzt, in Weg- und Sendungsgemeinschaft mit vielen. Benannt werden die Steyler Missionsschwestern genauso wie Menschen, die unsere Spiritualität und unser Charisma interessant finden und teilen. Darüber hinaus ist aber auch die Rede von NGOs, die vielleicht in kirchenfernen Bereichen tätig sind, sich aber für Gerechtigkeit, Friede und ökologische Transformation einsetzen und so – in unserer Sichtweise – Partner:innen unserer Mission sind, ja vielleicht sogar Lehrmeister:innen für unseren Einsatz für das Reich Gottes.
Notwendigkeit der eigenen Umkehr.
Das Leitbild benennt auch die Notwendigkeit der eigenen Umkehr, denn „in all den Krisen unserer Zeit wissen wir um unseren eigenen, dunklen Anteil als Menschen, Kirche und Gesellschaft.“ Wir sehen uns „als lebenslang Lernende“, wollen uns um eine „Haltung der Unterscheidung der Geister“ bemühen und Vergebung, Versöhnung und gegenseitige Wertschätzung einüben. So wissen wir uns als Teil einer Kirche, die der eigenen Erneuerung bedarf, um ihre Sendung leben zu können.
Manchmal lassen wir uns vereinnahmen von großen Strukturen.
Uns ist bewusst, dass wir uns manchmal vereinnahmen lassen von großen Strukturen, die wir zu verwalten haben und die viele Kräfte nach innen binden. Dazu gehören zum Beispiel das Missionshaus St. Gabriel in Mödling bei Wien (Österreich) oder das Missionshaus Mariahilf in Steinhausen bei Zug (Schweiz). Viel ist in unserer Provinz schon geschehen durch die Übergabe von Häusern und Institutionen in neue Trägerschaften und durch Umstrukturierungen. Aber die Herausforderung bleibt. Auch in der Verwaltung der Pfarren, in denen die Mehrzahl der aktiven Mitbrüder tätig ist, müssen wir uns vor allem ausrichten auf die Nöte der Menschen und auf das Erfahrbarmachen des Erbarmens Gottes, und nicht auf das Aufrechterhalten von Strukturen und Abläufen. Denn diese sind vielleicht allzu fern vom Leiden der Mitgeschöpfe und der Menschen am Rand angesiedelt. Das Leitbild will herausfordern, „inspiriert vom Leben spendenden Wort Gottes“ in einem „ständigen Aufbruch“ zu leben.
Die Wirksamkeit der christlichen Mission hat mit ihrer Relevanz zu tun. Sind wir präsent, wenn es um wesentliche Zukunftsfragen der Menschen geht? Wo sind wir Christ:innen beim Einsatz für die bedrohte Demokratie, bei der Solidarität mit geflüchteten Menschen, beim Schaffen lebensfreundlicher Räume für zukünftige Generationen, beim Verteidigen fruchtbaren Bodens gegen die Asphalt- und Betonwüsten, die sich ausbreiten? Gelingt es uns Steyler Missionaren, das liebende Erbarmen Gottes in diesen Räumen sichtbar zu machen? Das sind die Fragen, die uns anleiten müssen, um gut in die Zukunft zu gehen und unsere „Mission in Europa“ glaubwürdig zu leben.
[1] https://www.orden.de/dokumente/1._Ordenskorrespondenz/2015_2/Dokumentation/Tauchner_Europa-Missionsland.pdf, S. 475.
[2] https://www.steyler.at/at/aktuelles/meldungen/2024/Neues-Leitbild-der-Mitteleuropaeischen-Provinz.php
[3] Für einen differenzierten Blick auf die Missionsgeschichte, vgl. https://www.ordensgemeinschaften.at/kultur/miko/miko2/beitraege/article/164.html
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Der Steyler Missionar Pater Franz Helm ist Missionswissenschaftler mit Brasilienerfahrung. Er war in der Ordensausbildung, im Medienbereich und in der Jugendpastoral tätig und nahm verschiedene Leitungsaufgaben wahr. Derzeit ist er in seiner Ordensgemeinschaft Koordinator für die Zone Europa und für Gerechtigkeit, Friede und Bewahrung der Schöpfung.
Beitragsbild: (C) Adrian-Gegi-SVD, Provinzkapitulare