Zu Rainer Buchers und Hans-Joachim Sanders Analyse der existentiellen Gefährdung der katholischen Kirche ein Leserbrief von Helmut Waltersdorfer, Neuhofen an der Krems.
Der „Kipppunkt“ der katholischen und anderer christlicher Kirchen ist längst überschritten. Der Diagnose, dass es sich um eine Verharmlosung der Situation der christlichen Kirchen handelt, wenn man von „Krise“ spricht, kann ich nur zustimmen. Aber es ist noch viel schlimmer. Denn es zeichnet sich kein Wendepunkt ab, sondern die Krise mündet direkt in die Katastrophe, weil die Themen, mit denen sich die Kirchen beschäftigen am Kern der Problematik vorbei gehen, ja ganz und gar die falschen sind: Organisation, Macht, Nabelschau, Klerikalismus, Missbrauch, alter Messritus, Papst gegen Kurie, Konservative gegen Progressive, Zulassung zur Kommunion, verheiratete Priester, usw. Ehrlich gefragt: Wen interessiert das noch? Da Jesus keine Kirche gegründet hat, bräuchte er sich dieser nicht zu schämen, aber er würde ganz bestimmt vehement gegen die Kirchen auftreten.
Das “Evangelium“, an das sich viele noch als rettenden Strohhalm klammern, ist nicht mehr zeitgemäß. Abgesehen davon, dass Paulus die Aussagen Jesu mit seiner Christologie zugedeckt, ja zum Teil sogar verfälscht hat, hat Jesus in einer ganz anderen Zeit gelebt. Er hatte buchstäblich keine Ahnung von unserer Zeit, mögen seine Botschaften auch noch so zeitlos sein, sind sie doch sehr allgemein und bedürfen einer zeitgemäßen Konkretisierung.
Darüber hinaus sind viele, auch dogmatisch festgezurrte Begriffe, wie die Erlösungstat Jesu, Gottessohnschaft, Himmelfahrt, Dreifaltigkeit, Königtum Jesu, eschatologische Erlösungslehre, Transsubstantiation, usw., milde ausgedrückt, befremdend, ja sogar komplett unverständlich und irrelevant für ein gelingendes Leben. Es braucht neue Inhalte, und diese sind leider nur ganz vereinzelt in Sicht. Vielleicht sind die offene Tischgemeinschaft und die Zuwendung Jesu zu den Menschen, z.B. Thema Fußwaschung, gute Ansatzpunkte für einen bescheidenen Neuanfang der christlichen Kirchen.
Helmut Waltersdorfer, Neuhofen an der Krems