Florence Häneke hat mit einigen LGBTIQ*-Pfarrer*innen der Evangelischen Kirche in Deutschland gesprochen. Dabei zeigt sich, dass diese Menschen ihre Geschlechterrollen, Begehren und Bedürfnisse biograpisch intensiv reflektieren mussten. Doch diese Reflexionen machen sie zu Vorbildern gelebter Selbstannahme.
Immer wieder werde ich, wenn ich von LGBTIQ* Personen im Pfarramt erzähle, erstaunt gefragt, „geht das denn, also als Pfarrerin lesbisch zu leben?” Und ich bin froh, antworten zu können „In der evangelischen Kirche, im Großen und Ganzen – meist ja.”
Warum ist es so interessant, wen die Pfarrerin liebt und mit wem sie lebt?
Der historische Weg für LGBTIQ* Personen Pfarrer*innen zu werden, war nicht einfach; es war für viele ein langer Kampf, für manche ist er es bis zum heutigen Tag. Für mein Promotionsprojekt habe ich die Lebensgeschichten einiger hören dürfen. Warum ist es so interessant, wen die Pfarrerin liebt und mit wem sie lebt? Ein Grund ist, dass an dieser Stelle auch verhandelt wird, welches Leben gegenwärtig von Pfarrer*innen erwartet wird, sowie was überhaupt die Position einer*s Pfarrer*in in der evangelischen Kirche und auch in der gesamten Gesellschaft heutzutage ist.
Beim Thema LGBTIQ* sind die Landeskirchen unterschiedlich
Beim Thema LGBTIQ* wird erneut deutlich, wie unterschiedlich die evangelischen Landeskirchen in manchen Bereichen sind. In einigen Landeskirchen sind Trauungen inzwischen gleichgestellt. Alle Paare, egal welchen Geschlechts die Partner*innen sind, werden ins Kirchenbuch eingetragen und der Feier wird dieselbe Trauliturgie zu Grunde gelegt. In anderen Landeskirchen sind zwar Segnungen möglich, die aber mit einer anderen Liturgie gestaltet werden und somit den Abstand zur heterosexuellen Traufeier, erkennbar machen sollen. Eine „besondere” Segnungsliturgie: Sie kann, gefeiert werden und das Paar bestärken und beglücken, sie kann aber auch als unpassend wahrgenommen werden und das Paar mit dem Gefühl hinterlassen, immer noch nicht ganz zu passen.
Auch lesbische, bisexuelle, schwule, inter- und transgeschlechtliche Pfarrer*innen bekommen immer wieder zu hören und zu spüren, dass sie eben besonders sind. In Momenten, in denen sie sich gar nicht besonders fühlen, weil sie gerade einfach nur mit ihrem Mann in Urlaub waren und davon erzählen möchten, schmerzt dies. Alleine die Tatsache, dass der Reisepartner nicht die Frau, sondern der Mann des Pfarrers war, macht den Pfarrer so besonders, dass die Erzählung der schönen Natur und der atemberaubenden Aussicht nicht mehr wahrgenommen wird.
Das Besondere als Stärke wahrnehmen
In den Momenten, wo das Besondere jedoch als Stärke und im positiven Sinne als herausstechend wahrgenommen wird, kann es, ebenso wie die Liturgie, auch bestärken und verbindend wirken. LGBTIQ* Pfarrer*innen kennen auch, dass Menschen gerade deswegen zu ihnen kommen, weil sie als besonders wahrgenommen werden. Die Frau, deren Mann aufgrund einer Behinderung sonntags in der Kirche immer auffällt, und die immer nach ihrem Mann und ihrer Beziehung gefragt wird, sieht in der lesbischen Pfarrerin eine Ansprechpartnerin, von der sie hofft verstanden zu werden: „Denn Sie wissen ja, wie das ist, wenn es ein bisschen anders ist.” Die Ungleichheit wird zur Qualität und zur Gleichwertigkeit.
Im Seelsorgekontext outen sich manche Pfarrer*innen, um eine Vertrauensbasis herzustellen.
Manche Pfarrer*innen outen sich gezielt in seelsorgerlichen Gesprächen um Vertrauen und Sicherheit zu gewinnen, wenn sie merken, dass genau dieser Bereich der Privatbeziehungen schambelastet ist. Der schwule Bruder des Gemeindevorstands muss dann kein Geheimnis mehr sein, weil er sich der Reaktionen seiner Umgebung nicht sicher sein kann. Die Sterbende kann sich sicher sein, dass die Frau an ihrer Seite angemessen und sensibel in der Trauerfeier berücksichtigt wird, auch wenn alle sie nur als eine gute Freundin kannten und sie selbst sie nie Partnerin nannte. Die Eltern, die ihr trans Kind unterstützen und auch schützen wollen, vertrauen sich mit den Sorgen um die anstehende Konfirmand*innenfreizeit an. Es gibt also durchaus beide Seiten, dass die Herausstellung schmerzhaft – oder bestenfalls nur lästig – ist und sich Pfarrer*innen wünschen, einfach nur ein ganz normaler Teil der Gemeinde zu sein, sowie, dass die Wahrnehmung der Pfarrperson als LGBTIQ* erst Recht dazu führt, das gemeinsame Erfahrungen vermutet und Empathie und Gespräche erleichtert werden – und sie somit zugleich auf eigene Weise ein selbstverständlicher Teil der Gemeinde sind.
