33 jüdische und christliche WissenschaftlerInnen haben sich „Von Abba bis Zorn Gottes“ Gedanken zu klassischen Kontroversthemen ihrer Religionen gemacht. Rainer Bucher zu einem neuen, ausgesprochen empfehlenswerten Buch.
Von den vielen Optionswechseln des II. Vatikanischen Konzils ist jener im Verhältnis zum Judentum sachlich vielleicht der radikalste. Außerhalb kirchlicher und theologischer Insider ist er freilich kaum wirklich in seinen Gründen und Konsequenzen bekannt. Man weiß vielleicht noch von jener Karfreitagsbitte, in der vorkonziliar um die Bekehrung der „treulosen Juden“ (eine Formel, die Johannes XXIII schon vor dem Konzil einfach weg ließ) gebetet wurde, und dass man nachvatikanisch so ganz anders bittet, der Herr möge die Juden „in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen“ bewahren, „damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will.“
Der radikale Neuansatz des II. Vatikanischen Konzils im Verhältnis zu „unseren älteren Brüdern im Glauben“.
In den schlimmsten Phasen christlichen Antijudaismus sah man in den Juden nicht nur das historische Mördervolk Jesu, sondern machte gleich noch dessen zeitgenössische Vertreter für den Tod Jesu verantwortlich. Man erkennt die Radikalität des Neuansatzes, wenn Johannes Paul II die Juden „unsere älteren Brüder im Glauben“ nennt. Jahrhunderte schlimmsten christlichen Antijudaismus wurden so prinzipiell überwunden. Dies zeigt nicht nur, dass es wirklich Neues in der christlichen Traditionsbildung gibt, sondern auch, wie hartnäckig sich Falsches und Fatales in Kirche und Theologie einschleichen und dort schlimmen Folgen zeitigen kann.
Dieses Falsche und Fatale wurde seit dem II. Vatikanum in der christlichen Theologie in stetem und intensivem Gespräch mit dem Judentum aufgearbeitet und überwunden. Die Herausgeber des hier anzuzeigenden Buches stellen freilich völlig zu Recht fest, dass „nur wenig von den Erträgen“ dieser christlich-jüdischen Dialoge „bislang an der christlichen Basis, in den Gemeinden angekommen“ (11) sei.
Ein offener Prozess sich respektierender und aneinander interessierter geschwisterlicher Religionen.
So kam es zu diesem höchst verdienstlichen Projekt. Auf Veranlassung des „Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ entstand ein kleines, aber feines Buch, das es tatsächlich schafft, zentrale und wichtige Themen der christlichen wie der jüdischen Theologie in ihrer wechselseitigen Nähe und Differenz für breitere LeserInnenkreise verständlich, informativ und erhellend, bisweilen gar berührend darzulegen.
Formal als Lexikon angelegt, wird jedes der 57 Stichworte (etwa: „Bund“; „Erwählung/Berufung“ „Gott“, „Jesus von Nazaret“, „Sabbat“, „Volk Gottes“, „Zorn Gottes“) gleichermaßen unter den Rubriken Problemdarstellung, Diskussion, Perspektiven und weiterführende Literaturangaben abgehandelt. Das gliedert die einzelnen, angenehm übersichtlich geschriebenen Kapitel, hält Differenzen offen und Gemeinsamkeiten fest. Erarbeitet wurden die einzelnen Stichwörter von gemischten christlich-jüdischen Teams: „Kein Stichwort hat nur einen Autor, überall haben fünf oder mehr Personen mitgewirkt“ (13).
Man ahnt die Kontraste, vielleicht auch Konflikte, die diesen Texten vorgelagert und eingeschrieben sind. Doch es bedeutet auch: Es wird kein abschließender, gar autoritativer Konsens behauptet, sondern ein offener Prozess sich respektierender und aneinander interessierter geschwisterlicher Religionen dokumentiert, die um ihre unausweichliche Nähe und ihre unvergessbare gemeinsame Geschichte wissen. Was die Herausgeber erhoffen, „das Vergnügen des Lernens und der Horizonterweiterung“ – dem Rezensenten haben sie es geboten.
Die Liste der (insgesamt 33) Mitwirkenden – von Micha Brumlik bis Walter Homolka, von Josef Wohlmuth bis Hans Hermann Henrix, von Regina Polak bis Susanne Talabardon – garantiert eindrucksvolle Fachkompetenz. Den Herausgebern Paul Petzel und Norbert Reck aber sei ganz besonders gedankt, dass es ihnen gelang, FachwissenschaftlerInnen zu Verständlichkeit und Elementarisierung zu bringen.
Gemeinsam die Welt erklären und gestalten und sich in ihr?
Eine Frage bleibt freilich gerade nach dem Blick in dieses eindrucksvolle Buch: Wie würde eine gemeinsame Reflexion jüdischer und christlicher TheologInnen ausschauen, die nicht mehr im Konzept ebenso unterschiedener wie verwandter religiöser Doktrinen, die endlich friedlich miteinander umgehen, her denken würde, sondern von einem gemeinsamen dritten Standpunkt aus? Wenn es nicht mehr darum ginge, sich (endlich) wechselseitig zu verstehen, sondern gemeinsam die Welt zu erklären, zu gestalten und sich in ihr?
Bücher wie das vorliegende sind unentbehrliche Voraussetzung für die nun anstehenden Schritte. „Unentbehrlich für Schule und Gemeinde, für Bibelleser und Bibelkreis“. Solche Werbesätze stehen häufig auf religiösen Büchern. Hier trifft es wirklich zu.
Von Abba bis Zorn Gottes. Irrtümer aufklären – das Judentum verstehen. Herausgegeben von Paul Petzel und Norbert Reck im Auftrag des Gesprächskreises Juden und Christen beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Patmos Verlag, Ostfildern 2017
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Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz und Mitglied der feinschwarz-Redaktion.