Zum Beitrag „Gnade dir Gott, der Nikolaus kommt“ hat Markus Gehling einen Leserbrief verfasst.
Der kritische Text von Prof. Mendl zum Nikolausbrauchtum ist mir in den letzten Tagen einige Male begegnet. Bei katholisch.de wird die Kritik an einer bestimmten Form des Nikolausbrauchtums dann noch etwas zugespitzt. Ich kann mir vorstellen, dass das Nikolausbrauchtum in Bayern noch einmal anders aussieht als hier in NRW und in den benachbarten Niederlanden. Es gibt da ja überaus vielfältige Traditionen in Europa.
Ich engagiere mich seit rund 20 Jahren für den Hl. Nikolaus. In jedem Jahr wieder organisiere ich mit Partnern quer durch Norddeutschland richtige Schokoladennikoläuse, die für einen guten Zweck verkauft oder in Kindergärten, Schulen und Gemeinden unter die Leute gebracht werden. Beigefügt ist in jedem Jahr eine der schönen Nikolauslegenden des hier im Norden sehr populären Schriftstellers Willi Fährmann, der fast allen Nikolauslegenden ein neues Gewand geschenkt hat.
Seit vielen Jahren gibt es hier aus dem Umfeld der katholischen Jugendverbände wirkungsvolle Initiativen, den Nikolaus als positive Gestalt wieder zu akzentuieren und genau dem – von Ihnen beschriebenen – negativen Missbrauch der Nikolausfigur entgegenzuwirken. In Köln und Essen und vielen anderen Städten hat es tolle Nikolausschulen und Ausbildungskurse gegeben. All das, was Sie – sicher zu Recht – fordern ist hier die seit Jahrzehnten gelebte Wirklichkeit.
Ich bin selbst seit meinem 17. Lebensjahr immer wieder und seit 30 Jahren Jahr für Jahr ins Nikolausgewand geschlüpft. Ich versuche den Kindern die Gestalt des Heiligen angemessen zu erschließen.
Nikolaus ist für mich – wie auch der Hl. Martin, die Gestalt gewordene Nachfolge Jesu Christi. Seine Botschaft: Das Evangelium, das Christ-Sein ist nicht kompliziert, wir sind eingeladen die Not des Nächsten zu sehen und zu handeln. Dabei gehen beide vom unbedingten Wert des Menschen und des Lebens aus. Sie spiegeln einen lebendigen und liebenden Gott und sind tief mit ihm verbunden. Das kann doch nicht ohne Folgen für Art und Weise der Darstellung des Heiligen sein. Der muss als in jeder Hinsicht liebenswürdige (wenn auch etwas geheimnisvolle) Gestalt den Kindern gegenübertreten. Sehr leicht kann man dabei vermitteln, warum Nikolaus handelt wie er handelt und ist sofort im Evangelium und bei der Botschaft Jesu.
„Du bist ein guter Mann…“, Nikolauslieder und Gedichte schildern Nikolaus als positive Figur. Nur sehr selten ist der von Ihnen sehr zugespitzte Aspekt einer Funktion als himmlische Erziehungskrücke hier zu finden. Ich glaube, das spiegelt die Realität der Nikoläuse, die in katholischen und evangelischen Einrichtungen und auch in den Jugendverbänden aktiv sind. Sie lassen sich nicht mehr in dieser Weise vereinnahmen.
Natürlich gibt es die Phänomene, die Sie zu recht kritisieren tatsächlich. Vor allem begegnet mir das im Wunsch mancher Eltern, den Kindern mal so richtig den Marsch zu blasen und sie – wunderbar – zu besseren Menschen zu machen. (Welche Mutter, welcher Vater würde sich das nicht wünschen. Aber wir wissen doch auch, dass das nicht funktioniert.) Ich habe es als Nikolaus nicht anders gelernt, als dass ich – auch hier – der Anwalt der Kinder bin. In der Regel kann man den Eltern das auch leicht ausreden, oder man nimmt deren Notizen entgegen und lässt den Tadel und das Negative einfach weg.
Genauso habe ich den Nikolaus im Volksbrauchtum meiner Heimatstadt Vreden auch immer erlebt. Inspiriert vom Sinterklaas in den nahen Niederlanden, kam dieser bei uns über die Berkel mit dem Boot. Begleitet von allen Kindern der Stadt in einem Laternenumzug ging es auf den Marktplatz, wo er eine erste Ansprache hielt. Die richtete sich immer an die Erwachsenen und der Nikolaus vertrat die Anliegen der Kinder der Stadt. Er trat für Spielplätze ein und wies auf Missstände hin. Bürgermeister und – zumeist komplett versammelter Stadtrat – mussten schweigend (und manchmal zähneknirschend) zuhören.
Wohlgemerkt, das war vor weit über 40 Jahren. Und der Nikolaus erschien da in Begleitung von vier schwarz gekleideten Männern auf schwarzen Pferden. Traditionell wurden auch Ruten aus Birkenzweigen verschenkt, in die aber Süßigkeiten gebunden waren. Dieser Brauch wurde nach meiner Erinnerung dann schon vor rund 30 Jahren aufgegeben, weil die Kinder nicht mehr verstanden, wozu die Ruten ursprünglich mal dienen sollten.
Fahren Sie doch mal zu einer Sinterklaasintocht in die Niederlande. Das ist ein rundheraus fröhliches Fest, dem jegliches Drohende vollkommen abgeht.
Sehr alte Menschen erzählen manchmal, dass Knecht Ruprecht als drohende Gestalt wahrgenommen wurde. Dass er einen Sack bei sich trug, aus dem – simuliert – Kinderbeine herausschauten, als habe der Diener des Nikolaus ein ungehorsames Kind „einkassiert“. Aber in der Realität habe ich derlei nie gesehen.
Ich bedauere und kritisiere, dass Sie die Bemühungen vieler engagierter Nikolausdarsteller (seit vielen, vielen Jahren) in keiner Weise in Ihrem Beitrag erwähnen. Sie zeichnen damit ein Zerrbild des Brauchtums, das diesem Engagement nicht gerecht wird.
Möglicherweise hat das Nikolausbrauchtum aufgrund der starken Einflüsse des überlieferten Volksbrauchtums (mit Perchten und Krampus) im alpenländischen Raum ja noch größere Baustellen. Dann wünsche ich Ihrem Engagement viel Erfolg.
Mit frohem Gruß!
Ihr
Markus Gehling