Den Beitrag von Christiane Bundschuh-Schramm: „Ich bin wütend und müde!“ vom 25.6.2016 nimmt Stefan Vesper (Bonn) zum Anlass für einen Leserbrief. Darin benennt er von seiner persönlichen Erfahrung ausgehend Grenzen und Möglichkeiten der konkreten Gemeinde- und Kirchengestaltung vor Ort.
Ihr Text, liebe Frau Bundschuh-Schramm, in Feinschwarz-net hat mich sehr angesprochen. Ich kaue noch dran rum – und das spricht für einen guten Text, von dem man etwas hat. Dieses ist eine kleine Rückmeldung in aller Begrenztheit.
Ich war zwei Jahre im Ausland für die europäische Katholische Kirche tätig. Ich habe dort, aufgewachsen als „rheinischer Katholik“, meine eigene katholische Weltkirche neu kennengelernt, und – sozusagen – einmal „von aussen“ angeschaut… Das hat vieles bei mir aufgebrochen. Diese Erfahrung ist übrigens fast 20 Jahre her und prägt immer noch.
Manches an „Ich bin wütend und müde“ scheint mir darin zu liegen, dass man mit aller Macht etwas verändern will – allerdings aus „deutscher“ Sicht, aus „deutscher“ Perspektive, nach „deutscher“ Lesart, etwas verändern will, was nicht in unserer Macht liegt. Man verkämpft sich an etwas, auf das man nur geringen Einfluss hat, man verhärtet.
Manches erlebe ich als institutionalisierte Überforderung.
Sie schreiben: „Seit dem Konzil gibt es nämlich ein großes Resonanzversprechen, dass das Volk Gottes Kirche ist und daher wirksam Kirche gestalten, mit eigener Stimme sprechen kann und dies eine wirksame Wechselwirkung erzeugt.“ Ja, das leuchtet ein, ist aber doch gegeben, in meinem Rahmen, mit meinen Mitteln, in der Kirche vor Ort, an meinem Platz. Ich kann allerdings keinen wirksamen Einfluss auf die Zusammensetzung der vatikanischen Kommission zum Diakonat nehmen, geschweige denn auf ihre Ergebnisse. Manches erlebe ich als institutionalisierte Überforderung. Wir Deutschen lesen alles genau, wollen alles umsetzen, wollen alles verändern. Der italienische, der französische, der belgische Katholik nimmt das alles gelassener…
Unterschiedliche Lebenswelten und Kulturen und Sichtweisen haben ihr Recht, das weltweite Volk Gottes tickt vielfältig.
Und: Dass wir eine Weltkirche sind ist keine „Ausflucht-für-die-die-hier-sowieso-nichts-ändern-wollen“, sondern ist eine Realität, es gehört zu unserer D N A als katholische Kirche, es ist ein Geschenk. Die Bischofssynoden unter Franziskus haben gezeigt, wie schwer der weltweite Dialog ist. Aber unverzichtbar – und übrigens in unserer Weltgesellschaft einmalig und einzigartig. Wenn nicht nur die Bischöfe, sondern das ganze Volk Gottes miteinander synodal ins Gespräch kämen, wäre es übrigens nicht einfacher. Unterschiedliche Lebenswelten und Kulturen und Sichtweisen haben ihr Recht, das weltweite Volk Gottes tickt vielfältig. Und sammelt sich doch vereint an Seinem Tisch.
Wenn ich Ihren Satz lese „Umso größer aber das Versprechen umso größer die Erwartungen derer, die nach dem Konzil mit Verve angetreten sind, diese Kirche zu gestalten, zu prägen und auch zu verändern – hauptamtlich wie ehrenamtlich“, dann sehe ich zwei sehr unterschiedliche „Radien“:
Im großen Radius teile ich persönlich manche der hier mitgeteilten Enttäuschung: Ja, die Kirche bewegt sich sehr langsam oder auch gar nicht, siehe die (sieht man von der m.E. großen Bedeutung des Dialogs ab) für uns bescheidenen erscheinenden Ergebnisse der Familiensynode, siehe wiederverheiratetet Geschiedene, siehe eine stärkere Einbeziehung der Charismen der Frau in unserer Kirche. Ja, das sehe ich, hier bewegt sich viel zu wenig. Vor allem frage ich: Wie wird es Papst Franziskus und seinen Unterstützern gelingen, möglichst viele seiner Reformwünsche auch in Strukturen und vor allem auch in geltendes Kirchenrecht umzusetzen?
Gehen wir noch mit ihm nach Emmaus und „brennt unser Herz“?
Im kleinen Radius allerdings frage ich mich: Ist es auf Gemeinde- und Diözesanebene wirklich unmöglich, „diese Kirche zu gestalten, zu prägen und auch zu verändern – hauptamtlich wie ehrenamtlich“? Einmal abgesehen davon, dass jeder auch das Recht hat, nach großen Herausforderungen und nach einer langen Wegstrecke einmal müde zu sein und erschöpft: Haben wir nicht in Kirche und Welt, in unserer Stadt und Pfarrei große Möglichkeiten zur Wirkung entsprechend unseren Gaben? Gehen wir noch mit ihm nach Emmaus und „brennt unser Herz“?
Ich komme gerade zurück aus der Hausmesse. In der mich natürlich auch die Gedanken aus feinschwarz.net bewegt haben. Ich würde das – trotz meiner eigenen Beschränktheit, trotz kirchlicher Strukturen, trotz großer unerfüllter Wünsche – immer wieder sagen, was wir dort gesungen habehn: „Läge uns auch von Herzen daran, all jene Male zu nennen, da du uns so viel Gutes getan, daran wir dich, Gott, erkennen, so reichte es nicht, es reichte doch nicht, dich, Gott, unseren Gott, recht zu loben…“