Sr. Magdalena Winghofer CJ nimmt Bezug auf einen Artikel von Rainer Bucher vom 13. Mai 2019 „Über Kirchenmusik“.
Die Artikel zur Kirchenmusik sind zwar schon ein paar Tage alt (Rainer Bucher, 13.5.2019; Leserbrief Max Tretter; Leserbrief Paul Thissen), aber nach ein paar neuerlichen „Leidenserfahrungen“ zum Thema drängt es mich nun doch noch, Ihnen zu schreiben – vielleicht verbunden mit dem Wunsch, dass auf dieser Plattform noch eine andere Stimme, z.B. die eines Liturgiewissenschaftlers/-wissenschaftlerin, zum Thema spricht.
Ich bin keine Wissenschaftlerin, habe mich nicht wissenschaftlich mit Kirchenmusik beschäftigt, aber immerhin ein Theologiestudium absolviert, und, viel prägender, ungezählte Liturgien mitgefeiert oder auch selbst geleitet.
Auch Kirchenmusik hat die innere Dynamik der Liturgie aufzugreifen.
Liturgie ist für mich ein Geschehen, ein Begegnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch im Rahmen der Kirche, im Rahmen der Gemeinschaft der Glaubenden. Ein solches Begegnungsgeschehen hat eine innere Dynamik, und diese Dynamik gilt es zu spüren und zu inszenieren, um den Mitfeiernden den inneren Einstieg in dieses Geschehen zu ermöglichen. Freilich ist das Gnade – aber es gibt doch einiges, was menschlich dabei zu ermöglichen oder eben auch zu verhindern ist. Das heißt für mich: Jeder liturgische Dienst, auch der der Kirchenmusik (in jeder Form) hat diese Dynamik aufzunehmen, zu stützen und zu fördern.
Ich habe Kirchenmusiker/innen erlebt, die das wunderbar vermocht haben. Deren Musik Dienst an der Gemeinde war, indem sie den Menschen eine Ausdrucksmöglichkeit vor Gott zur Verfügung gestellt haben. Die ein sorgsames Gespür für die liturgische Zeit und die Botschaft der biblischen Texte in eine gute Auswahl von Liedern umgesetzt haben, so dass der Gesang zum Gebet werden konnte, in dem sich ausdrücken lässt, was das Wort Gottes anrührt. Die Instrumentaltexte und Liedbegleitungen so gestaltet haben, dass sie zum Ausdruck bringen, was da ist und doch kaum in Worte gefasst werden kann.
Weite Bandbreite
Nun sind Menschen sehr unterschiedlich, und was des einen Ausdruck ist, kann das für den anderen nicht sein. Die „Sprache“, die den einen berührt, lässt den anderen kalt. Deshalb, und da möchte ich an Rainer Bucher anschließen, braucht es die ganze Bandbreite. Allerdings möchte ich diese Bandbreite noch etwas weiter sehen – dazu gehört für mich auch: sog. Neues Geistliches Lied (was ja inzwischen schon längst nicht mehr neu ist), das neuere Neue Geistliche Lied, Lobpreislieder, Pop und Rock, ja sogar Rap und was es nicht noch alles gibt. Und richtig: Das ist längst nicht alles für Orgelbegleitung geeignet! Und das sollte bitte auch nicht versucht werden. Aber warum sollten Kirchenmusiker/innen nur mit Orgelbegleitung arbeiten können?
Liturgie ist nicht der Ort der Pädagogik
Ich möchte Rainer Bucher allerdings darin widersprechen, die Kirchenmusiker/innen sollten den Musikgeschmack der Christen bilden. Liturgie ist für mich nicht der Ort der Pädagogik. Als Mitfeiernde fühle ich mich ob solcher Intention schnell zum Objekt gemacht – ich bin hier, um in die Dynamik der Gottesbegegnung einzutreten, nicht, um musikalisch gebildet zu werden! Daher ist mein Traum nicht der, dass alle Christen sich irgendwann in jeder Musikform ausdrücken können – denn das nimmt die Unterschiedlichkeit der Menschen nicht ernst. Vielmehr ist mein Traum, der freilich wohl nur ein Traum für (Groß-)Städte sein kann – aber wenigstens da! -, dass es für die ganze Bandbreite der Kirchenmusik Orte gibt. Ein junger Erwachsener sagte schon vor ein paar Jahren einmal zu mir: „Warum ist es so unmöglich, dass in einer Stadt, in der jeden Sonntag 43 Eucharistiefeiern gefeiert werden, davon eine verlässlich mit neueren Liedern gestaltet ist, die meine Sprache sprechen?“ Ja, warum ist es unmöglich, denen einen Ort zu geben, die sich in lateinischer Gregorianik ausdrücken, ebenso wie denen, die sich im NGL ausdrücken, wie denen, die sich in dieser oder jener Sprache ausdrücken und sie verstehen können?
Alle liturgischen Dienste mögen sich als dienend verstehen
Und noch einen zweiten Wunsch habe ich: Kirchenmusik wie alle liturgischen Dienste mögen sich als dienend verstehen und nicht der Versuchung erliegen, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Wo mich das Gefühl beschleicht, eigentlich in einem Konzert mit Textunterbrechungen gelandet zu sein, wird für mich Liturgie zerstört. Da ist der liturgische Dienst eingezogen, alle haben ihre Plätze eingenommen, es kann losgehen – und dann warten alle minutenlang, bis auch der / die Organistin ihr Stück zu Ende gebracht haben. Die Gabenbereitung ist vollzogen, der Tisch gedeckt – aber das Vorspiel des Begleitliedes noch nicht zu Ende, und es folgen noch fünf Liedstrophen, so dass der Priester wieder Platz nimmt, denn bis es weitergeht, wird es noch länger dauern. In solchen Situationen fühle ich mich in die Rolle der Zuschauerin, Zuhörerin versetzt, die das Können des Spielenden bewundert / bewundern soll. Aber dafür bin ich nicht gekommen.
Vermutlich gibt es auch dazu verschiedene Ansichten, Empfindungen, unterschiedliches Erleben. Darum glaube ich, dass es fruchtbar wäre, darüber in einen Dialog einzutreten. Leider erlebe ich das mit Kirchenmusiker/innen oft aber schwierig. Kritische Rückmeldungen, Anfragen etc. sind nicht erwünscht („Sie sollten besser hier nicht in den Gottesdienst gehen, auf Wiedersehen“, war die letzte Antwort auf einen entsprechenden Versuch). Und auch von Priestern und Pastoralen Mitarbeitenden höre ich immer wieder, dass sie eigentlich ihren Kirchenmusiker/innen gerne etwas sagen würden, sich aber nicht trauen – denn „er / sie ist schnell beleidigt“ – mitunter mit dem Nachsatz „Er / Sie ist halt ein/e Künstler/in.“ Und ich frage mich: Wenn alle liturgischen Dienste gemeinsam der Liturgie und ihrer Dynamik dienen und sich selbst so verstehen – sollte es dann nicht möglich sein, miteinander hinzuspüren und zu suchen, welche Formen dem Ziel am meisten dienen?
(Nachzutragen ist der Satz, dass die hier beschriebenen Wünsche selbstverständlich auch für alle anderen liturgischen Dienste gelten – und auch hier gibt es genug „Leidenserfahrungen“. Aber das ist dann ein anderes Thema).
—
Autorin: Sr. Magdalena Winghofer CJ