Daniel Kosch mit einem Leserbrief zum Beitrag von Stephan Schmid-Keiser: „Zum gestörten Verhältnis von Staat und Religion“.
Und dann eine Replik von Stephan Schmid-Keiser (21.2.2018).
Leserbrief von Daniel Kosch
Da ich die Entwicklungen im Staatskirchenrecht und religionspolitische Diskussionen aufmerksam verfolge, weckte der Titel „Zum gestörten Verhältnis von Staat und Religion“ sofort mein Interesse. Allerdings erfüllte er die durch den Titel erweckten Erwartungen nicht, und dies hauptsächlich aus folgenden Gründen:
- Darüber, was sich im Verhältnis von Staat und Religion hierzulande (also in der Schweiz, im deutschen Sprachraum oder in Europa) verändert, sagt der Artikel kaum etwas.
- Die in unserem Kontext sehr wichtige Differenzierung zwischen Staat und Gesellschaft wird nicht reflektiert. Vieles, was angesprochen ist, betrifft viel stärker die Gesellschaft als den Staat, sein Recht und seine politische Steuerung.
- Zu dem, was der Autor schreibt, würde eher folgender Titel passen: „Das gestörte Verhältnis mancher Religionsgemeinschaften zu Staat und Gesellschaft“.
Diese Präzisierungen scheinen mir mindestens im helvetischen Kontext insbesondere deshalb wichtig, weil in jüngster Zeit einige Kantone bemerkenswerte Entwicklungen im Verhältnis zwischen Staat und Religionsgemeinschaften angestossen haben. Ich nenne nur: Schaffung rechtlicher Grundlagen für die Anerkennung weiterer Religionsgemeinschaften (Waadt), Entflechtung von Staat und Kirche (Bern), Veröffentlichung regierungsrätlicher Leitsätze zu Staat und Religion (Zürich), Schaffung eines Religionsgemeinschaftengesetzes als rechtliche Grundlage für die Beziehungen des Staates zu sämtlichen Religionsgemeinschaften (St. Gallen), Bestrebung zur gesetzlichen Regelung der Beziehungen zu weiteren Religionsgemeinschaften (Genf). Das Verhältnis von Staat und Religion ist – mindestens so weit ich sehe – nicht „gestört“, sondern entwickelt sich hierzulande in gut helvetischer Tradition pragmatisch und in kleinen Schritten hin zu Lösungen, die der veränderten Religionslandschaft Rechnung tragen.
Leider wäre dieses Bild auch für die Schweiz nicht vollständig, wenn nicht auf eine Abweichung von diesem guten Entwicklungspfad hingewiesen würde: Mit Burka-Verboten und ähnlichen Vorstössen wird der Eindruck erweckt, unser staatliches Recht reiche nicht aus, um mit den religiösen Überzeugungen und der Praxis eines kleinen Teils der Muslime in der Schweiz einen Umgang zu entwickeln, der den religiösen Frieden und auch ein gutes Zusammenleben in der Gesellschaft gewährleistet. Hier liegen tatsächlich „Störungsversuche“ vor, die allerdings nicht verallgemeinert und vergrundsätzlicht werden sollten, wie es der Titel des Beitrags nahelegt.
7.2.2018
—
Daniel Kosch Dr. theol., ist Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz und Autor von feinschwarz.net.
Replik von Stephan Schmid-Keiser
Die Begründung eines tendenziell gestörten Verhältnisses von säkularen Staaten zur Religion ist auf Widerspruch gestossen. Stephan Schmid-Keiser führt in seiner Replik weitere Aspekte der bereits erwähnten Bruchstellen aus – im Anschluss an die Rückfragen von Daniel Kosch vom 7. Februar 2018.
