Improvisation sei eine notwendige Kunst der Pastoral, reflektierte Jan Loffeld auf feinschwarz.net. Stephan Schmid-Keiser schließt an: Pastoral muss zur Improvisation erst noch finden und dies (leider) nicht ohne neues Organisationswissen.
Leserbrief zu:
… und bitte gemeinsam Feuer schlagen
Pastoral konkret zu improvisieren, könne “sogar eine notwendige Kunst sein”, meint Jan Loffeld und reflektiert über Fortbildung und Ausbildung. Dies erinnert an das Konzept der ‘éducation permanente’, welchem nicht wenige auch in der deutschschweizer Pastoral folgen. Voraussetzung dazu ist jedoch ein beständiges Überschreiten der Kluft zwischen Theorie und Praxis. Und notwendig dabei die ‘künstlerischen’ Fähigkeiten zur Motivation von Phantasie und Inspiration, zum Gestalten und Entfalten vieler totgeschwiegener und ausgegrenzter Fähigkeiten. Wie bereits vor Jahren festgestellt, war es Wilhelm Zauner, der «Seelsorge als Kunstgattung» bezeichnete, weil der Seelsorge ins Stammbuch geschrieben bleibt: «Die Kirche und damit alle Seelsorge geht … immer neu aus der schöpferischen Phantasie ihres Herrn und ihrer Mitglieder hervor.»[1]
Dies muss nicht frommer Wunsch bleiben, wird aber ebenfalls seit Jahr und Tag zu einem solchen. Pastoral muss zur Improvisation erst noch finden und dies (leider) nicht ohne neues Organisationswissen. Und weil Engel allein nichts bewegen – sie schon mal mahnen “Heraus aus den Palästen!” – kommt es darauf an, gemeinsam Feuer zu schlagen.
Heraus aus den Palästen![2]
Schön wär’s, würde man ihn direkt sprechen können, den Engel der Klarheit. Allerlei im Dickicht fehlender organisatorischer Übereinkünfte wäre zu klären. Schön und gut auch für kirchliche Institutionen von der Basis bis zur Spitze und retour. Allein: Unsichtbare Engel bewegen kaum das Nötige und „Kirche“ wird sich nie in Überanpassung an den Lauf der Zeit begeben können. Jene Menschen seien Kirche, die sich in der Wüste getroffen hätten, bemerkte der Exeget Klaus Berger. Wüsten aber verlangen nach spezieller Organisation.
Heute haben sich die Kirchen den spirituellen „Wüsten“ zu stellen. Sie sind nicht für alle sichtbar, doch immer wieder grell von aussen beleuchtet. Auch Mitarbeitende der Kirchen holen Rat, von der Betriebswirtschaft bis zur Kybernetik, vom Marketing bis zur Kommunikation. Dann hat kirchliches Tun und Sagen fähig und fit zu sein, Zeichen zu senden und zu setzen. Manch einer erkennt, wo Kirchen in Dorf und Stadt oder vielfältigen Einsatzorten im Süden gefragt sind: Dazu zählen Sozialpastoral, Vermittlung religiöser Sinnstiftung durch Gottesdienste, Neu-Aufbau von Gemeinschaften in kulturell zerriebener Weltgegend, Spitalseelsorge in multireligiösem Umfeld. Die Wirkung kontrastiert meist zur einseitigen Welt der Ökonomie.
Organisation ist gefragt
Kerninhalt jeder Seelsorge ist die Sinnstiftung aufgrund des Evangeliums, auch angesichts der Zwei Drittel der Bevölkerung in der Schweiz, die ohne Erwartung an die Kirchen sind (GfS-Studie März 2002). Wird man vor den Trends der Privatisierung vieler Lebensinhalte resignieren oder den Kern der Organisation neu zum Schimmern bringen? Es gilt anzusetzen beim Bedürfnis nach Toleranz, nach Beschäftigung mit dem Zeitgeist, nach Sozial- und Jugendarbeit und (!) Seelsorge. Dies braucht Geschick im Organisieren.
Betroffene zu Beteiligten machen
Wo Menschen ihrem Glauben aktuell Ausdruck geben, stützen sie sich auf ‚Leistungen’ der Kirchengemeinschaft. Die Aufgaben mit den Menschen am Ort stehen im Vordergrund. So organisieren sich Kirchen entlang der Zeit-Themen – spirituell und nicht nur telegen. Denn in den Gemeinden/Pfarreien entscheidet sich, welche Weisung für den je eigenen Lebenswandel gefunden wird. Vorausgesetzt, die Auseinandersetzung mit der Urkunde des Christentums – dem als Wort Gottes geglaubten Fundus seiner (Heiligen) Schriften – erfolgt im Rahmen der Sinnsuche der Betroffenen. Der allgemeine Entwicklungs-Grundsatz einer Organisation gilt demnach auch hier: Betroffene zu Beteiligten zu machen.
