Habe Mut, dich mit der Säkularität deiner Umwelt auseinanderzusetzen! Christian Bauers Forderung muss erhoben werden und ist erschütternderweise keine Selbstverständlichkeit. Studierende der Theologie sollen nicht unter einer Glasglocke leben und studieren, in der sie von „schädlichen Einflüssen“ abgeschirmt und behütet sind – sie sollen lernen, sich mit ihrer Umwelt analytisch, kritisch und kreativ auseinanderzusetzen.
Die Mehrheit unserer Zeitgenossen braucht offenbar eine Erlösungsreligion nicht und sie weiß nicht, dass sie sie nicht braucht. Da gerade daraus ein im Wortsinn „radikales“ Unverständnis gegenüber dem christlichen Glauben und dem Rechtsstatus der Kirchen in der Gesellschaft resultiert, ist es umso dringlicher, dass Christ*innen Auskunft geben können über die Hoffnung, die sie erfüllt – und dies in einer Form, die den Gesprächspartnern angemessen ist.
Den primären Ort einer fundierten theologischen Auseinandersetzung mit der Säkularität sieht Christian Bauer in der staatlichen Universität. Dem soll an dieser Stelle nicht widersprochen werden: weil die Theologie einen Mehrwert für die Universität enthält, und weil die Theologie selbst von dieser Verankerung profitiert. Denn die disziplinäre Pluralität moderner Universitäten bietet Chancen für den akademischen Dialog und für jede theologische Disziplin Gesprächspartner in anderen Fächern. Freilich sollte man Bauers Statement nicht weiter dehnen als er es selbst tut: Eine Dichotomie zwischen staatlich und kirchlich getragenen Institutionen wäre verfehlt, weil zu vereinfachend. Denn Konfrontation und Gespräch zwischen Theolog*innen und „säkularen“ Zeitgenossen finden sich beispielsweise auch im Binnenraum der Universität, an der ich arbeite, und sie fordern auch meine Fakultät immer wieder heraus. Umgekehrt ist die Abschottung von „der Welt“ auch an einer staatlichen Universität möglich. Die Frage ist also nicht nur, wer eine Hochschule oder Fakultät finanziell trägt, sondern ob hier der Dialog zwischen Theologie und „Säkularität“ möglich ist und gesucht wird. Dies halte ich in der Tat für ein bedeutsames Qualitätskriterium.
Eine weltabgewandte Theologie verbietet sich von selbst. Bauers Fokus auf die Priesterausbildung wirft aber ein bezeichnendes Licht auf die Debatte. Zwei Aspekte sollen ergänzt werden: Erstens findet Priesterausbildung nicht nur an den Theologischen Fakultäten statt. Vom historisch belasteten Verhältnis von Fakultäten und Priesterseminaren könnte noch heute manches Lied gesungen werden. Wo die Seminarausbildung statt praktischer und geistlicher Übung theologische Konkurrenzveranstaltungen liefert oder die nötigen zeitlichen und geistigen Freiräume für das Studium durch Arbeit „in der Praxis“ einschränkt, da dürfte ein fruchtbares Miteinander der Institutionen eher zum Wunschtraum werden. Doch weder die antiintellektuelle Attitüde mancher Kleriker noch die antiklerikale Attitüde mancher Universitätstheologen kann für ein zukunftsweisendes Ideal von Priesterausbildung stehen.
Zweitens bilden die Priesteramtskandidaten zwar eine politisch entscheidende, aber zahlenmäßig eher geringe Größe. Die größte – und zugleich in der Debatte vernachlässigte – Studierendengruppe an theologischen Fakultäten sind die Studierenden in Bachelor- und Lehramtsstudiengängen. Dabei verdienen gerade sie unter den von Bauer erwähnten Vorzeichen Beachtung: Unabhängig von ihrem späteren Beruf werden sie die Auseinandersetzung mit einer säkularen Welt führen müssen und brauchen dafür die bestmögliche Ausbildung; das differenzierte Fächerspektrum der Fakultäten bietet dafür günstige Voraussetzungen. Freilich sind auch diese Studierenden nicht vor der Gefahr eines Rückzugs in eine weltabgewandte, „dekontextualisierte“ Theologie gefeit. Entsprechende Interessengruppen oder geistliche Gemeinschaften können hier unter Studierenden eine „Gegentheologie“ etablieren, die wiederum mit der an Fakultäten gelehrten Theologie konkurriert und Studierende durch aggressive Rechthaberei entweder verunsichert oder der akademisch-reflektierten Theologie abspenstig macht.
All dies ist nicht grundsätzlich eine Frage der Trägerschaft einer Hochschule. Entscheidend wird sein, ob und wie die Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit einer fortschreitend säkularen Welt genutzt werden. Wo diese nicht durch die Institution gegeben sind (hier sind die staatlichen Fakultäten zweifellos im Vorteil), sehe ich mit Christian Bauer die zwingende Notwendigkeit, sie zu schaffen – im ureigenen Interesse der Theologie selbst. Zugleich erscheint es mir geboten, dass Priesterseminare, Mentorate und Fakultäten die Ausbildung junger Theolog*innen als gemeinsames Projekt betreiben. Wie sonst sollten diese Auskunft geben über die Hoffnung, die sie erfüllt, wenn es nicht die Orte gibt, an denen dies eingeübt und reflektiert wird?
Von Bernward Schmidt, Eichstätt
Epistemischer Klerikalismus? Plädoyer für eine universitär verortete Theologie