Andreas Tyroller reagiert mit seinem Leserbrief auf den Beitrag von Barbara Staudigl „Mein Name ist Peter, ich stehe am Rand und geh noch’nen Meter.“
Barbara Staudigl spricht mir in ihrem Artikel aus der Seele, viele Punkte fühle ich genauso: Ich komme aus einer Pfarrei, die in den siebziger Jahren am Rande einer Kleinstadt gegründet wurde, eine Kirche wurde gebaut, wo man rings um den Altar steht, und geniale Seelsorger haben diese Pfarrei, oder besser die Gemeinschaft aufgebaut. „Du darfst niemals zu jemanden ‚Nein‘ sagen!“ war das Motto eines der Gemeindereferenten in der Gründungszeit: Jeder, der was machen wollte, durfte und wurde darin unterstützt. Die Gemeinde wuchs: Bei ca. 1500 Katholiken gab es ca. 400 Ehrenamtliche. Die nachfolgenden Seelsorger haben ganz einfach das Ganze weiterlaufen lassen und gepflegt.
Jetzt ist es anders: Wir bekamen einen neuen Pfarrer, äußerlich sehr freundlich und charmant. Aber die Ehrenamtlichen springen nach und nach ab und ich selbst stehe kurz davor. Warum? Wenn man eine Idee hat, dann heißt es nicht mehr „Ui, ich glaube das wird toll, mach das! Und red mal mit der und mit dem, ich glaube die würden mithelfen!“ sondern es gibt Stirnrunzeln und die Antwort „Da müssen wir aber den Herrn Pfarrer fragen!“ Und der Herr Pfarrer, als Reichsbedenkenträger, kann sich neue Ideen so gar nicht vorstellen. Ich habe keine Lust in meiner Freizeit die Hauptamtlichen von einer Idee überzeugen zu müssen, dann bei der Durchführung alleine dazustehen, und dann wenn nur ein Kritiker im Pfarrbüro anruft, von dort gesagt zu bekommen, „dass Leute angerufen hätten, die hätten gesagt…..! Man habe ja gleich gesagt, dass das nichts ist!“ Dafür ist mir meine Freizeit zu schade.
Gemeinschaft ist etwas anderes!
Gemeinschaft ist in unserer Kirche nicht mehr wichtig: Wie auf katholisch.de zu lesen ist, macht sich ein Bischof in den USA und die Kurie in Rom Sorgen, weil bei tausenden Messfeiern der falsche Wein verwendet wurde! Die Messen müssen nun, nach Anordnung des Vatikan wiederholt werden! Hl. Messe besteht aus den richtigen Ingredienzien: richtiger Wein, richtiges Brot, eine von oben geweihte und auserwählte (nicht beauftragte!) Person, die richtigen Worten in richtiger Reihenfolge, dann tut sich etwas, was man nicht sieht, nämlich „Transubstantiation“. Nüchtern betrachtet ist das nach meiner Meinung reine Magie! Wenn eine Zutat nicht richtig ist (wie beispielsweise der Wein) dann funktioniert es nicht! Was weder für den Vatikan und die Bischöfe ein Problem ist, ist, wenn die Gemeinschaft in Gottesdienst abhandenkommt, das stört keineswegs. Ganz im Gegenteil, bei den meisten Klerikern habe ich den Eindruck, dass die Gemeinschaft im Gottesdienst stört. Ich denke, die Sicht von Prof. Ebenbauer, dass das „klerikerzentrierte Sololiturgien“ sind, ist richtig. Die funktionieren, wie wir seit Corona wissen, auch komplett ohne Gemeinschaft: Keine der dort gehaltenen Solomessen muss nachgeholt werden.
Ich sehe in den Messen mittlerweile keine Gottesdienste mehr, sondern meiner Meinung stillen die Kleriker hier nur noch ihr eigenes Bedürfnis nach Wichtigkeit, sie dienen nicht der Gemeinschaft, zumindest habe ich sehr oft diesen Eindruck. Uns, die wir noch anders kirchlich sozialisiert wurden, wie Sie, Frau Prof. Staudigl beschreiben, bleibt hier in der Kirche wirklich nichts mehr: Die meisten, die noch Communio in der Kirche erlebt haben, sind schon gegangen, übrig sind nur noch ein paar Nostalgiker, ein paar kleine Restgemeinschaften in irgendwelchen nichtklerikalen Arbeitskreisen der Pfarrei, und die, die mit dem Klerikalismus einverstanden sind. Die Gemeinschaft stiften wollen, werden ausgebremst (s.o.)
