Der Beitrag von Andreas Odenthal über die Hedwigskathedrale in Berlin hat Alexander Bergel (Osnabrück) zu einer kritischen Replik herausgefordert.
„‘Bitte nicht berühren‘. Die Verbote sind der Neugestaltung durch Leo Zogmayer geschuldet, die auf jegliche Abschrankungen oder Stufenanlagen verzichtet.“ Ich glaube, hier liegt schon die erste diskussionswürdige These vor, denn die Verbote sind, so würde ich es sehen, nicht der Umgestaltung durch Leo Zogmayer geschuldet, sondern der kirchenverwaltenden Sorge, ein zu schützendes Heiliges den Berührungen der Menschen entziehen zu müssen. Dieses Phänomen begegnet einem allerdings in sehr vielen Kirchen, ganz gleich, welche (liturgie-) theologische Konzeption dahintersteht.
Kleriker-Laien-Antagonismus, der ziemlich abenteuerlich daherkommt.
Eines ist meist ähnlich: Ästhetisch sind solche Hinweise selten ansprechend. Mal liegen Papp- oder laminierte Schilder auf dem Boden, mal begegnet dem erstraunten Betrachter eine stehende Aufforderung aus dem großen Bereich der Plastikaufsteller-Industrie. Das ist, meine ich jedenfalls, schon die ganze Pointe. Der Autor entwickelt jedoch anhand dieser ästhetischen Geschmacklosigkeit, die vielleicht sogar (von mir aus auch klerikale) „Noli-me-tangere-Affekte“ enthält, einen Kleriker-Laien-Antagonismus, der ziemlich abenteuerlich daherkommt.
Odenthal schreibt: „Zuerst steht die alles entscheidende Frage im Raum: Wieso darf der Altar eigentlich nicht berührt werden?“ Die Frage ist richtig gestellt. Wenn der Altar Realsymbol für Christus ist, muss es berührbar sein. Sollte das Berührungsverbot jedoch der Sorge entspringen, jemand würde dort ungeniert seine schmierigen Pommes ablegen, sollte man dies vielleicht mit einem freundlichen Hinweis im Eingangsbereich der Kathedrale zum Ausdruck bringen. Das sieht offensichtlich auch Odenthal so, ist aber nicht sein Problem.
Der Autor macht ein ganz anderes Fass auf: „Gilt das Verbot für alle? Offensichtlich nicht, denn die Kleriker müssen doch im Gottesdienst den Altar berühren und an ihm handeln können.“ Es folgt ein kurzer Gang durch die mittelalterliche „Reine-Hände-Theologie“. Dass dieses völlig überhöhte und dem Christentum wenig entsprechende Motiv in eher traditionalistischen Kreisen nach wie vor fröhliche Urständ feiert, ist bekannt und vermutlich nicht zu ändern. Liturgietheologisch hat dieses Motiv allerdings nicht erst seit den Forschungen eines Arnold Angenendt keinen wirklichen Sitz mehr im Leben.
Der Hinweis auf die vielen Täter im Raum der Kirche und deren Hände ist sicher ein zu diskutierender Punkt. Ich frage mich nur: Ist hier der Ort dafür? Unbestritten ist und bleibt: Was durch Täter im klerikalen Gewand, gleich welcher Rangfarbe, geschehen ist und immer noch geschieht (zumindest im Relativierungs- und juristischen Schacher-Bereich), ist ein Armutszeugnis und vor allem dies: ein Schlag ins Gesicht vieler Betroffener. Den weiter zu führenden Diskurs würde ich jedoch nicht an postulierten Grenzen in einer neugestalteten Kathedrale festmachen.
Der Ort der Kathedra muss nicht automatisch widerspiegeln, wie der, der auf ihr Platz nimmt, denkt.
Mit Blick auf diesen Feierraum wird es allerdings nun richtig abenteuerlich. „Die Hedwigskathedrale“, so schreibt der Autor zurecht, „ist als ein Communio-Raum geplant, der Klerus und Laien geradezu synodal verbinden soll, aber unvermittelt stellen sich in diesem Raum die Grundkonflikte unserer Kirche dar: die Frage nach Grenzen und Grenzverlust, Missbrauch, die Klerus-Laie-Dynamik, ein Ringen um eine synodale Gestalt unserer Kirche, die Zuordnung von Hierarchie und Macht.“
Ist das wirklich so? Mir kommt es eher so vor, als sei hier vor allem der Wunsch der Vater des Gedanken. Unbenommen: Die Grundkonflikte, wie sie sich im „Ringen um eine synodale Gestalt unserer Kirche“ zeigen, bleiben offensichtlich und wirkmächtig. Ein Raum kann zum Symbol dessen werden, was die, die ihn nutzen und – leitend – mit Leben füllen, zum Ausdruck bringen.
