Ein reines Weihepriestertum gewährleistet keinen wirksameren Schutz vor missbrauchsanfälligen Konstellationen. Die fatale Sakralisierung des Priesters werde dadurch nur noch weiter auf die Spitze getrieben. Ein Leserinnenbrief von Judith Müller.
Verehrte Redaktion,
zum Beitrag Strukturelle Facetten des Klerikalismus von Bernd Kopp drängt es mich zu einem Leserinbrief:
Es erschließt sich nicht recht, wie ein solchermaßen vom Dienst „an der Organisation und Sozialität des Volkes Gottes“ freigestelltes reines Weihepriestertum einen wirksameren Schutz vor missbrauchsanfälligen Konstellationen und Situationen gewährleisten soll.
Im Gegenteil: Die fatale Sakralisierung des Priesters wird dadurch noch weiter auf die Spitze getrieben.
Hilfreicher wäre es, die Faktoren, die zur sakralen Überhöhung des Priesters geführt haben …, einer ehrlichen Revision zu unterziehen.
Hilfreicher wäre es, die Faktoren, die im Lauf der Geschichte zur sakralen Überhöhung des Priesters in der katholischen Kirche geführt haben und die aus dem sakramentalen ein sakralisiertes Amtsverständnis werden ließen, einer ehrlichen Revision zu unterziehen.
Die Formulierung, der Priester müsse „sein Gott geweihtes Leben in eine Alltagsnormalität herunterleben“ belegt in mehrfacher Hinsicht die Verirrungen im Verständnis des Priesteramtes und der Priesterweihe, die für das klerikale Selbstbewusstsein ursächlich sind. Als wäre die Priesterweihe eine Prozedur zur Herstellung von dem normalen Leben enthobenen Personen.
Wer ein Gott geweihtes Leben führen möchte, dem stehen die verschiedensten Formen des Ordenslebens offen. Das Sakrament des Ordo ist dafür nicht gedacht. Es zielt nicht auf die persönliche geistliche Optimierung von Individuen, sondern hätte gerade der Sozialität des Volkes Gottes zu dienen.
Judith Müller
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Dr. Judith Müller ist Theologin, Seelsorgerin, Organisations- und Gemeindeberaterin in München.
Von der Autorin bislang auf feinschwarz.net erschienen:
Nach dem Vorbild und der Weisung Christi: Frauen zur Verkündigung ordinieren!