Die Erfahrung der Pandemie lautet „Unterbrechung“, die kürzeste Definition von Religion, meint Michael Wollek.
Auf welche Erfahrungen bezieht sich Theologie in Coronazeiten? Allgemein geantwortet: auf die teils gemeinsamen, teils sehr unterschiedlichen Lebenserfahrungen, die Menschen nun machen, und auf die Interpretationen dieser Erfahrungen. Eine sehr konkrete Erfahrung ist die der Unterbrechung. Wenn Unterbrechung die kürzeste Definition von Religion ist (Johann Baptist Metz), dann müssten wir gerade in einer tief religiösen Zeit leben. So viel an Unterbrechung war für uns hier und jetzt Lebende wohl noch nie. Die Unterbrechungen ziehen sich durch das private wie das öffentliche Leben; auch die Ausübung von Religion ist durch Unterbrechungen gekennzeichnet. Allerdings: Diese Unterbrechungen sind nicht gewollt und werden kaum als positiv erlebt. Diese Unterbrechungen sind Störungen. Sie sind unbequem und durchkreuzen vieles. Vielleicht ist jedoch gerade diese Störung, genauer: dieses sich persönlich gestört fühlen ein wesentlicher Erfahrungsmoment in Zeiten von Corona.
Eine erfahrungsbezogene Theologie könnte sich also mit den Phänomenen der als Störung erlebten Unterbrechung beschäftigen: Was wird eigentlich gestört? Was geschieht bei einer gestörten Verkündigung, einer gestörten Liturgie und einer gestörten Diakonie und was für Folgen hat das? Soll nach Ende der Störung wieder der vorige Zustand als Normalität gelten? Die Bibel ist voller Beispiele, dass Religion und Glauben auch eine störende Funktion haben und das gewohnte und scheinbar „Normale“ in Frage stellen. Also: Störung – die kürzeste Definition von Religion und zugleich Ausgangspunkt einer erfahrungsbezogenen Theologie in Zeiten von Corona?
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Dr. Michael Wollek, Diakon in Rottweil.