Stephan Schmid-Keiser zum Beitrag von Wolfgang Beck „Kann das weg? ‚SOS Brutalism‘ ehrt den Sicht-Beton!“
Architektur in Sichtbeton fand ebenso in Kirchenbauten ihren Reflex. Zeitzeugen sind auch im Kirchenbau in der Schweiz zu finden, der starke Impulse seit den 1920ern über die Landesgrenzen auslöste.[1] Die den Beitrag von Wolfgang Beck eröffnende Wotruba-Kirche in Wien findet ein Pendant in einer Wotruba-Skulptur im Eingangsbezirk zur Kirchenanlage in St. Michael-Rodtegg Luzern aus dem Jahre 1967.
Sie setzt einen konzentrierenden Akzent zum Kirchenbau des Architekten Hanns A. Brütsch, dessen Bauten ebenso in Sichtbeton gestaltet sind wie auch die monumental-skulptural wirkenden Kirchengebäude von Walter Förderer.[2]
Es ist aus heutiger Sicht bemerkenswert, wie der Architekt Förderer diesen grossen Bauaufträgen nachkam, gleichzeitig in stärkstem Kontrast dazu andere Optionen vertrat. Ihm folgend fragte sich Günter Rombold beispielsweise, ob es nicht für das heutige Verhältnis von Kirche und Gesellschaft auch völlig neue Formen geben müsse und zitierte Walter Förderer: «Was aus pastoraler Einsicht da und dort dringend gefordert werden müsste, sind Kirchenräume, die in den Wohntürmen, in den Mietsblöcken eingemietet oder eingekauft würden – also eigentliche ‘Hauskirchen’. Der Pfarrer und seine Vikare oder Diakone wohnen in irgendeinem Mietsblock, und sie gehen zur Kirche in die Häuser. Kleinere Versammlungsorte, entsprechend der Wohndichte über das Gebiet der Kirchgemeinde verstreut, dienen zu kleineren noch überschaubaren Gottesdiensten und anderen kirchlichen Anlässen – vielleicht oft nur in der Grösse einer ‘Stubengemeinschaft’.»[3]
Es blieb bei Versuchen und dem Monumentalbau wurde weiter Raum gegeben. Nicht zuletzt wurde der Mangel an Seelsorgepersonal in Westeuropa (noch) kaum beklagt. Ist nun die Zeit gekommen, grosse Kirchenzentren nicht mehr pastoral zu bespielen? Nein, meint Rainer Bucher, wenn es um Umnutzung von Kirchen geht, welche «herausragende potenzielle Orte selbstloser Pastoral für alle» sein sollten.[4] Weniger monumentale Bauten wie das 1971 entstandene Kirchenzentrum St. Agatha Buchrain bei Ebikon/Luzern der Architekten-Gruppe J. Naef / E. Studer / G. Studer lassen diese selbstlose Pastoral für alle durchaus zu. Das hervorstechendste Merkmal der rund ein Dutzend Kirchenbauten dieser Architektengruppe war deren Färbung – letztmals in Buchrain in ausgeprägter Farbigkeit aussen und innen.
Dennoch: Die Zeit des modernen Kirchenbaus ist zu Ende. Weit vorausschauendes Denken wird noch näher zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gerückt, der Mobilität der Menschen und ihren spirituell-kulturellen Erwartungen an ihren Lebenswenden ebenso wie im Alltag – nicht zuletzt eine Aufforderung zu mehr Realitätssinn im Bau von Räumen von und für Religionsgemeinschaften. Oder verharren diese im einzigen Anspruch, sich selber Denkmäler zu setzen, ohne die Tempel- und Kultkritik der Propheten mehr zu hören?
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Stephan Schmid-Keiser, Dr. theol., ist nach seiner Pensionierung teilzeitlich noch bis Ende Dezember 2017 als Redaktor der Schweizerischen Kirchenzeitung SKZ tätig. Diese erscheint im 185. Jahrgang und wird mit einer Null-Nummer am 21. Dezember 2017 unter neuer Redaktionsleitung neulanciert.
[1] Günter Rombold: Einige Anmerkungen zum Schweizer Kirchenbau, in: christliche kunstblätter 1/1967, neue schweizer kirchen, 14-16.
[2] Beispiele von Kirchenbauten durch Hanns A. Brütsch, in: Walter M. Förderer: Kirchenbau von heute für morgen? Zürich 1964, 18, 19, 37 und 101 mit Förderers eigenen «Skizzen zu einer kath. Kirche im obersten Geschoss eines Wohnhauses».
[3] G. Rombold, aaO. 16 und zu Förderer: https://de.wikipedia.org/wiki/Walter_F%C3%B6rderer
[4] Rainer Bucher: Unaufdringliche Antreffbarkeit. Ein Plädoyer für kreative und multiple pastorale Kirchenraumnutzung, ThPQ 165 (2017) 115-122, 121-122.