Es ist alles andere als selbstverständlich, dass Liebe die Zeit übersteht. Mit Erich Kästner und Papst Franziskus verneigt sich Martina Kreidler-Kos vor der zeitlosen Sehnsucht, dass sich im „ganz normalen Chaos der Liebe“ die Kraft und der Gestaltungsspielraum der Hoffnung eröffnen.
Wenn Papst Franziskus Paaren begegnet, die sehr lange verheiratet sind, dann fragt er bei dieser Gelegenheit gerne: „Na, wer von euch hat mehr Geduld gehabt?“ Meistens, so erzählt er lächelnd, antworten die zwei: „Ach wissen sie, eigentlich beide!“ Dieser Papst, der im Frühling 2016 sein Nachsynodales Schreiben zu Ehe und Familie vorgelegt hat, erzählt solche Geschichten gerne. Bei allem Ringen um eine angemessene Ehepastoral der katholischen Kirche träumt er von liebenden Menschen, die ein Leben lang beieinanderbleiben und auch nach vielen gemeinsamen Jahren nicht trübsinnig werden, sondern einander immer kostbarer: „Das Beste ist das, was noch nicht erreicht wurde, der mit der Zeit gereifte Wein“, schreibt er zuversichtlich in „Amoris laetitia“ (AL 135).
Die Sehnsucht nach Dauer
Fragen Sie ein Paar vor der Kirche, dem Standesamt oder den großen kommerziellen Hochzeitsmessen, was es sich für sein Glück wünscht, dann wird die Antwort ziemlich sicher lauten: Zukunft und Dauer. „Denn alle Lust will Ewigkeit“, das wusste schon Friedrich Nietzsche. Und das wissen Liebende erst recht. Aber da ist natürlich auch immer die bange Frage: „Wird uns das gelingen?“ Wer sich umschaut, kann den Eindruck gewinnen, die Chancen stünden schlecht. Manche meinen sogar, sie würden beständig schlechter.
Abzulesen war diese Schwarzseherei unlängst an der Neuverfilmung des Kinderbuchklassikers „Das doppelte Lottchen“ von Erich Kästner. Neu und erfrischend kommen sie rüber, Luise und Lotte, die mittlerweile schon über 70 Jahre sein müssten, aber wie alle guten Geschichten nie wirklich alt werden. Wenn es ihre Vorgängerinnen in der Erstverfilmung 1950 noch schwer hatten, sich zwischen Wien und München zu verständigen, nutzen die beiden Mädchen 2017 selbstverständlich ihre Smartphones: Die Schulkameradin im Bus wird mittels Foto sofort identifiziert, das Kochen, das im Original der wilden Lotte fast zum Verhängnis wird, kann die zurückhaltende Luise heute via WhatsApp ganz einfach unterstützen.
Und die heutige Wirklichkeit?
Das Abenteuer des klug eingefädelten Zwillingtausches ist deshalb nicht mehr ganz so halsbrecherisch wie noch vor Jahren – aber es macht noch genauso viel Spaß. Hier ist eine wirklich süße Verfilmung gelungen! Nur der Schluss ist bitter: Während Erich Kästner sein „Doppeltes Lottchen“ als Sehnsuchtsgeschichte erzählt, in der zwei Zehnjährige ideenreich und mutig gegen die „Halbierung“ ihrer Familie aufbegehren, bleibt ihnen 2017 das Happy End versagt. Solch ein Schluss träfe nicht mehr die Wirklichkeit heutiger Kinder, heißt es. Derzeit müsse es genügen, dass die beiden geschiedenen Elternteile überhaupt wieder miteinander reden. Luise – oder war es Lotte? – darf den Wunsch nach „noch mehr Glück“ zwar noch äußern, aber er wird nicht weiterverfolgt. Die Romanvorlage wird kurzerhand den Statistiken angepasst.