Dem Stellenwert von Religion mehr Respekt zollen
Der Schlusssatz in meinem ersten Beitrag markiert deutlich, worum es geht: «Die säkularen Staaten werden Auswege finden und dabei auch ihr oft gestörtes Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften klären müssen.» Der politischen Diskussion sollte also der Stellenwert von Religion nicht gleichgültig sein. Dennoch macht nun auch ein ‘unverdächtiger’ Autor wie Rudolf Strahm die Schweiz betreffend klar, was mit Bezug auf die hiesige Islampolitik auf dem Spiel steht.[1] Er fordert nichts weniger als die Verstärkung der Ausbildung von Praktikern. Und über die Landesgrenzen hinaus zeigt sich, wie sowohl politische Bildung in Sachen Religion zu fördern wäre und gleichzeitig religiöse Bedürfnisse kompetent begleitet sein wollen. Übersieht dies die Wählerschaft bei demokratischen Ausmarchungen, wird das gestörte Verhältnis zur Vielfalt religiöser Wege bleiben. Als an der Gesellschaft und politischem Diskurs Beteiligte bilden Bürgerinnen und Bürger die Grundlage der Staatlichkeit. Ohne sie gäbe es den Staat nicht – ob in demokratischen oder von Autoritarismus geprägten Verhältnissen.
Ebenso lassen sich beim Nachbar Deutschland Erschwernisse in der Zusammenarbeit mit Religionen dort ausmachen, die bis dato keinen Rechtsstatus religiöser Verbände haben. In diesem Sinne müsste gar von religiöser Toleranz im Abseits gesprochen werden – dies verbunden mit Klärung der Frage, welche aktivierende Toleranz denn in einer durchsäkularisierten Gesellschaft eingeübt werden müsste, die in der Regel darunter mehr ein unverbindliches Nebeneinander als ein von Respekt getragenes Miteinander versteht. Über Toleranz wird meist mehr verallgemeinert geredet als diese proaktiv zum Beispiel durch verstärkte Bildungsbemühungen in Sachen Religion voranzubringen. Entscheide in der Schweiz betreffend Unterstützung solcher Bemühungen in der jüngeren Vergangenheit verdeutlichen es: Das Zentrum für Islam an der Universität Fribourg steht bis heute ebenso im politischen Gegenwind wie das Zentrum für interreligiösen Dialog in Zürich. Das Verhältnis zu Religionsgemeinschaften ist damit nicht wenig gestört.
Ehrenrettung religiöser Ausdrucks-Welt
Aus der arabischen Welt zu vernehmen ist jüngst eine der bedeutenderen Stimmen. In moderater Klarheit zur Ehrenrettung von Religion bringt sie eine allgemeine Erfahrung zum Ausdruck, die aufhorchen lässt. Der ägyptische Grosscheich Ahmad Mohammad Al-Tayyeb meint nämlich: «Wer über die Religion lacht, lacht letztlich über Gott. Dabei ist der Gottesglaube eigentlich etwas Instinktives, er ist in das Herz des Menschen eingepflanzt. Der Same befindet sich bereits in seinem Herzen, er muss nur aufgehen und wachsen.»[2] Dem gegenwärtig in der westlichen Hemisphäre doch eher gestörten Verhältnis zur gelebten Religion hält hier der Grosscheich seinen Spiegel vor und sekundiert im Grunde genommen Wahrnehmungen, die der Bischof von Arabien, Paul Hinder (OFMCap) im Blick auf seinen Heimatkontinent, im Besonderen auf die religiösen Kontexte in der Schweiz vorbringt.[3]
Mangel an Informiertheit über religiöse Wege
Nun zeigt das spezifische Abstimmungsverhalten von Kirchgängerinnen und Kirchgängern bei religionspolitischen Vorlagen in der Schweiz einen grösseren Mangel an Informiertheit über Religionen. Dies brachte beispielsweise bei der Zustimmung zum Minarett-Verbot (2009) eine hoch distanzierte Form zur medial verzerrten Kultur des hiesigen Islam an den Tag. Sichtbar wird im schweizerischen Alltag ebenso, wie auf Dauer angelegte Kontakte zu Angehörigen verschiedenster Religionsgemeinschaften eher selten sind. Die in einigen Kantonen unterdessen verpflichtenden Unterrichtsstunden in der öffentlichen Schule über Ethik und Religionen können die Wissens- und Erfahrung-Lücken nur zum Teil schliessen.
