Paul Thissen nimmt Bezug auf einen Artikel von Rainer Bucher vom 13. Mai 2019.
Ohne irgendeiner Person nahetreten zu wollen, lehrt mich die in den letzten Jahren als Kirchenmusikreferent des Erzbistums Paderborn gemachte Erfahrung, dass man als überzeugter Vertreter einer – wenn möglich – auf hohen ästhetischen Maßstäben basierenden Kirchenmusik nicht zuletzt seitens des pastoralen Personals ob ihrer Präferenz des Populären immer mehr unter Legitimationszwang steht.
Dass die im Rahmen von Bewerbungsverfahren für Kirchenmusikerstellen erste Frage häufig lautet, wie der/die BewerberIn es denn mit der Popularmusik halte, ist mehr als nur ein Symptom. Insofern bin ich dem Kollegen Bucher sehr dankbar für den Artikel, der mich umso mehr erfreut, aber auch überrascht, als er aus der Feder eines Pastoraltheologen stammt. Der Text liefert verschiedene Aspekte, die m. E. für die Diskussion von zentraler Bedeutung sind. Abgesehen vom Hervorheben der „musikalische[n] Kompetenz“ der Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen, der Forderung, „Christinnen und Christen in ihrer Rezeptionsfähigkeit von Musik zu bilden“ und der wunderbar formulierten Bitte sich „vom mittleren Geschmack des pastoralen Personals nicht domestizieren zu lassen“, möchte ich einen Aspekt in besonderer Weise herausgreifen.
Im innerkirchlichen Diskurs wird die populäre häufig mit moderner Musik gleich gesetzt, wiewohl doch kaum zu leugnen ist, dass kirchliche Popularmusik nun wahrhaftig nicht als die Speerspitze der musikalischen Avantgarde gesehen werden kann, zumal sie z. B. auf der Ebene der Parameter Harmonik und Rhythmik in der Regel extrem schlicht ist. Noch bedenklicher sind in meinen Augen jedoch die Texte, die aufgrund ihres extrem affirmativen, ja nicht selten erschreckend naiven Charakters, die mir in einer Zeit, die randvoll ist mit Ereignissen, an denen die Theodizee-Frage zu zerschellen droht, als völlig unangemessen erscheinen und keinerlei Zeitgenossenschaft beanspruchen können.
Bucher hingegen macht deutlich, dass Zeitgenossenschaft in den Künsten bedeutet, dass eine „widerständige Wirklichkeit“ formuliert wird, was eine „[h]armoniegesättigte Wohlfühlmusik“ kaum leisten kann. Um eines ganz klar festzustellen: Es geht mir überhaupt nicht darum, gegen die Popularmusik zu polemisieren und sie herabzusetzen, aber was mich massiv stört, ist ihre immer stärker werdende Dominanz (die Herrschaft des Populären und Unterhaltenden ist ein Phänomen, das der chilenische Schriftsteller Mario Vargas Llosa in einem vor einiger Zeit erschienenen Büchlein mit dem schönen Schlagwort „Alles Boulevard“ belegt) und ihr wirklich ärgerlich zu nennender Anspruch, die Moderne zu repräsentieren.
Ich persönlich bin der festen Überzeugung, dass Kirchenmusik als eine Säule nicht nur kirchlichen, sondern auch kulturellen Lebens in Deutschland einzig dann eine Zukunft hat, wenn sie profiliert ist, wenn sie nicht – wie man es z. B. immer wieder bei Kirchentagen erleben kann – überwiegend als Klon des Populären und Gefälligen erscheint, sondern als eine Kunst, an der es sich auch einmal abzuarbeiten gilt. Eine solche Kunst, die eben nicht der Lebenswirklichkeit entspricht, die „ganz anders“ ist, eröffnet vielleicht auch die Möglichkeit, Gott, den doch sicherlich „ganz Anderen“ zu erahnen.
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Autor: Prof. Dr. Paul Thissen