„Ein Kollege hat mich auf Ihren jüngsten Artikel bei feinschwarz aufmerksam gemacht. Ich habe ihn am Nachmittag direkt gelesen – mit viel Zustimmung. Auch ich empfinde die Betroffenheitsrhetorik als zunehmend schwerer erträglich, zumal man sich des Eindrucks nicht immer erwehren kann, dass damit eine tiefere metanoia umgangen werden soll. Im Amerikanischen nennt man das „spiritual bypassing“. Gerade in der geistlichen Begleitung junger Menschen, die sich auf einen kirchlichen Beruf vorbereiten oder mit dem Gedanken unterwegs sind, wird es in der letzten Zeit bei nicht wenigen vermehrt zur Frage, ob sie sich wirklich in so ein System hinein geben möchten – und diese Frage ist ja ein Zeichen ihrer seelischen Gesundheit und des Wunsches, aufrecht durchs Leben zu gehen. Und die Haltung zur Sexualität, wie sie sich in der causa Wucherpfennig verdichtet, quittieren viele nur noch mit Kopfschütteln. Vor kurzem habe ich einem Regenten, der um eine Einschätzung bat, gesagt: Die Schwierigkeit fängt nicht erst bei Einzelfragen an, sondern in der Grundoptik, dass Sexualität immer gleich ein Problem ist, was schöpfungstheologisch einfach krank ist. Sich da, mit Musil gesprochen, neben dem nüchternen Wirklichkeitssinn den Möglichkeitssinn zu bewahren, oder eben mit Michel de Certeau zum Alltagshelden zu werden, der findig Freiheits- und Atemräume erkundet und sich nicht unterkriegen lässt, bleibt wohl wirklich die entscheidende geistliche Aufgabe. Dabei tut es mir gut zu wissen, dass es in diesen Fragen bei vielen Menschen in der Kirche doch viel Solidarität gibt.“
Dr. Michael Höffner, Domvikar, Münster
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Leserbrief zum Beitrag vom 16. Oktober: