Kurz vor Beginn der Synode hat Papst Franziskus auf seiner apostolischen Reise nach Belgien nochmals für Negativ-Schlagzeilen gesorgt, weil er über „die Frau“ als „fruchtbare Aufnahme, Fürsorge, lebendige Hingabe“ gesprochen hatte. In einem präzedenzlosen Vorgang hat sich die Université Catholique Louvain in einer Pressemitteilung von dieser Position distanziert: „L’UCLouvain exprime son incompréhension et sa désapprobation quant à la position exprimée par le Pape François concernant la place des femmes dans l’Eglise et dans la société.“ Möglicherweise hat genau dieser Eklat dazu beigetragen, dass die Synodal*innen und Theologischen Expert*innen der Synode sich des Risikos bewusst waren, das mit dem Rekurs auf Geschlechterstereotype verbunden ist.
Tatsächlich findet sich im Text des Abschlussdokuments nicht die von Claudia Lücking angesprochene „männerzentrierte Anthropologie“, nach der Frauen geschätzt werden „für ihre Mütterlichkeit, ihre Leidensfähigkeit und Warmherzigkeit, nicht aber für ihre Fähigkeiten des Führens, des Entscheidens oder gar der Bekleidung kirchlicher Weiheämter“ (selbstverständlich trifft der letzte Punkt zu). Mit dem Abschlussdokument der Synode liegt vielmehr ein Text vor, der keinerlei Wesenszuschreibungen an Frauen (oder Männer) vornimmt. Das kann sogar als diskrete Kritik an Papst Franziskus gelesen werden, der in der Nachfolge Johannes Pauls II. und mit blumigen Worten den „weiblichen genius“ wie etwa bei der oben genannten Reise beschwört. Norbert Lüdeckes “loben statt weihen“ ist längst zum geflügelten Wort geworden. Für das Abschlussdokument der Synode trifft dagegen eine Bemerkung Elisabeth Gössmanns zum Zweiten Vatikanischen Konzil zu, die damals – tatsächlich noch zu euphorisch – von der „Gleichberechtigung im Laienstand“ sprach.
Etwas komplizierter wird die Lage, wenn man auf den durchaus changierenden Artikel 52 des Abschlussdokuments zu menschlichen Beziehungen blickt, wo der steile Satz zu lesen ist: „Der Unterschied zwischen den Geschlechtern bildet die Grundlage menschlicher Beziehungen.“ Gleichzeitig macht das Dokument mit Verweis auf Gal 3,27f klar: „Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen ist nicht Teil von Gottes Plan.“ Für Christen gelte es, „diese Verschiedenheit, die ein Geschenk Gottes und eine Quelle des Lebens ist, an jedem Ort und in jedem Kontext anzunehmen und zu respektieren. Wir geben Zeugnis vom Evangelium, wenn wir versuchen, in Beziehungen zu leben, die die gleiche Würde und Gegenseitigkeit (reciprocità) von Männern und Frauen respektieren. Das vielfach zum Ausdruck gebrachte Leid und der Schmerz vieler Frauen aus allen Regionen und Kontinenten, sowohl von Laiinnen als auch von Ordensfrauen, während des synodalen Prozesses zeigen, wie oft wir dieser Vision nicht gerecht werden.“ In diesem Abschnitt wird eine Geschlechterdifferenz zwar vorausgesetzt, aber nicht definiert. Der Blick richtet sich vielmehr auf die Diskriminierungen, die Frauen in der Kirche erfahren.
Die Bedeutung von Abschnitt 52 wird erst mit Blick auf das Konzept der „reciprocità“ (im Deutschen mit Gegenseitigkeit übersetzt, in einigen Dokumenten auch mit Wechselseitigkeit) ersichtlich, das seit dem nachsynodalen Schreiben zur Jugendsynode „Christus vivit“ in die päpstliche Lehrverkündigung eingegangen ist. In „Christus vivit“ geht es beispielsweise um die „berechtigten Ansprüche von Frauen, die größere Gerechtigkeit und Gleichheit verlangen“. Der Papst verspricht: Die Kirche „wird mit Überzeugung ihren Beitrag zu einer größeren Reziprozität von Männern und Frauen leisten, auch wenn sie nicht mit allem einverstanden ist, was einige feministische Gruppen vorschlagen“ (Nr. 42). Reziprozität ersetzt hier das bisherige Konzept der „Komplementarität der Geschlechter“, das die Last der Komplementarität immer Frauen, nie Männern aufgebürdet hatte. Das Abschlussdokument der Synode macht nun den Shift von der „größeren Reziprozität“ hin zu einer „gleichen Reziprozität“, die in einem weiteren Sinn grundsätzlich gelingende Beziehungen, z.B. auch in Basisgemeinden oder unter Ortskirchen, bezeichnen kann.
Das sind für mich die neuen Narrative, die sich aus dem Abschlussdokument der Synode mit Blick auf Geschlechterordnungen ergeben: Reziprozität statt Komplementarität der Geschlechter, der Fokus auf gelingenden Beziehungen und ein Abschied von Geschlechterstereotypen. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.
Regina Heyder