Anknüpfend an Äusserungen von Weihbischof Ludger Schepers als Queer-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz weist Martin Stewen darauf hin, dass die LGBTQI*-Community kein «Gegenüber» zur Kirche ist – denn viele ihrer Mitglieder sind zugleich Teil der Kirche.
«Ehe für alle» und ähnliche Entwicklungen an vielen Stellen überall in der Welt machen deutlich: Es tut sich gerade sehr viel im Leben der LGBTQI*-Community. Der Regenbogen hat die (meisten) Gesellschaften in seine Mitte genommen. Nicht nur, weil das gut und richtig ist, sondern auch weil sich mit Regenbogen-Politik Wählerstimmen machen lassen. Selbst die Kirchen haben erkannt, dass der Regenbogen mehr bedeutet als das Zeichen des Bundes Gottes mit den Menschen.
Deutliche Worte des Queer-Beauftragten der DBK
Meine Herkunftsdiözese Essen im deutschen Ruhrgebiet hat sich zu früheren Zeiten nicht unbedingt einen Namen als Hort queerer Anliegen gemacht. Eher fürs Gegenteil wurde sie und ihr Oberhirte noch im April 2010 weit über die diözesanen Grenzen hinaus unrühmlich bekannt. Seitdem ist aber sehr viel Wasser die Ruhr hinuntergegangen und die Zeiten haben sich gründlich geändert. So tritt heute der Essener Weihbischof Ludger Schepers als Queer-Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz in der Öffentlichkeit in Erscheinung. Das immer wieder auch mit deutlichen Worten.
«Es kann nicht nur um Sexualität in der Ehe gehen»
«Es kann nicht nur um Sexualität in der Ehe gehen, es muss um Sexualität in der Beziehung gehen. Als Kirche müssen wir die Verantwortung jedes Einzelnen wahrnehmen und anerkennen», sagt er etwa im Interview mit dem Münchner Don-Bosco-Magazin anfangs August. Schepers wird konkret: «Wir müssen mit queeren Menschen ins Gespräch kommen und gemeinsam mit ihnen Wege finden und entdecken, worauf es ankommt, wie sie Glauben leben, was sie sich wünschen und brauchen.» Wer so spricht, lehnt sich sehr weit aus dem Fenster, riskiert sich. Und wird so zu einem glaubwürdigen Gesprächspartner, mit dem man sich gern näher kritisch auseinandersetzen will. Schepers Worte lesen sich wie ein Aha-Erlebnis der deutschen katholischen Kirche im Umgang mit der LGBTQI*-Community. Worte eines Kirchenverantwortlichen, die es in ihrer Deutlichkeit so selten gegeben hat. Schon gar nicht von der Ruhr.
Mitglieder der LGBTQI*-Community und Teil der Kirche
Und doch – irgendetwas löst beim Lesen einen inneren Widerstand aus. Es ist diese Dualismus-Falle, in die viel zu viele hineintappen, die sich – teils mit unglaublicher Energie – für die LGBTQI*-Community und deren Beziehung zur Kirche engagieren, aber dabei übersehen: Diese Beziehung gibt es und gab es immer schon. Denn: Die LGBTQI*-Community ist nicht ein Gegenüber der Kirche – sie ist ein (beträchtlicher) Teil von ihr. Und das war immer schon so. Sie sind Kirchgängerinnen und Kirchgänger, Ministranten und Ministrantinnen, Pfarrgemeinderätinnen und -räte, Frauen und Männer in den unzähligen Verbänden, Ordensmänner und -frauen, Diakone, Priester und Bischöfe.
«Menschen der LGBTQI*-Community stehen nicht gegenüber der Kirche, sie sind in ihr.»
Die Liste ist nicht vollständig – Menschen der LGBTQI*-Community stehen nicht gegenüber der Kirche auf der anderen Seite und müssen deswegen von dort her eingeladen werden. Nein: Sie sind in ihr. Überall. Auf allen Ebenen, in allen Aufgaben und Ämtern, an allen Ecken und Enden. Das vermeintliche Gegensatzpaar «wir, die Kirche» und «die Menschen der LGBTQI*-Community» ist ein Denkfehler, der wie ein Schatten über der Diskussion von LGBTQI*-Themen in der Kirche liegt. Spätestens die Initiative «Out in Church» hat das überdeutlich vor Augen geführt.
Daher brauchen auch zunächst einmal nicht «die» ein Gespräch mit «denen» zu führen, damit sich «die einen» erkundigen, was sich «die anderen» wünschen. Das kann dann schon mal irgendwann sein – später. Aber zuallererst müssen einfach nur all jene, die miteinander diese eine «allumfassende» Kirche formen, einfühlsam und voller Wertschätzung wahrnehmen, wer und wie mein Nächster und meine Nächste an meiner Seite ist. Und nicht: definieren, wen ich als meinen Nächsten und meine Nächste an meiner Seite gerne hätte, wie er oder sie sein und lieben soll usw. Dazu gehört dann auch, in diesen Prozessen die eigenen Ängste und Unsicherheiten in mir wahrzunehmen, mir zuzugestehen und schliesslich zuzulassen. Und nicht: wem anders als Diffamierung oder Stigmatisierung anzuhängen. Für manche:n sicher eine Herkulesaufgabe. – Ist dieser eine grosse Schritt aber getan, sind die nächsten geprägt von Leichtigkeit.
Manche handeln spontan richtig – andere stellen sich komplizierter an
Da wären etwa die Halterner Firmlinge, die im Zuge ihrer Firmvorbereitung – also bewegt vom Heiligen Geist – zusammen mit der Caritas einen lokalen Christopher-Street-Day auf die Beine gestellt und so queere Anliegen zu einer Pfarrei-Angelegenheit gemacht haben.
Manche aber stellen sich komplizierter an: Mir fällt der Kollege vom Rhein ein, der wertschätzend und einfühlsam auch LGBTQI*-Paaren Gottes Wohlwollen zusprach – nichts anderes meint bene-dicere: segnen – und der daraufhin von seinem Kirchenoberen dafür abgemahnt wurde. Der eine hat getan, was im Sinne gelungener LGBTQI*-Pastoral recht und billig ist, und der andere hat es offensichtlich nicht verstanden.
«Wie lässt sich das katholische Prinzip der Einheit in Vielfalt angesichts innerkirchlicher Differenzerfahrungen weiterentwickeln?»
Noch ein Beispiel: Wenn beim Weltjugendtag in Lissabon Mitfeiernde beleidigt wurden, die statt der Fahnen von Marienvereinigungen und anderer Gruppierungen die Regenbogenfahnen katholischer LGBTQI*-Gruppierungen geschwenkt haben, dann zeigt sich auch hier deutlich, welch noch viel grösserer Bedarf an Wahrnehmung der LGBTQI*-Community aus weltkirchlicher Sicht besteht. Stefan Ottersbach, Präses des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und Essener Diözesanpriester, erkennt in den skandalösen Vorfällen von Lissabon auch eine theologische Problematik: «Diese Erfahrungen [verweisen] auf sehr gewichtige theologische Fragestellungen, die uns sicher bei der Weltsynode wieder begegnen werden.» – Etwa: «Wie lässt sich das katholische Prinzip der Einheit in Vielfalt angesichts solcher innerkirchlicher Differenzerfahrungen adäquat weiterentwickeln?»
Es geht um Katholizität und Glaubwürdigkeit der Kirche
Ottersbach bringt auf den Punkt, worum es beim Tun des LGBTQI*-Beauftragten der DBK, Ludger Schepers, letztendlich geht: um nichts weniger als um das Bewahren der Katholizität der Kirche und damit um ihre Glaubwürdigkeit in den Gesellschaften, in denen diese religiöse Gemeinschaft heute (noch) existiert.
Kein ganz einfaches Geschäft. Aber Weihbischof Schepers kann sich auf eine breite Allianz verlassen, die ihn unterstützt: auf all die lesbischen, schwulen, bisexuellen, transgender und intersexuellen Menschen, die er überall in der Kirche sehen kann, wenn er hinschaut, denen ihre Kirche am Herzen liegt und die gerne zusammen mit ihm lustvoll für diese Kirche streiten. Und viele andere sind da auch noch.
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Dr. theol. Martin Stewen (*1970 in Essen), 1997-2000 Pastoralassistent, seit 2001 Priester der Diözese Chur, 2015-2020 Auslandspriester im Apostolischen Vikariat Südarabien (Abu Dhabi (VAE), derzeit priesterlicher Mitarbeiter in der Pfarrei St. Peter und Paul in Zürich und Mitglied des Synodalrates der Katholischen Kirche im Kanton Zürich; ausserdem tätig als ausgebildeter Supervisor.
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