Über „Über Kirchenmusik“ hinaus. Ein popkulturelles Weiterdenken der Thesen Rainer Buchers – mit einem Leserbrief von Max Tretter.
Den Ausführungen Buchers, besonders seinen „drei Wünsche[n] an Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker“ – die kreative Öffnung und Verflüssigung über die bisherigen Kirchengrenzen und den bestehenden Musikgeschmack der Gemeindeglieder hinaus auf „die ganze Bandbreite der Musik“ hin – kann ich mich voll und ganz anschließen. Jedoch vermisse ich in den zugehörigen Ausführungen ein gewisses Maß an Konsequenz, das sie selbst einfordern. So endet sicher die gewünschte Bandbreite nicht bei der ‚Vokalmusik‘ Morten Lauridsens oder den ‚Experimenten‘ Karlheinz Stockhausens. Auch bilden diese nicht im Alleingang die „zeitgenössische Welterfahrung“ ab, sondern repräsentieren allenfalls einen sehr hochkulturellen Musikgeschmack und bilden damit die Nischen-Welterfahrung einer (musikalisch-)kulturellen Elite ab.
Um also den Vorschlägen treu zu bleiben und sie glaubwürdig umzusetzen, gilt es, den von ihnen eingeschlagenen Weg weiterzuverfolgen. Dies bedeutet m.E. in erster Linie: den bisweilen hochkulturellen Fokus zu erweitern, die (religiösen) Potentiale der musikalischen Pop- und Alltagskultur zu entdecken[1]und deren kreative Erzeugnisse kirchlich (wieder) zu beleben.
Wer vor einem solchen Schritt zurückschreckt und den Einzug von Rock-, Pop- oder gar HipHop-Musik in die kirchlichen Gemäuer eher kritisch beäugt, dem seien an dieser Stelle die gottesdienstlichen Potentiale des HipHop – der als exemplarisches Genre intuitiv wohl am meisten Argwohn erregt – angedeutet. Als weltweit meistgehörtes Musikgenre bildet er nämlich nicht nur die Weltwirklichkeit am getreuesten und breitesten ab, sondern kann diese Perspektiven auch konstruktiv in kirchliche Vollzüge wie den Gottesdienst eintragen.[2]In den USA – wo bekannte Rapgrößen à la Lecrae oder Chance the Rapper nicht nur in Gottesdiensten performen, sondern wie bspw. Kanye West auch eigene Sunday Services veranstalten – lassen sich die wechselseitig konstruktiven Potentiale einer solchen gottesdienstlichen wie kirchenmusikalischen Integration bereits zuverlässig nachweisen.[3]
Angesichts dieses alltagskulturellen wie populär-musikalische Potentials lässt sich das eventuelle Zögern hoffnungsvoll überbrücken und Buchers Vision sich in einer konsequent erweiterten Form verwirklichen: kirchenmusikalische Pastoral als Wagnis und Zeitgenossenschaft durch Öffnung, Verflüssigung und Bildung; ja bitte!
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Autor: Max Tretter
Quellen
Fischbach, Anne-Kathrin. „Rap Als Predigt Der Gegenwart.“ y-nachten, 21.01.2019 2019.
Radcliff Jr., Dwight A. „Hip Hop Hermeneutics: How the Culture Influences Preachers.“ Journal of Hip Hop Studies 5, no. 1 (2018): 64–84.
Tretter, Max. „Alltag/Alltagskultur.“ In Ethik-Evangelisch, edited by Netzwerk Ethik in der ELKB, 2019.
„Vom Nutzen (Und Nachteil) Der Inhaltslosigkeit: Rap Und Liturgie.“ y-nachten, 29.04.2019 2019.
Endnoten:
[1]Max Tretter, „Alltag/Alltagskultur,“ in Ethik-Evangelisch, ed. Netzwerk Ethik in der ELKB (2019).
[2]Homiletisch, sh. Anne-Kathrin Fischbach, „Rap Als Predigt Der Gegenwart,“ y-nachten, 21.01.2019 2019.Liturgisch, sh. Max Tretter, „Vom Nutzen (Und Nachteil) Der Inhaltslosigkeit: Rap Und Liturgie,“ ibid., 29.04.2019.
[3]Dwight A. Radcliff Jr., „Hip Hop Hermeneutics: How the Culture Influences Preachers,“ Journal of Hip Hop Studies5, no. 1 (2018).