Ein weiterer Leserinbrief zum Artikel von Christian Kern.
Als Missbrauchs-Opfer eines katholischen Priesters möchte ich Christian Kern für seinen Artikel danken.
Ich möchte mich auf diesem Weg auch bei den mutigen Betroffenen bedanken, die diese Performance gewagt haben. Das Video zu sehen hat mich tief bewegt.
Und zum ersten Mal in der langen Zeit, in der ich mich mit der Kirche auseinander setze wegen der sexuellen Gewalt, die ich als Kind erleiden musste, zum ersten Mal erlebe mit Herrn Kern einen Mitarbeiter dieser Kirche, der dieses Thema an sich heran lässt, und bereit ist, die Tragweite der Folgen zu erfassen, zu benennen, und öffentlich zu thematisieren. Auch das hat mich sehr bewegt.
Ja, ich wurde tief verletzt, ich wäre fast daran gestorben; ja, ich wünsche mir, dass das erfasst und verstanden wird. Ich möchte nicht, dass Menschen, die sexuelle Gewalt überlebten, in die stillen Kämmerlein von Therapien und privaten Gesprächen abgeschoben werden, damit sie mit der Ignoranz und der Gleichgültigkeit so vieler Menschen dem Thema sexuelle Gewalt gegenüber irgendwie zurecht kommen. Denn das würde bedeuten, das Schweigen und Ignorieren weiter zu dulden, und sich damit abzufinden, dass auch heute, jetzt, etwa eine Million Kinder sexueller Gewalt ausgesetzt sind.
Es ist gut und wichtig, dass von sexueller Gewalt Betroffene sich zeigen und Öffentlichkeit herstellen. Im Bistum Würzburg mag eine für viele Betroffene zufrieden stellende Aufarbeitung der Verbrechen erfolgen (ich bin nicht aus der Gegend) – aber auch das ist der hartnäckigen Arbeit von Betroffenen wie Matthias Katsch und vielen anderen zu verdanken. Denn zu Gesprächen mit Betroffenen musste die Kirche erst durch öffentlichen Druck gezwungen werden. Leider weiß ich von etlichen Menschen, die weiterhin abgewimmelt und abgewertet werden, auch weil sie ohne jede Unterstützung dastehen.
Ich gebe zu: Ich hätte es nicht gewagt, an einer solchen Aktion teilzunehmen. Ich hätte mich zu sehr geschämt. Ich will nicht als Opfer gesehen werden. Aber ich bewundere den Mut dieser Menschen, die genau die Stigmatisierung thematisieren, vor der wir Betroffenen uns fürchten.
Nein, das Thema darf nicht zurück in die stillen Kämmerlein und in die Diskretion. Denn das waren die Orte, wo die Verbrechen geschahen.
Der Artikel, die Performance zeigen auch etwas sehr Wichtiges: Wir sind nicht diejenigen, die sich zu schämen haben. Wir sollten endlich damit aufhören. Auch wenn es so schwerfällt.
Astrid Mayer
(erweiterte Fassung)