Schwester Birgit Weiler, offizielle Expertin der Amazoniensynode, berichtet in den nächsten Wochen für feinschwarz.net direkt aus Rom. Hier lesen Sie ihre Einschätzung vor Beginn der Synode.
Die Erwartungen an die Bischofssynode zu Amazonien in Rom (6. bis 27.10. 2019) sind sehr hoch, zum Teil überhöht. Allerdings ist in der zweijährigen Vorbereitungszeit, die Teil des synodalen Weges war, Vieles geschehen, was hoffen lässt. Am synodalen Prozess beteiligten sich etwa 80.000 Menschen in regionalen Versammlungen und überregionalen Themenforen. Sie repräsentierten die verschiedenen Bevölkerungsgruppen Amazoniens. Insbesondere die indigenen bzw. ursprünglichen Völker (pueblos originarios) brachten ihre Stimmen ein. Die wesentlichen Ergebnisse des Konsultationsprozesses sind in das Arbeitsdokument (Instrumentum Laboris = IL) für die Synode eingegangen.
Erkennen der Zeichen der Zeit
Es ist auffallend, wie häufig im Dokument vom Hören (“escucha”), im Sinne von Hinhören und Zuhören, die Rede ist. Es handelt sich um ein aufmerksames Hin- und Zuhören, das transformierend wirkt und mit einem gründlichen Hinsehen verbunden ist. Es geht um ein Erkennen der Zeichen der Zeit. Gemeinsam mit vielen Teilnehmer/innen habe ich erfahren, dass sich die Beratungen in großer Offenheit für Gottes Geist und das, „was er den Gemeinden zu sagen hat“ (Apg 2,7) vollzogen. Darin reifte die Erkenntnis, dass die Kirche, indem sie „beiden, den Völkern und der Natur, [zuhört], geographisch und strukturell zu einer Kirche im Aufbruch [wird].“ (IL 92)
Im Folgenden möchte ich wesentliche Themen und Inhalte aufführen, die im gemeinsamen Prozess des Hinhörens benannt und ins Arbeitsdokument aufgenommen wurden.
Überwältigende Lebensvielfalt und extreme Bedrohung Amazoniens
Das gesamte Amazonasgebiet dehnt sich über eine sehr weite Fläche aus, die 17 mal so groß ist wie Deutschland. Es beherbergt ein Drittel aller Urwälder der Erde und ist eine der an Biodiversität reichsten Regionen auf dem Globus. Wie bekannt, ist Amazonien die größte grüne Lunge der Erde und eine unentbehrliche CO2-Senke sowie ein wichtiger Süßwasserspeicher und hat global eine klimaregulierende Funktion.
Etwa 33 Millionen Menschen leben in diesem Gebiet, von denen 3 Millionen Indigene sind. Insgesamt ist die Bevölkerung Amazoniens kulturell sehr heterogen. So verschieden wie die Bevölkerungsgruppen sind auch ihre Lebenskontexte, in denen sich jeweils verschiedene Kulturen herausgebildet haben.
friedlicher Widerstand
Mit seiner Fülle an Lebensvielfalt ist Amazonien zugleich eines der verwundbarsten Gebiete weltweit und in seinem Bestand extrem bedroht. Denn dort wird weitgehend eine extraktive Wirtschaftsweise praktiziert, um den weltweiten Rohstoffhunger zu stillen. In den synodalen Beratungen wurde vielerorts beklagt, dass in Amazonien ein Wirtschaftssystem dominiert, das alles zur Handelsware macht, die Natur und die Menschen, wie es insbesondere der skrupellose Frauenhandel zeigt, und das ganz auf Gewinnmaximierung ausgerichtet ist. Amazonien droht bereits an mehreren Orten ökologisch zu kippen. Menschen, die gegen ökologisch und sozial unverantwortliche Praktiken friedlich Widerstand leisten, werden häufig kriminalisiert und bedroht. Viele sind bereits ermordet worden. Die Dringlichkeit der gegenwärtigen Situation und ihre Herausforderung für die Kirche ist der primäre Grund für die Amazonassynode.
