Jesus,
ich bin so wütend. Ein Gefühl, das ich als Betroffene von Gewalt erst seit einiger Zeit als solches wahrzunehmen gelernt habe. Durch die Taten einer Nonne wurde mir im Kindergarten eingebläut, daß ich als Mädchen nicht wütend sein dürfe. Viel wurde mir in meiner Kindheit angetan, so viel Gewalt musste ich mitansehen, die durch Mitglieder der Kirche geschah und die ernsthaft als normal und gut bezeichnet wurde, so dass ich für lange Zeit die Fähigkeit verlor, Gefühle wie Wut und Zorn als solche zu erkennen und zuzulassen. Wie mühsam war der Weg, das zu lernen und wie schwer war es, sie nicht mehr gegen mich selbst zu richten. Heute kann ich es formulieren:
Ich bin wütend auf die, die mir das antaten, auf die Kirche, die das zuließ. Ich bin zornig auf die innerhalb der Kirche, die immer noch nicht begriffen haben, was es geläutet hat, und weiter ihre Taten verdrängen!
In diesem Zustand stieß ich auf den Artikel von Herrn Ebner, der das ausdrückt, was ich mich frage:
Die Kernfrage nämlich, ob die Institution Kirche eigentlich noch auf dem WEG MIT DIR ist?
Ich kann das nicht so wunderbar theologisch erklären, wie Herr Ebner und will mir das auch gar nicht erst anmaßen. Allein, es macht mich unendlich dankbar, was er da so deutlich aufzeigt.
Denn all die Dinge innerhalb der Kirche, die Menschen, wie zum Beispiel Frauen, Homosexuelle, Wiederverheiratete ausgrenzen und verletzen, können doch nicht in DEINEM Sinne sein?
Ich frage als Frau, die immer wieder zu Dir versucht in Beziehung zu treten: Wie kann es angehen, dass eine kleine Gruppe Männer hingehen kann und sich über andere erhebt und über diese urteilt? Was ist das für ein machthungriges Verhalten? Wann endlich wird begriffen, dass Du ein zutiefst therapeutisch wirkender Mensch warst? Dass es DIR nicht um Macht, sondern um HEILUNG ging?
DU hast Grenzen gesprengt, Vorurteile aufgezeigt, alle gleichbehandelt. DU schertest Dich nicht um den Stand der Menschen, denen DU begegnetest. Gleichzeitig zeigtest auch DU dich offen und als jemanden, der bereit ist, seine Meinung zu ändern, wie bei der Hochzeit von Kana: Da lehntest DU erst ab, für mehr Wein zu sorgen, aber als DIR Maria aufzeigte, daß es doch sinnvoll ist, anders zu handeln, hast DU das auch getan.
Ach Jesus, ich bin immer noch so zornig und traurig zugleich. Was haben Sie aus DEINER Lehre gemacht? So fragt M. Ebner: „Ist das ‚Christentum‘ mit dem Neuen Testament als Fundament der römisch-katholischen Gruppenformation wirklich vorgeordnet?“
Das holt in mir eine Erinnerung hoch:
Als ich das erste Mal wieder bewusst erinnern musste, was meinem Bruder durch einen Priester angetan wurde. Der Tag, an dem ich dadurch plötzlich regelrecht in den Kirchenraum schrie:
BEI EUCH SOLL ES NICHT SO SEIN! Der zeigt mir meine Antwort zu Ebners Frage auf: Ein klares NEIN!
Solange Gewaltüberlebenden immer noch nicht zugehört wird, ihre wahrlich mehr als berechtigte Wut nicht ausgehalten, Ihre Wünsche nicht beachtet und auf ihre Bedürfnisse nicht angemessen eingegangen wird, der Wunsch von ihnen mit Personen, die sie ansprechen möchten, nicht zugelassen und dazu geschwiegen wird.
Solange kann sich das nicht ändern.
Aber auch wir „Laien“ haben etwas zu tun: Der größte Feind von positiven Veränderungen sind das Verdrängen, dass jeder von uns Opfer werden kann, die Gleichgültigkeit und die Resignation gegenüber Unrecht. Wenn wir alle also gleichgestellt sind, müssen wir auch das GEMEINSAM anpacken. Dann ist es an jedem von uns, Verantwortung für den Glauben zu übernehmen, für die eigene Spiritualität und für das Anpacken von für alle besser machenden Veränderungen in der Kirche. Das ist nicht bequem. Das bedeutet, ich muss mich auch bewegen, muss mich aufmachen, bereit sein und anfangen, gegen Unrecht vorzugehen und womöglich eben auch eigene liebgewordene Gewohnheiten ablegen. Dabei bleibt es enorm wichtig, das wertschätzend zu tun und dranzubleiben. Ja, das kostet Kraft, aber diese einzusetzen lohnt sich. Schließlich geht es doch um DICH und darum, wie wir dann in wahrer Freiheit leben und DIR nachfolgen können.
Dann kann gelingen, was Ebner meiner Ansicht nach verdeutlichen will:
Dass es notwendig ist, alle Versuche von Dichotomien aufzugeben, weil sie im Widerspruch zu unserem christlichen Glauben stehen. Braucht also das Christentum Priester? Ich weiß es nicht, aber das weiß ich :
Es braucht Menschen, die sich GEMEINSAM nach DIR ausrichten, versuchen DIR entsprechend ihrer Gaben nachzufolgen, und sich gemeinsam dazu auf den Weg machen, ohne einander auszugrenzen!
In Liebe Martha Marens