Die Kirchen haben während der Corona-Pandemie nicht ihre mangelnde Systemrelevanz vor Augen geführt bekommen, sondern ihr Verantwortungsbewusstsein gezeigt und wurde mit ihrer seelsorglichen Arbeit unterstützt – so formuliert Paul Kreiner seinen Einwand gegen den Artikel von Elmar Honemann.
Sehr geehrter Herr Honemann,
der Zentralthese in Ihrem Artikel, die als Überschrift sogar über dem gesamten Text steht, möchte ich ausdrücklich widersprechen. Die „Systemrelevanz“ der Kirche oder der Kirchen war kein Kriterium für das Verbot von Gottesdiensten. Somit hat hier auch keine „säkularisierte“, post- oder gar antichristliche Gesellschaft irgendeine Aussage über die Bedeutung von Kirche getroffen; jedweder Verdacht – wie er sogar aus (erz-)bischöflichem Munde kaum verklausuliert kam –, es beginne hier eine Art moderner Christenverfolgung, geht fehl.
Schutzmaßnahmen sind nicht zwingend eine Aussage über Systemrelevanz
Der Punkt war und bleibt einfach der: Es sollten enge Kontakte zwischen Menschen vermieden werden, und Gottesdienste sind nun einmal – für das Virus – genauso wunderbare Kontaktbörsen, wie es Versammlungen aller Art sind. In diesem Sinn stand plötzlich die Sonntagsmesse auf einer Stufe mit den Treffen der örtlichen Schützenvereine. Auch über deren Systemrelevanz (unbestritten etwa in Westfalen oder Oberbayern) wurde damit keine Aussage getroffen.
Seelsorge wurde und wird unterstützt.
Gänzlich falsch aber finde ich Ihre Behauptung, „Seelsorge“ sei faktisch als nicht-systemrelevant eingestuft worden. Staatlich untersagt oder durch kirchliche Selbstbeschränkung gestrichen (etwa in NRW) waren lediglich öffentliche Gottesdienste. Seelsorgliches Handeln anderer Art als individuelle Zuwendung zum Menschen war und ist uneingeschränkt möglich – sogar in jener hessischen Verordnung, die Sie zitieren. Da steht in §1 Abs. 2 Nr. 1 ausdrücklich, Seelsorgerinnen und Seelsorger seien von den Besuchsbeschränkungen in Krankenhäusern und vergleichbaren Einrichtungen ausgenommen. Deutlicher kann man eine staatlicherseits (!) anerkannte Relevanz solcher Besuche am Bett von Kranken und Leidenden nicht ausdrücken.
Verantwortungsbewusste Medienarbeit
Auch hat es nichts mit dem Säkularisierungsgrad einer Gesellschaft zu tun, wenn diese ihr medizinisches Personal oder ihre Entsorgungsunternehmen – die genauso wichtige Versorgung haben Sie vergessen! – als systemrelevant einstuft. Sogar der Vatikan müsste dies tun, würden davon seine basalen Funktionen abhängen. Und wenn Sie mit „Öffentlichkeitsarbeiter*innen“ die Journalisten meinen: Die „Stuttgarter Zeitung“ beispielsweise, für die ich arbeite, hat solche KollegInnen, die ihren Skiurlaub in einem Risikogebiet verbracht haben, schon zu einem Zeitpunkt ins Homeoffice geschickt, als staatlicherseits noch keinerlei Regelung dieser Art getroffen war. Da war folglich auch keine politische Regelung und keine Einstufung hinsichtlich der Systemrelevanz mehr nötig.
Abschreckende Formen negativer Systemrelevanz
Es gab zwei Kirchen, die in der Corona-Pandemie tatsächlich systemrelevant waren: Jene Freikirche in Mulhouse/Elsass und jene in Südkorea, die mit ihren gottesdienstlichen Versammlungen zu Hotspots von Covid-19 geworden sind. Eine Ausstrahlungskraft, eine Systemrelevanz solcher Art aber sollte sich von den Kirchen hierzulande keiner wünschen.
Mit freundlichen Grüßen,
Paul Kreiner, München
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Beitrag von Elmar Honemann vom 04.05.2020: