Die Schweizer Bevölkerung stimmt am 4. März 2018 über die Abschaffung der Rundfunkgebühr ab. Damit steht nicht nur das Informationsangebot in Radio und Fernsehen auf dem Spiel, sondern auch die Grundlage der demokratischen Willensbildung. Wie die Debatte um Arroganz, Medienmacht und Liberalisierung in der Schweiz angekommen ist und den öffentlichen Rundfunk bedroht, zeigt Charles Martig in seiner Diagnose.
Wie in vielen Ländern Europas ist auch die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG einem nie dagewesenen Legitimationsdruck ausgesetzt. Ähnlich ergeht es der BBC und der ARD, um die ebenfalls heisse Debatten geführt werden. Anhand des zugespitzten Diskurses in der direkten Demokratie der schweizerischen Eidgenossenschaft lässt sich ablesen, was in anderen Ländern noch ansteht: Die mögliche Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, wie wir ihn bisher kannten.
Es sind libertäre Kräfte am Werk, die sich radikal aus dem Selbstverständnis verabschieden, dass es so etwas wie Gemeinsinn und Solidarität in der Gesellschaft braucht. Die Initianten der «No-Billag-Initiative» (so bezeichnet wegen der Inkassofirma «Billag», die die Gebühren eintreibt), will auf Verfassungsstufe den medialen Versorgungsauftrag der SRG streichen und ein Verbot der Empfangsgebühr durchsetzen. Zudem sollen in Zukunft in der Schweiz Konzessionen für Radio und Fernsehen versteigert werden. Faktisch führt dies zu einer Zerschlagung der SRG. Beim Ausfall von 70 Prozent der Einnahmen wäre die Rundfunkanstalt schlicht nicht mehr überlebensfähig. «Es gibt keinen Plan B!» Dieses geflügelte Wort aus der Direktion der SRG hat für rote Köpfe und heftige Debatten in den Schweizer Medien gesorgt.
Schweizer Kirchen sind politisch engagiert
An dieser Debatte ist bemerkenswert, dass sich die Schweizer Kirchen dezidiert zu Wort melden. Überraschenderweise hat sich die Schweizer Bischofskonferenz (SBK) nicht einfach auf das Thema Religion beschränkt. Sie erachtet es als «wichtig, dass weiterhin ein öffentlicher Diskurs möglich bleibt, in welchem verschiedene Meinungen – auch von Minderheiten – ihren Platz haben», hiess es in der Mitteilung vom 7. Dezember 2017. Sie befürchten, dass die öffentliche Meinungsbildung noch stärker von ausländischen oder finanzstarken Medienhäusern abhängig wird. Dies könne vor allem in der französischen und italienischen Schweiz zu einer Schwächung der schweizerischen Identität führen. Die SBK sieht daher den nationalen Zusammenhalt in Gefahr, bestehende gesellschaftliche Risse könnten sich vergrössern, wie Sylvia Stam auf kath.ch berichtet.
Auch Luc Humbel, Präsident der römisch-katholischen Zentralkonferenz, argumentiert damit, dass bei einer Annahme der Initiative der für die Schweiz wichtige Solidaritätsgedanke weiter aufgeweicht werden könnte, wie er gegenüber dem Portal kath.ch sagte. Er denkt dabei an den – gerade für die mehrsprachige Schweiz so wichtigen – Umgang des Staates mit Randregionen, mit verschiedenen Sprachen oder mit Minderheiten. Gerade deshalb sei es «zwingend, dass sich auch die Kirchen in diese politische Debatte einmischen und damit ein commitment für den Zusammenhalt der Gesellschaft abgeben.» Auch der Schweizerische Evangelische Kirchenbund hat sich am 10. Januar 2018 mit derselben Argumentation in der Öffentlichkeit positioniert.
Zusammenhalt und Gemeinsinn als höchste Werte
Diese staatspolitische Argumentation ist umso stärker, weil sich hier die wichtigsten Akteure der Schweizer Kirchen auf eine gemeinsame Position geeinigt haben. Offenbar ist mit dem Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine «Wertedebatte» ganz anderer Art an die Oberfläche gelangt. Es geht im Kern um Identität und Zusammenhalt in der Schweiz. Diese Debatte hebt sich ab vom nationalistischen Diskurs und betont die Wertegemeinschaft im weltoffenen Sinne. Es geht um den Schutz von Minderheiten und die Solidarität zwischen den Sprachregionen. Damit wird unterstrichen, dass der Angriff der libertären Kräfte auf den Gemeinsinn nicht einfach hingenommen wird.
Bildung, Kultur, Kirchen … und die Stadtpolizei Zürich
«Der Markt kann nicht alles», ist eine Mitteilung von öffentlichen Institutionen im Kanton Zürich übertitelt. Bildung, Kultur, Sicherheit und Gesundheit, aber auch Wertevermittlung und demokratische Meinungsbildung könne der Markt nicht garantieren. Dazu brauche es öffentlich-rechtliche Institutionen, auch im Medienbereich. Deshalb werde die «No-Billag-Initiative» abgelehnt.
Interessant an dieser Argumentation ist, dass es sich um eine Güterabwägung zwischen Markt und öffentlich-rechtlichen Bereichen der Gesellschaft handelt. Persönlichkeiten aus Bildung, Kultur und Kirche haben den Aufruf unterschrieben. Auffallend ist hier die Mitunterzeichnung durch den Kommandanten der Zürcher Stadtpolizei, Daniel Blumer, oder durch Babara Fäh, Rektorin der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich. Offensichtlich geht das Unbehagen über die von den Initianten angestrebte vollständige Liberalisierung des Medienmarkts viel weiter als vermutet. Auch Verantwortliche in Gesundheit, Sicherheit und Kultur sehen sich gezwungen, in die öffentliche Debatte einzugreifen.
„Wir wollten eine Aktion gemeinsam mit anderen öffentlichen Institutionen lancieren, unter denen auch die Kirchen fungieren“, so Simon Spengler von der Katholischen Kirche im Kanton Zürich. Auf diese Weise könne sich die Kirche auf eine neue Art in die Debatte einbringen. In der Zwischenzeit haben sich auch zahlreiche Kantonalkirchen der Ablehnung der Initiative angeschlossen, wie öffentliche Stellungnahmen von kirchlichen Exekutiven aus Bern, Luzern und St. Gallen zeigen. Diese kirchlichen Akteure zeigen sich somit als politische Kraft in einem gesellschaftlichen Gefüge, das angesichts der digitalen Marktliberalisierung zunehmend auseinanderdriftet.
Gesellschaftliche Entwicklung ernst nehmen
Bereits vor der Abstimmung ist klar, dass die SRG nach dem 4. März 2018 nicht mehr dieselbe sein wird wie vorher. Sie muss auf den Weg von Reformen, Sparbemühungen und digitaler Transformation einschwenken. Allerdings ohne Werte wie die Ausgewogenheit in der Informationsvermittlung oder den Ausgleich zwischen den kulturell sehr unterschiedlichen Regionen aufzugeben. Am Beispiel des öffentlich-rechtlichen Rundfunks können die Schweizer Kirchen derzeit lernen, wie eine Entwicklung für die Zukunft aussehen könnte. Auch die Kirchen sind Teil des «Service public». Auch sie müssen mit der gesellschaftlichen Entwicklung mitgehen, ohne ihre grundlegenden Werte aufzugeben.
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Charles Martig ist Direktor des Katholischen Medienzentrums und Mitglied des Publikumsrats der SRG Deutschschweiz. Bild: Aka / pixelio.de