Team-Transparenz nach aussen und innen…
Eine erste klärende Aufgabe stellt sich für das Geschehen am Ort. Das örtliche oder regionale Seelsorgeteam und die unmittelbar engagierte Mitarbeiterschaft einer Pfarrei oder Gemeinde können sich je selbstkritisch durchleuchten lassen. Im Bistum Basel wurde vor zehn Jahren (1996!/ssk) ein einfach handhabbares Instrument eingeführt, dessen Dreizehn-Punkte-Skala einen kontinuierlichen Team-Check fördern und dadurch die Motivation stärken will. So geht es nur schon darum, dass jede Person als Haupt- & Mitverantwortliche ihren Platz im engeren Team kennt oder die Leitungsperson des Teams eine optimale Leitungskompetenz hat. Alle haben das Recht auf Anerkennung und die Pflicht zu konstruktiver Kritik. Die Vorgabe der diözesanen Instanz mit Bezug zur regionalen Basis (!) hat nach 10 Jahren nichts an Aktualität eingebüsst.
Suche nach neuem Rüstzeug
Gut gerüstet, entrüstet sich weniger. Die tägliche Erfahrung in Organisations-Systemen braucht angemessene Rüstzeuge auch in den Kirchen. Doch Führungsinstrumente wie Teamentwicklung, Leitbilder, Seelsorge-Planung, jährliches Förderungsgespräch und anderes mehr gelangen erst spät auf die Agenda. Versanden droht und die Aus- und Fortbildung auch für strukturell notwendige Rüstzeuge müsste grundlegend neu erfolgen. Ein Seminar-Bericht aus der Theologischen Fakultät Luzern zitierte die Forderung eines Teilnehmers nach „kirchlichem Denken in unternehmerischen Strukturen“ und hob hervor, dass interdisziplinäre Zusammenarbeit weiterführen wird. Ein überlegtes Vorgehen durch innengeleitete Kommunikation gilt es zu realisieren. Ohne den Regelkreis der Führungsfunktionen zu beachten, gelingen Innovationen auch im kirchlichen Raum kaum. Erforderlich sind Verhaltens-Trainings, wo eingeübt wird, wie Ziele gesetzt, geplant und entschieden werden kann – so, dass daraus die Realisierung eines Projektes mit gleichzeitig integriertem Controlling wachsen kann. An neuen Vorschlägen und Programmen in einschlägigen Kursen fehlt es nicht. Weiterführendes bahnt sich erst an. Die Grundlagen und Grenzen kirchlichen Managements zu umreissen, hat sich schon mal eine wertvolle Publikation angenommen.[3]
Heraus aus den Palästen!
Schliesslich geht es im kirchlichen Handeln darum, durch einen hohen Grad an partizipativen Strukturen ein hohes Kulturgut, lebensdienliche Spiritualität, zu kommunizieren. Zumindest von der Basis katholischer Pfarreien aus betrachtet, erscheint ein hoher Grad an Mitwirkung und Kommunikation durchaus zu erreichen. Innovatives Handeln wird freigesetzt durch überlegtes Planen und Entscheiden. Ergebnisse wie z. B. ein „Openair Cheleplatz“ lassen sich sehen – ebenso ein Verbund von fünf Körperschaften zu einer regionalen Sozialberatung, wo Zeit für die Beratung mehr zählt als Geld. Für grossräumiges Planen gibt es pastorale Orientierungsrahmen und Leitbilder an einzelnen Orten. Bei allem Reformstau in den Grosskirchen, da und dort sind Anzeichen einer permanent lautlosen Reform zu erkennen, wo sich die Ergebnisse aus Soziologie und Psychologie, Kybernetik und Betriebswirtschaft niederschlagen und zu guter Letzt sich die Verhaltenswissenschaften melden können. „Heraus aus den Palästen!“ lautet wohl die Devise der nächsten Zukunft. Folgt man dem schwedischen Organisationsberater Hedberg, lassen Zeltorganisationen flexibel, reaktionsschnell und innovativ auf turbulente Umweltsituationen reagieren – wogegen Paläste mit der Zeit unfähig sind, auf Umweltveränderungen angemessen zu reagieren, weil sie träge und selbstgefällig geworden sind. Fazit: Alle Menschen in Kirchen werden sich neu bewegen lernen müssen.
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Stephan Schmid-Keiser war langjährig tätig als Seelsorger und Theologe in Pfarreien der Deutschschweiz.
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[1] So Wilhelm Zauner, in: Diakonia 18 (1987) 85–91, 91, zit. in Monika Kronenberg/Stephan Schmid-Keiser: Gemeinsam Feuer schlagen. Was heißt es, in der Deutschschweiz eine katholische Gemeinde zu leiten? In: Pius Bischofberger, Manfred Belok (Hrsg.): Kirche als pastorales Unternehmen. Anstösse für die kirchliche Praxis, Zürich 2008, 131-14, 141.
[2] Folgende Gedanken erschienen bereits im ALPHA-Kadermarkt Schweiz, Ausgabe vom 20./21. Mai 2006.
[3] Pius Bischofberger, Kirchliches Management. Grundlagen und Grenzen, Bd. 1 ReligionsRecht im Dialog (=RRD), hrsg. v. Prof. Dr. Adrian Loretan/Universität Luzern, LIT-Verlag, Münster 2005.