Es geht um tiefergehende Erneuerung ekklesialer Identität. Ein Leserbrief von Stephan Schmid-Keiser.
Das äusserst aufschlussreiche Gespräch über den ‘Tragödienklassiker’ Pastoral versus Kirchenrecht enthält die Ingredienzen für jene tiefergehende Erneuerung ekklesialer Identität, die in der Aktualität der Seelsorge seit den Tagen des Konzils erwartet wird.
Sie wird darum erwartet, weil sich die Erneuerung an der Basis der Kirche selbst zu vollziehen hätte. Die Eigenerfahrung dort ist nun aber unabdingbar für den interdisziplinären Streit. Denn im Alltag der Seelsorge – bis und mit der Applikation von c. 517 § 2 bezüglich der Möglichkeit der Gemeindeleitung durch Nicht-Ordinierte oder c. 844 § 4 bezüglich des Kommunionempfangs durch wiederverheiratet Geschiedene – sehe ich mich weniger einer Tragödie gegenüber als einem absurden Theater.
Nun aber ist eine der wichtigeren Rückfragen diese: Inwieweit die ekklesiale Identität aus theologischer und kirchenrechtlicher Sicht alle daran Beteiligten einbezieht und im Sinne des Rechts der Gnade, die allen Getauften und Gefirmten zukommt, überhaupt ernstnimmt?
Hinsichtlich c. 844 § 4 ist schnell mal eine Reissbrett-Seelsorge aufgezogen, von welcher sich schon 1994 drei namhafte Bischöfe vom Oberrhein distanzierten, als sie schrieben: «Wir sind überzeugt, dass dem manchmal willkürlichen Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen durch ein differenziertes pastorales Vorgehen begegnet werden muss, auch einem mancherorts wenig reflektierten, in etlichen Fällen unstatthaften Kommunionempfang. Von dieser Situation sind wir ausgegangen; wir wollten sie ordnen und heilen.» Der sorgfältige Gewissensspruch aller, die zum Tisch des Herrn hinzutreten, ist von jeher die Seelsorge-Maxime, die nicht zu einem dauerhaften Ausschluss vom zentralen Gnaden-Geschehen der Eucharistie führen muss. Dies käme eben einem absurden Theater gleich, wo ein ‘verzeihender’ Gott sich unbarmherzigem Tun von Kirchenverantwortlichen gegenübersähe. Hat nicht Jesus der Ehebrecherin verziehen?
Die seelsorgerische Sichtweise stösst zusätzlich an absurde Grenzen, wo die vollständige ekklesiale Identität sich allein im ‘Priestertum’ vertreten sieht. Wir kommen nicht weiter im angezeigten Konflikt zwischen Pastoral und Kirchenrecht, wenn im Bereich deren Wissenschaft – wohl systemimmanent – zum Beispiel folgende Feststellungen gemacht werden: «Konstitutiv und unersetzlich für die Feier der Eucharistie ist allein die participatio ‘specifica’ der Bischöfe und Priester. Die Zelebration ohne Teilnahme wenigstens eines Gläubigen ist ohne gerechten und vernünftigen Grund unerlaubt, aber gültig (sic!/SSK). Auch die Zelebration ohne weitere Gläubige bleibt eine Handlung der Kirche, hebt die gemeinschaftliche Natur der liturgischen Handlungen nicht auf. Der Priester repräsentiert Christus und die Gemeinde. Es gilt: Keine Eucharistie ohne Priester, wohl aber ohne andere Gläubige. Und insofern die Kirche aus der Eucharistie lebt, in besonderer Weise als ‘elementare Ekklesiogenesis’ zu sehen ist, gilt auch: Keine Kirche ohne Priester, wohl aber ohne übrige Gläubige.» Kirche ohne Gläubige? Kirche nur im sacerdotalen Handeln? Kirche abgelöst von jeder Bodenhaftung? Kirche, die im ökumenischen Umfeld sich zusätzlich noch mehr über alle anderen stellt? Das kann so ‘nur’ in einer Überhöhung des tridentinischen Priesterbildes gesehen werden. Muss es darum irreversibel sein? Der Streit muss weitergehen. Ein gründliches Neudurchdenken des kirchlichen Gesetzbuches ist mehr als gerechtfertigt.
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Autor: Stephan Schmid-Keiser, Luzern (CH)
Pastoral versus Kirchenrecht. Wie weiter mit dem „Tragödienklassiker“? II