Sonja Dolinsek kommentiert den Beitrag Keine Gleichsetzung von Menschenhandel und Prostitution von Nathalie Eleyth und den Leserinbrief von Esther Gisler Fischer.
Sehr geehrte Redaktion,
ich möchte mich hiermit für die Veröffentlichung des Beitrages von Nathalie Eleyth bedanken, da sie wichtige Aspekte anspricht, die die aktuelle Debatte schon seit Jahren negativ prägen und über die man auch in konfessionellen Kreisen endlich offen sprechen muss. Als Nicht-Angehörige einer Konfession beobachte ich mit etwas Besorgnis, wie die Bekämpfung von Menschenhandel in den USA und zunehmend auch in Europa und Deutschland mit der Bekämpfung von Prostitution/Sexarbeit gleichgesetzt wird (dass dies der Fall ist, ist an vielen Texten und Posts der von Frau Eleyth genannten Gruppen nachzuprüfen) und wie diese wiederum durch teilweise illiberale Vorstellungen akzeptabler Sexualität gerechtfertigt werden. In einem säkularen Staat darf eine konfessionell geprägte Sexualmoral, wonach Sexualität nur in einer Ehe stattfinden soll, nicht zum allgemeingültigen Maßstab werden.
Dass religiöse Vorstellungen von Sexualität schon seit jeher mit der Bekämpfung von Prostitution bzw. jeglicher Form von nicht-ehelicher Sexualität verwoben sind, ist in der historischen Forschung unumstritten. In der aktuellen sozialwissenschaftlichen Forschung, die sich insbesondere auf die USA konzentriert, ist auch die These, dass konfessionell orientierte Organisationen, die sich dem Kampf gegen Menschenhandel verschrieben haben, letztendlich lediglich nur die Prostitution (auch und vor allem die freiwillige Prostitution) bekämpfen wollen, lange akzeptiert. Es sind in den USA oft die gleichen evangelikalen Organisationen, die von jungen Frauen Keuschheitsversprechen abverlangen und damit unzeitgemäße Vorstellungen von Sexualität zementieren, die auch den Kampf gegen Menschenhandel anführen. Die These, dass „Menschenhandel“ nur ein Deckmantel für die Bekämpfung von Prostitution als eine der unerwünschten Varianten nicht-ehelicher Sexualität ist, ist hier nicht nur korrekt, sondern auch unumstritten. Siehe hier: https://theconversation.com/evangelical-women-are-shaping-public-attitudes-about-sex-work-89129
Frau Eleyth positioniert sich in der Debatte mit sehr reflektieren Beobachtungen zur aktuellen Debatte. Auch hierzu gibt es schon Präzendenzfälle in der Forschung. Denn ein konfessioneller Hintergrund ist nicht per se ein Problem. Auch eine grundsätzliche Bevorzugung von ehelicher Sexualität ist dies nicht – solange dies nicht als universales Ziel von allen Menschen gefordert wird. Dies ist z.B. das Argument der amerikanischen Forscherin Yvonne Zimmermann, die sich intensiv mit der Art und Weise beschäftigt hat, wie konfessionelle Communities gegen Menschenhandel kämpfen können, ohne gleichzeitig damit nur Prostitution zu bekämpfen und somit eine partikulare Sexualmoral durchsetzen zu wollen. Zimmermann spricht von „Other Dreams of Freedom“ (im gleichnamigen Buch), denn die Befreieung von Ausbeutungsstrukturen des Menschenhandels muss eben nicht für alle heißen, dass auch der Prostitution eine Absage erteilt wird: https://humantraffickingcenter.org/htc-hosts-yvonne-zimmerman/ . Und damit müssen wir – und auch die Kommentatorin Frau Gisler Fischer – leben können.
Zu Frau Gisler Fischers Kommentar möchte ich noch eine Berichtigung anstellen. Es ist historisch falsch, dass Prostitution aus der Sklaverei entstand. Sklaverei ist ein rechtlicher Status, wonach eine Person einer anderen als Eigentum und Besitz gehört. Die Arbeitskraft und die Körper von Sklaven und Sklavinnen konnten als „Eigentum“ in einer Vielzahl von Arbeitsverhältnissen eingesetzt werden, inkl. in Bordellen. Das heißt aber noch lange nicht, dass mit Prostitution notwendigerweise ein Besitzverhältnis einherging und einhergehen muss. Streng genommen war auch die Ehe lange Zeit extrem nahe an einem Eigentumsverhältnis, in dem die Ehefrau oft de jure aufhörte ein eigenes Rechtssubjekt zu sein. Daraus folgt aber nicht, dass die Ehe heute immer noch ein Eigentumsverhältnis ist. Im Mittelalter gehörten Prostituierte als nicht-verheiratete Frauen zu den wenigen „freien“ Frauen. Sie hatten sich der väterlichen Gewalt genauso entzogen, wie der Ehe. Dass sie deshalb aus der Gesellschaft ausgegrenzt wurden, ist der Ursprung des immer noch anhaltenden Stigmas der Prostitution. Prostitution ist aber nicht mit einem Besitzverhältnis der Sklaverei, das heutzutage auch so nicht mehr existiert, vergleichbar und schon gar nicht kommt Prostitution einem Besitzverhältnis gleich. Menschenrechte gelten heute zum Glück auch für Prostituierte und somit sind auch Prostituierten keine Sklav*innen, sondern freie Menschen in einer (hoffentlich noch lange existierenden) pluralistischen liberalen Demokratie, in der auch diese Entscheidung respektiert und nicht verachtet wird.
Mir scheint, das hier die Assoziation von Prostitution mit Sklaverei oder wahlweise Menschenhandel eher auf eine metaphorische, eher unpräzise Verwendung des Begriffs der Sklaverei verweist. Auch das ist historisch weitestgehend bekannt, dass „Sklaverei“ als Metapher benutzt wurde, oft von weißen Menschen – das schreibt zumindest die Sklavereihistorikerin Suzanne Miers: https://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/01440390308559152 . Dass wir damit genau den Versklavten Unrecht tun, sollten wir hier nicht vergessen.
Mit besten Grüßen
Sonja Dolinsek, Doktorandin am Lehrstuhl für Globalgeschichte des 19. Jahrhunderts / Universität Erfurt.