Den Klageschrei der Erde und der Armen hören
Diese Realität erfordert von den Ortskirchen, den „Klageschrei der Erde und der Armen“ (IL 4) zu hören sowie im Licht des Glaubens „als prophetisch-samaritanische Kirche“ (IL 43) darauf zu antworten und daher „eine aufrichtige Option für die Verteidigung des Lebens, die Verteidigung der Erde und die Verteidigung der Kulturen zu bekräftigen“ (IL 49)[1]. Die Synode ist Ausdruck der Selbstverpflichtung seitens der Kirche Amazoniens, mit Ausdauer dafür zu arbeiten, die zentralen Impulse von Laudato Si´ für eine ganzheitliche Ökologie gemeinsam mit vielen anderen Akteuren in dieser Region in die Praxis umzusetzen. Allerdings verlangen der Erhalt Amazoniens und eine gute Zukunft für seine Völker auch die Solidarität und tätige Verantwortung der weltkirchlichen Gemeinschaft.
Amazonien als theologischer Ort
Für die Menschen in Amazonien, ganz besonders für die indigenen Völker, ist der konkrete physische Ort, mit dem sie verbunden sind, el territorio – das Territorium, ein Ort, der „das Leben möglich macht, [es] unterhält und [ihm] Grenzen [setzt]“ (IL 19). Daher ist der konkrete Ort Kontext des Glaubens und Kirche-Seins, er ist „ein theologischer Ort, von dem aus man den Glauben lebt, ein besonderer Quellgrund für die Offenbarung Gottes“ (IL 19). Die Räume Amazoniens „sind Orte von ‚Epiphanie’, von Gotteserfahrung [sowie von] Leben und Weisheit, die von Gott sprechen“ (IL 19). Darum sind sie Orte mit besonderer Dignität.
Dignität des Ortes und ekklesiologische Vielfalt
Im Arbeitsdokument findet sich die starke Aussage, dass „die Sache von Gerechtigkeit und Andersseinkönnen (Alterität) Sache des Reiches Gottes [ist]“ (IL 37). Im Licht der Inkarnation bedeutet dies, dass sich an den jeweiligen Orten verschiedene Denk-, Lebens, und Glaubensweisen ausprägen. Sie bereichern die Weltkirche, indem sie diese vielgestaltiger werden lassen. Es geht um praktizierte Einheit in der Vielfalt. Im Arbeitsdokument kommt die Komplexität der kirchlichen Arbeit in Amazonien klar zum Ausdruck. Dieser Ort mit seinen geographischen, ökologischen und sozio-kulturellen Eigenheiten verlangt mutige und kreative Antworten auf die spezifischen pastoralen Gegebenheiten, Bedürfnisse und Herausforderungen. Es braucht Freiheit im Glauben, um als Ortskirchen kreativ und situativ nach Lösungswegen angesichts der pastoralen Probleme zu suchen.
Dienstämter im Hinblick auf die Bedürfnisse vor Ort
Dazu bedarf es verschiedener pastoraler Dienste und Dienstämter im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gemeinden vor Ort. Nur so kann eine Kirche mit amazonischem Angesicht entstehen. Zu den Realitäten Amazoniens gehört, dass oft eine große geographische Distanz zwischen den Gemeinden besteht und viele nur schwer zugänglich sind. In den Konsultationen haben die Menschen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich eine Kirche wünschen, die viel stärker vor Ort präsent und mit dem alltäglichen Leben der Menschen in Berührung ist. Daher wird im Arbeitsdokument gefordert: „Wir müssen die ‚Kirche, die zu Besuch kommt’ umwandeln in eine Kirche, die bleibt’, da ist und begleitet, und zwar durch Beauftragte, die aus den Kreisen der Ortsansässigen selbst stammen” (IL 129). Das erfordert, „die Berufungen von Männern und Frauen aus den ursprünglichen Völkern [zu] fördern, um den Bedürfnissen pastoral-sakramentaler Begleitung zu entsprechen“ (IL129,1).