Für stärkere Ausgewogenheit von Politik und Religion
An stärkerer Ausgewogenheit zwischen Politik und Religion muss erst noch gearbeitet werden. Schritte wie die ‘kleine’ Anerkennung der Gemeinschaft von Aleviten im Kanton Baselstadt zeigen, was als Anfang möglich ist. Es geht also um mehr Respekt in Sachen Religion, mehr Realitätsnähe gegenüber Menschen und Personengruppen, die schlicht ihren Glauben leben wollen. Die diffuse Wahrnehmung religiöser Formen und Verhaltensweisen ist darum durch mehr Weiterbildung von Verantwortungsträgern in Politik und (!) Wirtschaft aufzuholen, um im Umgang mit Religionen bestehen zu können. Seit den erstmals in der Schweiz in den späten 1989er Jahren erfolgten Impulsen zur erfahrungsnahen Begegnung mit Menschen anderer Religion und Kultur hat sich zwar nicht wenig bewegt. Dennoch sind Politik und Wirtschaft bisher noch zu wenig auf einen kongruenten Umgang mit Menschen nichtchristlicher Religion vorbereitet.
Nicht ohne Ausbildung
Schon nur die Förderung der Ausbildung zu kompetenter Seelsorge in den muslimischen und weiteren Religionsgemeinschaften wäre ein notwendiges Signal. Sie kann leider nicht ohne die Unterstützung von Politik und Gesellschaft zustande komme. Genauer besehen zeigt die aktuelle Nichtweiterführung des positiv taxierten Pilotprojekts muslimischer Seelsorge im Bundesasylzentrum Juch in Zürich diesen dringenden Bedarf. Darüber hinaus bedarf die politische Ausmarchung um die Ausbildung nichtchristlicher Seelsorgenden religionspolitischer Entscheidungen und grundlegender Weichenstellungen. Ob dazu die Wählerschaft in einer der nächsten Abstimmungen nicht doch die Hand bieten müsste?
Anerkennung neu diskutieren
Es könnte dazu verhelfen, die Anerkennung von Religionsgemeinschaften neu zu diskutieren. Die bisher in der Schweiz dafür zuständigen Kantone sehen sich heute einem eigentlichen Religionspluralismus gegenüber. Darum schlägt der Politologe Antonius Liedhegener die Revision des Artikels 72 der Schweizerischen Bundesverfassung vor.[4] Schwierig sei es, im «selben Artikel Sicherheit und Toleranz zu verankern». Auch stellt sich in den Augen Liedhegeners heute «eher das Problem, dass das Verhältnis zwischen der Allgemeinheit und den Religionen teilweise gespannt» sei. Und dass BV Art. 72, 3 mit dem Verbot von Minaretten «hier nur eine einzige grosse Religion ausdrücklich reglementiert beziehungsweise beschränkt und damit religiös-weltanschaulich nicht neutral ist», sei nicht bestritten. Doch spreche Artikel 6 der Präambel, der die Teilhabe «jeder Person» an der Verantwortung für das Gesamt der Schweiz vorsehe, alle Einwohner an und der Grundrechtekatalog eröffne Möglichkeiten, «widerstreitende Ansprüche und Interessen zum Ausgleich zu bringen». Tatsächlich ist mehr Rechtsgleichheit in Bezug auf alle – auch neueren – Religionsgemeinschaften in der Schweiz anzustreben.
—
Stephan Schmid-Keiser, 21.2.2018
[1] Rudolf Strahm: Islampolitik wird verdrängt, in: Tages-Anzeiger, Dienstag 20. Februar, 15
[2] Ahmad Mohammad Al-Tayyeb von der Al-Azhar in Kairo im Gespräch mit Benjamin Leven: “Freiheit ohne Grenzen heist Chaos.” Herderkorrespondenz 72 (2018) 19 f., 19
[3] Paul Hinder/Simon Biallowons: Als Bischof in Arabien. Erfahrungen mit dem Islam. Freiburg i. Br. 2016, v. a. Kap. 7 die Abschnitte Miteinander oder gegeneinander leben? (134-161) und Gegen die religiöse Taktlosigkeit (161-176)
[4] Gespräch von Christina Neuhaus mit Antonius Liedhegener: «Die Burkainitiative wird zum Testfall werden», in: NZZ 29. November 2017 https://www.nzz.ch/schweiz/die-burka-initiative-wird-zum-testfall-werden-ld.1342814