Monika Heidkamp reagiert auf den Beitrag von Daniel Bogner: Den Glauben weitergeben heute.
Lieber Herr Bogner, vielen Dank für Ihre Gedanken zur Glaubensweitergabe, die mich zu eigenen Überlegungen aus einer jüngeren Generation inspiriert haben.
Dabei möchte ich zunächst bei meiner eigenen kirchlichen Sozialisation ansetzen. Ich bin in einem hessischen Dorf mit „diasporaähnlicher“ Struktur aufgewachsen, wobei mich ein mir gut bekannter norddeutscher Katholik jüngst hat wissen lassen, dass das keine echte Diaspora gewesen ist. Wie auch immer: Jedenfalls waren die Katholik*innen dort in der Minderheit und Angebote für Jugendliche wenig vorhanden. In meinem FSJ dann habe ich in einem Kurort in einer Pfarrei gearbeitet, in der die Katholik*innen beinahe alle Bürger*innen des Ortes ausmachten und bin in viele Traditionen eingetaucht. Ich fand das sehr spannend. Die klassischen Sprachspiele (die ich hier definieren würde als Auskunft über die positiven Glaubensaussagen und die Weise des Denkens innerhalb dieses Glaubens) habe ich also kennen gelernt. Sie sind aber trotzdem eher weniger zu meiner eigenen Sprache geworden. Es war sicher ein Grund für mich, Theologie zu studieren, weil ich gerne alles verstehen wollte. Nur das Kennen der Sprachspiele ist noch kein Spiegel der eigenen Interpretationskompetenz (Christoph Theobald). Und ich frage mich, ob das Abreißen der Tradierung dieser Sprachspiele wirklich nur negativ ist. Wenn Sprachspiele nicht selbstverständlich sind, muss man sie sich aneignen. Erhöht das nicht auch die Auseinandersetzung und macht Menschen sprach- und auskunftsfähiger?
Ich habe die Sprachspiele kennengelernt, aber sie sind eher weniger zu meiner eigenen Sprache geworden.
(Fast) jede und jeder, die oder der „gut katholisch“ sozialisiert ist, muss sich auch einem inneren Prozess der Entklerikalisierung stellen. Die Strukturen und Hierarchien sind mit vielem verwoben, was einem in Fleisch und Blut übergegangen ist, und so haben viele „die Kirche“ kennen und lieben gelernt. Um zu entdecken, dass man doch ein kleines bisschen klerikal tickt, müsste man manche Verhaltens- und Denkweisen erst wieder explizieren. Ich glaube, dass es auch sehr gewinnbringend sein kann, wenn nicht alles selbstverständlich ist, sondern bewusst angeeignet werden kann (und muss).[1] Und auch im Hinblick auf Machtmissbrauch, Vertuschungsmilieus usw. kann man einen abnehmenden Einfluss der Pastoralmacht nur begrüßen.
sich einem inneren Prozess der Entklerikalisierung stellen
Wenn etablierte Formen auseinanderfallen, ist das verunsichernd, wenn man in diesen Formen zuhause war. Heimatliche Orte zu verlieren, ist immer sehr schmerzhaft. Ich kann vielleicht entspannter auf manches schauen, weil ich eben nicht ganz so klassisch beheimatet bin. Aber auch ich bedauere Entwicklungen: Die Gesamterosion und letztlich auch finanzielle Spielräume werden Orte verschwinden lassen, die Möglichkeiten zur Begegnung (auf welche Weise auch immer) geben und gegeben haben; und auch Seelsorgende wird es weniger geben und damit auch weniger der Menschen, deren erster und eigentlicher Job es ist, einfach so da zu sein und ein offenes Ohr zu haben – das halte ich für unfassbar wertvoll in einer kapitalistischen Gesellschaft.
es schadet dem Glauben künftiger Generationen nicht zwangsläufig, wenn Sprachspiele und Ausdrucksformen weniger selbstverständlich tradiert werden
Dennoch glaube ich, dass es dem Glauben künftiger Generationen nicht zwangsläufig schadet, wenn Sprachspiele und Ausdrucksformen weniger selbstverständlich tradiert werden. Vielleicht ist alles etwas fragmentierter und die „große Einführung in den katholischen Glauben“ eher die Ausnahme. Dass Menschen suchen, das hört aber nicht auf. Weil ich meine Freizeit früher vor allem in Sporthallen verbracht habe, habe ich immer viel Kontakt zu „Nicht-Katholik*innen“ oder „Nicht-Praktizierenden“ gehabt. Ich konnte nicht feststellen, dass diese Menschen nicht genauso suchen und fühlen wie ich – vielleicht mit etwas weniger Sehnsucht und weniger Bereitschaft, Energie darin zu investieren. Ich erinnere mich z. B. an ein Parkbankgespräch mit einer Freundin, die in der DDR geboren wurde (also das klassisch pastoraltheologische Beispiel für nicht-religiös-Sozialisierte), in dem wir ausgetauscht haben, was wir glauben und wo wir das Aufbrechen von etwas empfinden, das unseren eigenen Horizont übersteigt. Ich empfände es als Anmaßung, ihr zu unterstellen, sie hätte dafür keinen Sinn, nur weil sie sagt, dass sie mit dem Glauben der katholischen Kirche nichts anfangen kann.
Ich würde daher sagen: Nicht das Suchen erodiert, sondern die Bereitschaft, Erfahrenes im christlichen Kontext zu deuten. Und das ist ein Unterschied …
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[1] Jean-Marie Donegani würde hier davon sprechen, dass es eine Verschiebung von der Logik der Zugehörigkeit zur Logik der Identität gibt. Vgl. Donegani, Jean-Marie: Säkularisierung und Pastoral, in: Feiter, Reinhard/Müller, Hadwig (Hg.): Frei geben. Pastoraltheologische Impulse aus Frankreich (Bildung und Pastoral; 1), Ostfildern 22013, 56-80.