Um jedoch von einer Besuchspastoral zu einer Pastoral der bleibenden Präsenz unter den Menschen zu gelangen, ist die Frage nach den Zulassungskriterien für die kirchlichen Ämter unumgänglich. Das Arbeitsdokument spricht ausdrücklich von der „Überzeugung, dass der Zölibat ein Geschenk für die Kirche ist“ – eine Aussage, die in der heftigen Kritik kirchlich stark konservativer kirchlicher Kreise am Arbeitsdokument geflissentlich übergangen wird – und bittet in dieser Überzeugung „im Blick auf die entlegendsten Gebiete der Region die Möglichkeit zu prüfen, ältere Menschen, [vorzugsweise Indigene] zu Priestern zu weihen.“ (IL 129, a) 2.) Hier stehen an erster Stelle die Bedürfnisse der Gemeinden.
kein neuer Klerikalismus
Bezeichnenderweise wird von älteren „Menschen“ und nicht „Männern“ gesprochen. Aufgrund der allseits bekannten lehramtlichen negativen Aussagen zum Weiheamt für Frauen wird das Thema ausschließlich im Sinn der „viri probati“ diskutiert. Es wäre schon ein Schritt nach vorn, wenn der Kirche Amazoniens erlaubt würde, neue Wege im Hinblick auf die mögliche Weihe älterer Männer zu erkunden. Freilich sind hier noch viele Aspekte zu bedenken. So sollte z.B. bei der inhaltlichen Bestimmung des vorgeschlagenen kirchlichen Dienstamtes darauf geachtet werden, dass diese nicht zur Klerikalisierung und nahezu völligen Zentrierung auf die Sakramentenspendung führt.
Das Arbeitsdokument erkennt „die tragende Rolle, die Frauen heute in der Kirche Amazoniens wahrnehmen“ (IL 129, a) 3.) an und fordert die Kirche indirekt dazu auf, „ein offizielles Dienstamt zu bestimmen, das Frauen anvertraut werden kann.“ Das ist sehr vorsichtig formuliert. Realistisch betrachtet wäre schon viel gewonnen, wenn in Zukunft Frauen viel mehr als bisher in Leitungsaufgaben in der Kirche Amazoniens, die keiner Weihe bedürfen sowie in die theologische Lehre und das theologische Arbeiten in der Region miteinbezogen würden. Neue Wege für die Kirche zu erkunden erfordert auch, den „Prozess der Inkulturation“ (EG 126) zu vertiefen sowie interkulturelle Beziehungen zu fördern. Hier liegt eine weitere Herausforderung für die Kirche vor Ort und für die Weltkirche, die noch auf dem Weg ist, wahrhaftig von einer eurozentrischen zu einer Weltkirche zu werden.
Der synodale Weg in Amazonien, ein „Dialog von unten nach oben“
Der synodale Weg in Amazonien war geprägt von der Praxis eines „Dialogs von unten nach oben“, der im Licht der Option für die Armen eben diese Armen als Subjekte ernst nimmt. Von dieser Erfahrung bestärkt, erhofft sich die Kirche Amazoniens Lernbereitschaft aller, insbesondere aber von Seiten der Bischöfe und Priester, um gemeinsam den Klerikalismus zu überwinden. Die Dialogerfahrung auf dem synodalen Weg hat die Teilnehmenden zu folgender Glaubensaussage geführt: „Wir können sagen, dass der Dialog, wie die Geburtsstunde der Kirche, ein Pfingstereignis ist, bei dem die Suche nach der eigenen Identität der Einheit im Heiligen Geist zustrebt.
Identität aus der Begegnung mit Anderen
Wir entdecken unsere Identität aus der Begegnung mit dem Anderen, aus Unterschieden und Gemeinsamkeiten, die uns die undurchdringliche Wirklichkeit und das unergründliche Geheimnis der Anwesenheit Gottes offenbaren.“ (IL 40) Daher besteht die starke Hoffnung und Erwartung, dass die Synode in Rom mit großer Dialogbereitschaft und Offenheit für Gottes Geist mutig neue Wege beschreiten wird, die Einheit in der nötigen Vielfalt ermöglichen. Darin könnte sie dann eine Ermutigung für Kirche an anderen Orten sein, neue Wege in ihrem jeweiligen Kontext zu erkunden, das Evangelium in Wort und vor allem Handeln glaubwürdig zu leben.
Prof. Dr. Birgit Weiler gehört dem Orden der Missionsärztlichen Schwestern an. Als Spezialistin für indigene Theologien lehrt sie systematische Theologie an der Jesuiten-Universität Antonio Ruiz de Montoya in Lima/Peru und nimmt als vom Papst ernannte Expertin an der Amazoniensynode teil.
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[1] Es ist ein Zitat aus der Rede von Papst Franziskus in seiner Begegnung mit den indigenen Völkern in Puerto Maldonado, Amazonasgebiet Perus, im Jahr 2018.