Ein Brief von Johannes Schnettler über feinschwarz an Paulina Pieper
Liebe Paulina Pieper,
entschuldigen Sie, wenn ich Sie mit dieser persönlicheren Wendung anrede, obwohl wir uns nicht kennen. Aber Sie haben mich nach Lektüre den ganzen Tag zum Nachdenken über Ihren pointiert-kritischen Beitrag zu den diesjährigen Räte-Wahlen in den fünf Bistümern von NRW gebracht. Auch wenn Ihr Text da schon 14 Tage im Netz stand, bin ich erst jetzt durch einen freundlichen Hinweis einer guten Bekannten auf Ihre Position aufmerksam geworden.
Ihre Ausführungen haben mich in doppelter Weise gepackt, ja so muss ich es sagen. Denn ich war in meiner beruflichen Tätigkeit mehrere Male für das Bistum Aachen verantwortlich für diese Wahlen zu den Räten, zuletzt im Jahre 2017. Und dann teile ich sehr Ihre Anmerkungen zu einer weltoffenen und gendergerechten Kirche. Ich fühlte mich bei der Lektüre gleichsam unmittelbar angesprochen. Zustimmung und Abwehr wechselten gleichsam von Zeile zu Zeile. Und ich habe mich wiederholt gefragt: Soll ich auf Ihren Beitrag nun antworten, ist es die Mühe wert, lohnt es sich auf diese Einzelmeinung einzugehen und, wird eine solche Antwort nicht ein rein apologetisches Unterfangen? Trotz der Zweifel, Ihr Beitrag ist anregend und ruft zugleich nach Widerspruch, denn die Wahlen zu den Räten in den fünf nordrhein-westfälischen Bistümern eignen sich nicht als Folie zum Beleg einer weltabgewandten und männerdominierten Kirche.
Natürlich lädt das Beispiel des Pfarreirats von St. Mauritius in Münster, der ausschließlich von Männern gebildet wird, ein, die Unfähigkeit von Kirche zu dokumentieren, Frauen partizipativ an Entscheidungen zu beteiligen. Auch Ihr entlarvender Befund der Website zu den Wahlen, die es, nebenbei erwähnt, schon bei den vorherigen Wahlen gegeben hat, markiert in der Tat eine Binnensicht von Kirche. Und schließlich kann der Slogan der Wahl „Weil uns die Kirche nicht egal ist“ als guter Beleg, wie Sie es ja auch ausführen, für eine Kirche herangezogen werden, die allein um sich kreist und nicht an den Menschen und Entwicklungen außerhalb von ihr interessiert ist.
Und doch eröffnet der Slogan von der „Kirche, die uns nicht egal ist“, auch eine andere, kritisch-solidarische Perspektive auf eine den Menschen zugewandte Kirche. Der Slogan war absolut aktuell im Vorfeld der Wahlen, als wieder einmal die Täterorganisation Kirche die Verantwortung für die Verbrechen des Missbrauchs auf das justitiable Vergehen Einzelner abschob, die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare verboten und der Zugang der Frauen zum Priesteramt mit der lapidaren und selbstüberschätzenden Begründung zurückgewiesen wurde, die Kirche habe keine Vollmacht, Frauen zu Priestern zu weihen. Dann liest sich dieser Slogan auch so: Uns, die wir für die Räte kandidieren, und die zur Wahl aufgerufen sind, sind diese skandalösen Verhaltensweisen und Positionierungen nicht egal. Der Slogan knüpft dann nahtlos an die Satzungen zu den Räten an, die, bei aller Unterschiedenheit in den einzelnen Bistümern, für eine offene, weltzugewandte Kirche ausgelegt sind.
Dieser Einsatz wird mehrheitlich von Frauen geleistet. So lohnt sich ein Blick in die Statistik der vergangenen Wahlen. Der Anteil der Frauen in den Räten betrug über die Jahre 60 bis 70 Prozent gegenüber den Männern. Es ist daher stark anzunehmen, dass diese Quoten auch bei der diesjährigen Wahl erreicht werden. Erste Zahlen aus dem mir bekannten Bistum Aachen bestätigen dies. Und es mag durchaus sein, dass bei den bald 2000 Pfarrei- (und Gemeinde-) Räten in den Bistümern von NRW einzelne nur mit Männern besetzt sein werden, wie das Beispiel St. Mauritius. Diese Ausreißer sagen aber nichts darüber aus, dass Frauen in den Räten keine Gestaltungsmacht hätten. Nicht von ungefähr gehört diese errungene Gestaltungsmacht der Frauen ja zu einem der durchschlagendsten Argumente für die Zulassung der Frauen zum Priesteramt.
Es kann trefflich darüber gestritten werden, ob diese Beteiligung von Frauen eine tatsächliche Gestaltungsmacht besitzt. Aber das ist in diesem Zusammenhang nicht das Thema. Entscheidend ist, dass die Räte seit ihrer Einführung vor über 50 Jahren eine Plattform partizipativer Arbeit von Männern und Frauen in der Kirche bieten. Der nüchterne Blick auf die Kirche vor Ort verdeutlicht dabei die Mühsal der Ebene, will heißen, Partizipation und geschlechtergerechte Arbeitsweise müssen z.T. schmerzhaft erstritten werden. Aber die gelingenden Prozesse vielerorts bestätigen, dass der Weg zu einer „Offenheit von Kirche und (…) der Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern“, wie es in der Überschrift zu Ihrem Beitrag heißt, unumkehrbar ist. Die Frauen und Männer in den Räten gehören dabei neben vielen anderen zu den Träger:innen dieses Prozesses. Denn vielen der jetzt (Wieder-)Gewählten Mandatsträger:innen ist die innere Bereitschaft und Haltung zu diesem Weg der Kirche eigen.
Unbestritten ist bei alledem die Optimierung der Arbeit an der Kommunikation kirchlicher Prozesse, wie Ihre Anmerkungen zur Wahl-Website mehr als deutlich machen. Anspruch und Wirklichkeit liegen dabei manchmal weit auseinander. So danke ich Ihnen für Ihre pointierte Kritik an den diesjährigen Wahlen zu den Räten und die Anregung, meine Gedanken zu diesen kritischen Einlassungen sortieren zu können.
Beste Grüße
Johannes Schnettler
Aachen, 1. Dezember 2021
https://www.feinschwarz.net/weil-uns-die-kirche-nicht-egal-ist-pfarreiratswahlen/