Der Ort der Kathedra muss daher nicht automatisch widerspiegeln, wie der, der auf ihr Platz nimmt, denkt. (Was dies zum Beispiel mit Blick auf den neuen Standort der Kathedra im Dom zu Osnabrück – nicht mehr mittig zwischen Hochaltar und Altar, sondern auf Altar- und damit etwas mehr auf Augenhöhe mit dem zur Liturgie versammelten Volk Gottes – für die bisher eigentlich ganz gute synodale Struktur in meinem Heimatbistum Osnabrück unter Leitung von Bischof Franz-Josef Bode bedeuten wird, nachdem sein Nachfolger Dominicus Meier OSB die Kathedra etwas „augenhöhiger“ umstellen ließ, bleibt abzuwarten.)
Besteht die Kunst, Liturgie zu feiern, nicht auch darin, Grenzen wahrzunehmen?
In Berlin jedenfalls sieht Andreas Odenthal vor allem eines: verletzte Grenzen. Besteht die Kunst, Liturgie zu feiern, nicht auch darin, Grenzen wahrzunehmen – und zwar egal, in welchem Raumgefüge ich mich bewege –, sie mitunter auch zu setzen, immer aber und vor allem darin, mit ihnen kreativ umzugehen? Dazu gehören natürlich sowohl ein Wissen um das liturgische Gefüge, die Sicherheit im Ritus, ein Gespür für Sprache und Symbolik – und zu guter Letzt und zuallererst eine Beziehung zu den Menschen, die in all ihrer Unterschiedlichkeit im Gotteshaus versammelt sind: sei es als Getaufte mit hoher Identifikation, sei es als Menschen, die nicht so genau wissen, was dort passiert, sei es als Zuschauende, die, aus touristischen oder welchen Gründen auch immer, diesen Raum betreten haben.
Odenthal schreibt, und da ist ihm sicher zuzustimmen: „Ohne Grenzen geht es nicht. Erst, wenn Grenzen sicher sind, ist im Kirchenraum eine heilsame Berührung zwischen Laien und Klerikern, zwischen ihnen allen und dem Transzendenten im Ritual oder in Stille möglich, und die Herzen der Menschen werden erreicht – in der unfasslichen Gegenwart des Gekreuzigt-Auferstandenen.“ Dazu bedarf es meines Erachtens aber keiner Chorschranken, auch keiner Stufenanlage. Es braucht handelnde Akteure, die wissen, was sie tun. Und eine Mystagogie, die denen, die sich ihr öffnen mögen, Augen und Herzen aufgehen lassen.
Natürlich kann man die Frage stellen, ob der Ambo mit der Kathedra im Rücken einen idealen Ort gefunden hat. Der Ort des Altars im Zentrum ist neben dem architektonisch naheliegenden Impuls natürlich auch eine christologische Aussage. Und warum auch nicht? Dem dahinterstehenden Priester kann (und sollte!) es hier wie in jedem anderen Raum nicht darum gehen, sich selbst zum Zentrum zu machen, und er sollte sich auch nicht zu einem solchen machen lassen. Eigentlich müsste man das nicht mehr eigens erwähnen.
Bemerkenswert, um es gelinde auszudrücken, finde ich die vom Autor kurz vor der Schlusskurve skizzierte grundsätzliche Kritik an der Liturgischen Bewegung, „die das Diktum der tätigen Teilnahme stark gemacht hat“, und folgerichtig an der „Communio-Theologie des letzten Konzils“, die Odenthal insgesamt als zu hinterfragen bezeichnet. Warum? Aus seiner Sicht ganz einfach: „Es zeigt sich nämlich, dass die Aufwertung des Laien seit dem 20. Jahrhundert strategisch war: Durch die Bindung der Laien an den Priester ging es letztlich darum, dessen Rolle sakramental-liturgisch zu zementieren. Wiederum: Tätige Teilnahme ja, aber auf Anweisung und nach Vorgaben der Hierarchie. Ganz ähnlich ist der Communiobegriff kritisch darauf hin zu befragen, inwieweit er die ambigue Dynamik von Bindung und Trennung durch Spaltung außer Kraft setzt und so ein nicht stimmiges Idealbild von Gemeinschaft vermittelt.“
Arme Hedwigskathedrale! Ich bin mir unsicher, ob Odenthals fundamentaler Beschuss auf dieses Gebäude nicht gehörig übers Ziel hinausschießt. Natürlich lässt sich auch weiterhin über dieses und jenes trefflich streiten (über die Frage zum Beispiel: Warum gibt es im Hauptraum keine wirklichen Rückzugsorte für das private Gebet?). Aber für eine grundlegende Kritik an dem, was wir der Liturgiereform des 2. Vatikanischen Konzils zu verdanken haben (Stichwort: „Konzil der Buchhalter“), taugt St. Hedwig nicht. Wenn ich Liturgiewissenschaftlerkollege wäre oder Dompropst oder Erzbischof von Berlin – ich wüsste, wen ich bald mal anrufen würde.
Alexander Bergel, Osnabrück
Originalbeitrag:
“Bitte nicht berühren“. Kritische Gedanken zur Neugestaltung der Berliner Hedwigskathedrale