Dabei waren die Beziehungen früher weder leichter zu kitten, noch hatte Erich Kästner 1942 eine einfache Botschaft im Sinn: Seht her, so kann es gehen, wenn es mal schiefgeht! Er wollte etwas ganz anderes – und das auf seine unnachahmliche Weise: Sich mit seiner Geschichte liebevoll und augenzwinkernd vor der zeitlosen Hoffnung verneigen, dass Liebe dauern könnte. Sogar über Hindernisse und lange Trennung hinweg. Wer meint, in solchen Geschichten würde der Romantisierung das Wort geredet oder gar der Weltfremdheit, der hat sie nicht verstanden. Solche Geschichten sind weder naiv, noch realistisch. Ihnen geht es um die Kraft und den Gestaltungsspielraum der Hoffnung.
Liebe ist Turbulenz.
Vielleicht ist es genau das, was Papst Franziskus mit „Amoris laetitia“ erreichen wollte. Dass wir diesen Gestaltungsspielraum in Sachen Liebe innerhalb der katholischen Kirche sehen und ernst nehmen. Liebe ist nur in ihren dramatischsten Momenten klar schwarz oder klar weiß und hell und strahlend. Sie zeigt sich in unendlich vielen Farben und manchmal sogar Grau in Grau. Spätestens seit Ende des letzten Jahrhunderts wissen wir mit dem Soziologenpaar Beck/Beck-Gernsheim um das bunte, „ganz normale Chaos der Liebe“.
Und jede*r, der oder die schon mal geliebt hat – oder immer noch liebt –, weiß das ohnehin: Liebe ist Turbulenz. In Kopf und Herz und Bauch. Sicher, mal gerät sie in ruhigere Fahrwasser, gerade wenn sie in die Jahre kommt, aber wir sollten uns nicht täuschen, Liebe bleibt immer in Bewegung, im Durcheinander, in der Kreativität. Liebe lässt immer etwas entstehen, wächst über sich hinaus. „Katholisch“ gesprochen: Liebe ist fruchtbar. Sie ist ein wunderbares, buntes und Leben schaffendes Durcheinander.
Hoffnung ist stark, aber leise.
Diese Hoffnung zu stärken, ist unser Job. Sie ist der Kirche anvertraut – auch und gerade in der Gestalt heiratswilliger Paare. Papst Franziskus nennt die Liebenden eine „kostbare Ressource“ (AL 207). Nicht weil das meist junge Leute sind, die der Kirche oft genug fehlen, sondern weil die Liebenden ihre ganze Hoffnung, ihr ganzes Glück und ihre ganze Liebe mitbringen. Ressourcen, die wir dringend brauchen: „Die besondere Form der Freundschaft, die sie leben, kann ansteckend werden“, schreibt der Papst weiter.
Um all das zu stärken, muss man nicht unbedingt lauter werden. Denn eigentlich geht es um leise Fragen: Wie mit Paaren von der Liebe reden, die sie als geschenkt erleben und für die sie doch zugleich Verantwortung tragen? Die so felsenfest und zugleich so zerbrechlich ist? Wie eine Sprache finden, in der ein liebender Gott vorkommt, der seine Freude an dieser ihrer Liebe hat? Und auf dessen Unterstützung man hofft?
Die Aufgabe der Kirche – und zwar aller ihrer Glieder – ist es, die Hoffnung, die Paare beseelt, zu teilen und zu stärken. Was dabei, Gott sei Dank, trotz aller käuflichen Alternativen immer exklusiv bleiben wird: Die Rituale der kirchlichen Trauung sind weder vom Paar allein zu verantworten noch ganz alleine für das Paar da. Hier geht es um ein Geschehen, in das sie sich – bei aller individuellen Gestaltungsmöglichkeit – vertrauensvoll hineingeben können. Zum Glück, kann man nur sagen, gibt’s Segen! Und den kann man weder kaufen noch bezahlen.
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Dr. Martina Kreidler-Kos ist Diözesanreferentin der Ehe- und Familienpastoral im Bistum Osnabrück sowie Lehrbeauftragte der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Münster im Bereich Theologie der Spiritualität.
Photo: Jasmine Walace Carter (pexels)