Die meisten Menschen brauchen Kirche nicht mehr, sie stiftet keine Gemeinschaft mehr, sie dreht sich nur noch um sich selbst. Die Folge ist, die Kirche zerbröselt langsam und stetig und immer rascher: In unserer Pfarreiengemeinschaft gibt es ca. 10 000 Katholiken, davon sind letztes Jahr ca. 200 ausgetreten, und gut 240 gestorben, demgegenüber standen ca. 40 Taufen. Menschlich sagen somit 200 Menschen, sie wollen mit uns nichts mehr zu tun haben: eine Tragödie! Rechnerisch sind das im Ganzen 4 % Verlust, eigentlich nicht viel. So sagen auch unsere letztverantwortlichen Kleriker! Gut Kleriker sind Theologen und können vielleicht nicht rechnen, ich bin Ingenieur; ich bin rechnen gewohnt: 400 Menschen Verlust per annum bei einer Grundgesamtheit von ca. 10 000 Menschen bedeutet, dass in 25 Jahren keiner mehr da ist, in 12,5 Jahren nur noch die Hälfte und in 6,25 Jahren nur noch ein Viertel. Bzw. in neun Jahren gibt es maximal noch 40 Kommunionkinder anstelle von derzeit ca. 80, vorausgesetzt alle getauften Kinder gehen zur Erstkommunion.
Das wären Zeiträume und Dimensionen, die sogar Klerikern den Schweiß auf die Stirne treiben könnten. Weit gefehlt! Was macht unser Kleriker: Er klagt in der Zeitung, dass die Familien der Erstkommunionkinder die Erstkommunion nur noch als zweites großes Fest nach der Taufe betrachten würden und bejammert dass sie Sonntags nicht mehr zum Gottesdienst kommen. Andererseits feiert er mit den Kommunionkindern einen Abschlussgottesdienst, als normalen Gemeindegottesdienst in einer Fremden Gemeinde, wo er die Kinder mit kaum einem Wort mit einbezieht (außer in der Begrüßung), mit ungefähr 15 m Abstand vom Altar zu den Kindern. Nein, er feiert nicht mal, er liest lediglich das Messformular korrekt ab (vgl. oben, „Magie“). Dass die Kinder sich dabei nur langweilen (und ich mit) wundert nicht, und dass die Kinder in Zukunft genau solche Veranstaltungen meiden, ist auch logisch. Und dabei waren die Kinder mit Herzblut und Einsatz bei der gesamten Vorbereitung dabei! Erstaunlich, dass die Kirche einen solchen Braindrain zulässt, kein Sportverein lässt das zu!
Der Kirche droht nun eine Telephonhäuschenentwicklung.
Was ist eine „Telephonhäuschenentwicklung“? Vor einiger Zeit war ein Bild eines Telephonhäuschens in der Zeitung (Jüngere Leser mögen sich von den Grauhaarigen erklären lassen was das ist.). Der Bildtext besagte, dass die Telekom nun das letzte Telephonhäuschen in Deutschand abbaut, mit einem kurzen Bericht über die frühere Anzahl und Bedeutung dieser Institution. Diese Institution war bedeutsam und wichtig, ja lebensnotwendig! Man musste stets 20 Pfennig in Zehnerl dabeihaben, wenn man unterwegs mal telephonieren musste. Man konnte auch ganze fünf Mark einwerfen, aber Vorsicht, der Automat wechselte nicht! Vor 20 Jahren hat die Telekom begonnen, die Telehonhäuschen abzubauen, völlig geräuschlos, keiner hats gemerkt, keiner hat sich beschwert. Die Telephonhäuschen sind einfach verschwunden, weg, sie fehlen auch niemanden, der Ort, wo sie standen, wirkt nicht mal leer, da steht nun anderes sinnvolles, Blumen oder Bänke, oder einfach freier Raum. Genauso wird es, meiner Meinung nach, der Kirche gehen:
Sie zieht sich aus der Fläche zurück, immer größere, der Anzahl der Kleriker angepasste Einheiten werden gebildet. Bei uns kommen „Pfarreiengemeinschaften“ (welch Euphemismus!) woanders werden aus 1000 Pfarreien 40 „Seelsorgsräume“. (Hier baut man meiner Meinung man gleich mal für die nächsten 50 Jahre vor, um die Diskussion um die Auflösung der kleinen Einheiten nur einmal zu haben.) Alles entgegen der guten kirchlichen Lehre der Subsidiarität: Die funktionierende kleinere Einheit erhalten und pflegen, die ist wichtiger als das große Ganze, denn die ist am Menschen, die größere Einheit darf hier nur der kleinen Einheit dienen. Aber die große Einheit dient nicht, und „eine Kirche die nicht dient, dient zu nichts!“ (Jacques Gaillot) Was zu nichts dient, braucht man nicht mehr, wie die Telephonhäuschen, es verschwindet einfach, nach und nach, zerbröselt und kaum einer wirds merken.
Andreas Tyroller, Schrobenhausen