Friedrich Griess (Klosterneuburg) liess sich von Stefan Gärtners Beitrag „Wie eine bürokratische Kirche sexuelle Gewalt in ihren Reihen verhindern will“ vom 18.7.2016 zu einem Leserbrief inspirieren. Er fügt seinerseits mögliche Ursachen für die sexuellen Übergriffe durch einzelne Kleriker an.
Vor etwa einem halben Jahr sagte Professor Hans Zollner SJ, der Kampf gegen den Missbrauch durch Kleriker werde noch lange dauern: http://www.zeit.de/2016/06/kinderschutz-missbrauch-jesuit-wahrheit.
Es ist einerseits erfreulich, dass es unter Papst Franziskus möglich ist, sich so freimütig zu äußern, während es unter früheren Päpsten vermutlich zu Abberufungen geführt hätte. Andererseits ist es erschreckend, aus bestens informiertem Munde zu erfahren, dass das Problem noch keineswegs gelöst ist, wie andere kirchliche Stellen ja glauben machen wollen, die sagen, es sei ein Phänomen des vorigen Jahrhunderts gewesen, als Priester durch sexuelle Freizügigkeit der Laien verführt worden wären, überhaupt sei auch das Konzil mit daran schuld, und man habe die Sache jetzt vollständig im Griff. Dagegen darf ich wieder auf ein Zitat von Pater Klaus Mertes SJ in seinem Buch „Verlorenes Vertrauen“ verweisen: „Alles was bisher getan wurde, setze sich dem Verdacht aus, bloßer Aktivismus zu sein, um etwas vorweisen zu können.“ Dies gilt leider weiterhin: Alle bürokratischen Maßnahmen der Kirche treffen nicht den Kern des Problems. Meiner Meinung nach sind die wichtigsten, wenn auch nicht alleinigen Ursachen:
1. die dem Klerus trotz mancher Verbesserungen immer noch zugestandene Macht über die Laien. Wäre ein Pfarrer nicht nur seinem Bischof, sondern auch seiner Gemeinde gegenüber verantwortlich, dann sähe die Sache schon anders aus.
2. den Pflichtzölibat, den viele Männer, die sich zum Priester berufen fühlen, notgedrungen in Kauf nehmen, ohne sich der möglichen Folgen bewusst zu sein. Professor Anton Kolb schreibt in seinem jüngst erschienenen Buch „Brücken bauen zwischen Wissenschaft, Politik, Religion und Medien“: „Bis heute wird von der Kirchenleitung, von Bischöfen, immer noch offiziell geleugnet, dass der Kindesmissbrauch durch Priester durchaus auch mit dem Zölibat zu tun hat. Das lässt sich inzwischen aber eindeutig nachweisen.“
Ich möchte noch einen dritten Punkt hinzufügen, nämlich den Ausschluss der Frauen von innerkirchlicher Mitbestimmung. Es geht hierbei nicht nur um die Frage der Weihe. Ein krasses Beispiel war doch der Umstand, dass bei der Bischofssynode 2015 ein Ordensbruder, der nicht Priester war, mitstimmen durfte, eine Ordensschwester jedoch nicht.
Solange die Kirche an solchen Ordnungen festhält, die sich keineswegs aus der Lehre Jesu ableiten lassen, dürfte es sehr schwierig sein, das Problem Missbrauch in den Griff zu bekommen.
Friedrich Griess