Unterschiedliche Erfahrungen im Alltag
Im Pfarralltag machen LGBTIQ* Pfarrer*innen extrem unterschiedliche Erfahrungen, abhängig u.a. von ihrem Ort, ihrem Alter, ihrer Pfarrstelle und ihrer persönlichen Lage. So erzählten mir manche von deutlichen Ablehnungserfahrungen, insbesondere in den 80er und 90er Jahren. Ihnen wurde ohne weitere Gespräche misstraut und sie wurden abberufen, nachdem die Gemeinde erfahren hat, dass sie schwul sind. Plötzlich empfand die Gemeinde ihren Pfarrer als fremd, obwohl er schon jahrelang in der Gemeinde gearbeitet hatte und selbst das Gefühl hatte, anerkannt zu sein. Andere erzählen, wie sie in Gemeinden willkommen geheißen wurden, sich „endlich angekommen” fühlen, Akzeptanz erfahren und vermitteln können.
Für gegenwärtig im Amt befindliche Pfarrpersonen ist neben der veränderten Rechtslage die Stellung der Synode und der Landeskirche wohl einer der wichtigsten Faktoren, direkt gefolgt von der Haltung der einzelnen Gemeinden oder Arbeitgeber*innen. Viele leben sehr zufrieden mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner im Pfarrhaus. Manche wählen bewusst ein Sonderpfarramt, wie die Klinikseelsorge, um ihren Privatbereich schützen zu können, andere sind notgedrungen dort, weil sie keine Gemeinde finden, die sie – so wie sie sind und gegebenenfalls eben auch mit Partner*innen – aufnehmen. Diese Bandbreite ist auch 2019 noch überall vorfindlich. Zum Teil lassen die Erzählungen auch einen Backlash vermuten. Einige Landeskirchen und Gemeinden haben ein großes Maß an Gleichstellung erreicht, wie Hessen-Nassau, Baden, Rheinland und Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Andere haben tiefe Gräben in ihrer Kirche über Fragen der Segnung und Zulassung gleichgeschlechtlicher Paare, wie die Landeskirchen in Sachsen und Württemberg. Pfarrer*innen, die zu einer Zeit ins Amt kamen, als in Deutschland (1994 wurde §175 gänzlich gestrichen) männliche Homosexualität noch strafbar war, wurden selbstverständlich nicht nur kirchlich, sondern auch gesamtgesellschaftlich völlig anders geprägt, als die Vikar*innen, die jetzt ins Amt kommen.
Vorbilder in gelebter Selbstannahme
Bei allen wird deutlich, dass ihre offene Präsenz im Pfarramt an vielen Stellen hilft und dass den meisten dies auch ein großes Anliegen ist. Viele schwule, lesbische, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Pfarrer*innen haben in ihrem Leben bereits ihre Geschlechterrollen, Begehren und Bedürfnisse gründlich reflektieren müssen; oft können sie nun Vorbilder in verantwortlich gelebter Selbstannahme sein. Da sie zugleich Theolog*innen sind, kennen sie ebenso die Überschneidungen und auch produzierten Verwirrungen von Glaube, Geschlecht und Sexualität. Gerade Menschen, die noch auf der Suche sind, wollen sie ein Vorbild sein und ihnen vermitteln, dass nichts an ihnen – oder ihren Verwandten und Freund*innen – falsch ist, sondern sie geliebte und gute Wesen Gottes sind. Damit leisten sie theologische Grundlagenbildung ebenso wie praktische Seelsorge.
LGBTIQ* Jugendliche, insbesondere trans Jugendliche, so wurde gerade erst wieder gezeigt[1], haben häufig immer noch Angst sich zu outen und die Suizidrate ist weiterhin deutlich höher als bei heterosexuellen und cisgeschlechtlichen Jugendlichen. Wenn Jugendliche sehen, dass der schwule Pfarrer mit sich selbst im Reinen ist und die transgeschlechtliche Partnerin der Pfarrerin eine akzeptierte und gerngesehene Person in der Kirche, dann ist dieses Signal nicht zu vernachlässigen. Ein solches Signal kann selbstverständlich auch von anderen Personen in der Gemeinde und auch von heterosexuellen Pfarrer*innen ausgehen, allein das Wissen um die Existenz von LGBTIQ* Pfarrer*innen gibt ihm aber oft noch einmal ein anderes Gewicht.
In mancher Hinsicht zwar durchaus diskutabel werden kirchliche Amtsträger*innen eben weiterhin als Aushängeschilder der Kirche gesehen – und zu einem gewissen Grad sind sie dies auch. Wenn auf dem Aushängeschild nun steht „Ich bin Pfarrer, trans – ziemlich glücklich und von Gott geliebt” so ist das ein deutliches und wertvolles Zeichen!
Florence Häneke ist Evangelische Theologin. und promoviert an der Universität Basel zu „Selbstwahrnehmungen, Identitätsentwürfen und Amtsverständnissen LSBTIQ* lebender Pfarrer*innen“ mit einer qualitativ-empirischen Studie.
Bild: Steve Johnson on Unsplash
[1] http://www.bpb.de/gesellschaft/gender/geschlechtliche-vielfalt-trans/269316/zur-situation-von-trans-kindern-und-jugendlichen