Jonas Simmerlein reagiert als Entwickler des KI-Gottesdienstes auf dem Kirchentag 2023 auf den Beitrag von Alexander Deeg.
Das Echo des KI-Gottesdienstes auf dem Kirchentag ist immens. Als Entwickler dieses Projekts freut es mich, wenn mich neben Hassmails auch feinsinnige Kritik an dem Versuch, Künstliche Intelligenz einen Gottesdienst gestalten zu lassen, wie die von Alexander Deeg erreicht. Und ich kann meinem Kollegen ja in fast allen Punkten beipflichten: Die Sprache ist holprig, die Mimik nicht ganz synchron, die Auswahl an Schauspieler:innen, die die Texte in Szene setzten, hatte wenig überraschend keinen Talar im Aufgebot, die Predigt ist platt und die Liturgin schafft es nicht, die Leiblichkeit der Schauspielerin in die Kirche zu transportieren.
Bereits im Vorfeld war mir und hätte allen klar sein sollen, dass wir hier nicht von ernsthafter Konkurrenz für die Pfarrerin oder den Pfarrer sprechen und dass hier keine stählerne Überpfarrerin aus der Sakristei treten wird und vor unseren Augen die Grenze zwischen Fleisch und Kunststoff bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Die Entscheidung, der Maschine den Gottesdienst zu überlassen, war aus dieser Perspektive ein Scheitern mit Ansage. Einig sind wir beide uns auch darin, dass die entscheidende Frage ist, warum und auf welche Art „künstliche Intelligenzen“ hier scheitern.
Die Kritik an der fehlenden Leiblichkeit trifft das Projekt aber eben nur zur Hälfte und im Grunde konzediert Alexander Deeg dies selbst. Es wurde viel gelacht, Leiber waren ja vorhanden und ich würde sagen in Resonanz in Fürth – über 300 nämlich und sie haben zusammen gebetet und gerade wo die Technik als Vorbeterin versagte, machte sich umso kraftvoller die leibliche Präsenz meiner Nachbarin in der Kirchenbank bemerkbar. Subtil formierte sich die Gemeinde hier als Beterin und füllte unverzüglich die Lücke, die die Unzulänglichkeit der virtuellen Liturgin riss. Die Zuhörenden lachten, sie schüttelten wütend den Kopf, manche gingen, es gab Zwischenrufe – gerade wo die liturgische Figur vorne ihre Schwäche zeigt, lebt die Gemeinde in ihrer co-kreativen Funktion im Gottesdienstgeschehen auf.
Selten habe ich ein vibrierenderes Gemeindeerlebnis während eines Gottesdienstes gespürt. Darin stimme ich meiner Kollegin Anna Puzio absolut zu: Man könnte nach den Reaktionen im Anschluss meinen, der sonntägliche Gottesdienst sei landauf-landab so etwas wie ein verlässliches Resonanzfeuerwerk. Gerade Lachen dagegen, das sich gegenseitig ermutigte, der non-verbale Diskurs, den Blicke schon während des Gottesdienstes austrugen, stiftete in meinen Augen ein hohes Maß an interpersonaler Aufmerksamkeit und Resonanz.
In ihrer Imitation eines lutherischen Gottesdienstes versagt die KI. Auch wenn die Entwicklung von KI-unterstützter Bildgenerierung vermuten lässt, dass wir bald die Liturgin vorne nicht mehr von einer Übertragung einer menschlichen Pfarrerin unterscheiden können, stellt sich die berechtigte Frage, ob wir jemals KI-Avatare als Ersatz akzeptieren werden und warum wir das überhaupt tun sollten und ob es nicht sinnvoller wäre, eine KI-basierte religiöse Praxis als einen Vollzug sui generis zu betrachten.
Hier nun entsagen sich nämlich allzu normative Ansätze, die KI daran messen, wie gut sie darin ist, bestehende, von Menschen für die Durchführung durch Menschen entwickelte Vollzüge durchzuführen, der Vision für die Zukunft. Eine Zukunft, die, ob wir es wollen oder nicht, von künstlicher Intelligenz dominiert werden dürfte. Deutlich macht nämlich auch eine erste Auswertung der im Nachgang erhobenen Daten, dass die Attraktivität, die Stimulation, die Nützlichkeit und der beigemessen Wert von Teilnehmerin zu Teilnehmerin eklatant variierten. Ein Blick nach Japan oder Südkorea, wo man mit Robotern und Automata in religiösen Praktiken deutlich vertrauter ist, legt nahe, dass die allgemeine Affinität und Gewohnheit, Robotik und KI im Alltag zu begegnen, sich auf die Akzeptanz solcher neuen religiösen Formen niederschlägt. Denn darum handelt es sich hier letzten Endes: neue Formen von religiöser Praxis.
Wir Praktische Theolog:innen sollten meiner Meinung nach nicht allzu schnell damit fertig sein, was da an Möglichkeiten und Verirrungen auf uns zukommt. Das enorme Medienecho und die Vielzahl an Anfragen von Entwickler:innenseite, die in diese Richtung weiterarbeiten wollen, zeigt, dass auch die religiöse Sphäre durch künstliche Intelligenz affiziert werden wird. Dies kritisch zu begleiten, scheint mir eine vornehmliche Aufgabe unserer Zunft zu sein.
Jonas Simmerlein, Mag.
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Praktische Theologie/Religionspsychologie
Evangelisch-Theologische Fakultät
Wien/ Österreich