Reiner Nieswandt reagiert in einem Leserbrief auf den Beitrag von Michael Schüßler vom 12.4.2023 „Mit Afrika nicht zu machen?“
Mit großem Interesse habe ich heute Vormittag Ihren aktuellen Beitrag auf feinschwarz.net gelesen. Vielen Dank dafür und vor allem für den Perspektivwechsel, den Sie ermöglichen!
Darf ich eine persönliche Beobachtung ergänzen? In den vergangenen Jahren habe ich immer wieder mit Priestern aus dem subsaharischen Afrika zu tun gehabt, ebenso – und aktuell – mit indischen Ordensleuten,
Priestern und Ordensschwestern. Mit den letzteren arbeite ich als Pfarrer eng in der Krankenhausseelsorge Wuppertal zusammen.
Nach meiner Wahrnehmung wurden diese für die Mitarbeit als im Wortsinn „Lückenbüßer“ aus ihren Heimatländern hierher geschickt und brachten in der Regel traditionelle Theologien mit, die sie wiederum von europäischen Missionaren in der Vergangenheit „mitbekommen“ hatten (Nigerianische Priester erzählten mir von ihren irischen Missionaren.). Wenn sie z.B. hier in Deutschland, an der Universität oder in einer Gemeinde/einem Krankenhaus aufgeschlossenen Kolleg*innen begegnen, die sie ermuntern,
nicht nur ihre heimatliche Küche zu präsentieren, sondern ihr Eigentliches, im kulturellen wie im christlich-theologischen Sinn, dann kann daraus etwas wirklich Gutes entstehen. So meine Erfahrung etwa auch im Doktorandenkolloqium bei Hans Waldenfels im Bonn der 1990er Jahre, wo Priester (in der Regel aus Nigeria, aber auch aus Indien und China) bei ihm über afrikanische Themen promovierten.
Von daher ist Ihre Argumentation, dass die „afrikanische“ katholische Kirche wertkonservativer/traditioneller sei als der „verkommene“ Norden, mehr als schlüssig, zumal, wie wir wissen, es ja in der Regel die konservativsten Persönlichkeiten waren, wie Kardinal Sarah, die bis in die jüngere Vergangenheit in die Spitzenpositionen gelangten. Wenn dann, wie mir schlüssig scheint, Papst Franziskus berechtigte Angst vor einem Schisma hat (so Erwin Kräutler auf katholisch.de), ist das Dilemma perfekt, da in der „Weltkirche“ ebenso wie in Bistümern und Orts-Gemeinden die Vermeidung eines „Schismas“ fast immer und ausschließlich bedeutet, auf die konservativsten („frömmsten“) Personen
„Rücksicht“ zu nehmen.
Mir ist es in langjähriger Tätigkeitals Gemeindepriester nie vorgekommen, dass auf „Liberale“ und „Fortschrittliche“ Christ*innen Rücksicht genommen wurde, und mein Versuch, dies anders zu handhaben und die Gemeinden katholisch = alle Menschen vor Ort umfassend auszurichten, endete mit meinem Rückzug aus der Stelle und den Übertritt in die Krankenhausseelsorge.
Nun bin ich etwas ausführlich geworden. Ich möchte mich vor allem bei Ihnen für Ihren wegweisenden Gedankengang bedanken und grüße Sie für heute sehr herzlich.
Reiner Nieswandt