Im Oktober 2022 wurde ein Brief von #OutInChurch an Papst Franziskus übergeben – bis heute ohne Antwort. Die Initiator*innen veröffentlichen auf feinschwarz.net nun den Wortlaut.
In den vergangenen Monaten gab es wichtige Meilensteine im Kampf um die Anerkennung queerer Menschen und ihrer Lebensformen in der röm.-kath. Kirche. Unter anderem sind hier die Änderung des katholischen Arbeitsrechtes und die jüngsten Beschlüsse des Synodalen Weges zur Einführung von Segensfeiern auch für queere Paare und zum Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt zu nennen. Bei aller Freude über das Erreichte, muss zugleich darauf hingewiesen werden, dass damit ein wichtiges Reformanliegen eher noch drängender geworden ist: die notwendige Änderung der kath. Lehre.
Zu diese Änderungen kommt die Entscheidung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass die ICD 11 am 1.1.2022 in Kraft gesetzt wird. Hier wird Transgeschlechtlichkeit aus dem Bereich der psychischen Störungen herausgeholt. Ebenso haben wir aufmerksam wahrgenommen, dass der Papst sich dafür eingesetzt hat, dass die Kriminalisierung von Homosexualität durch staatliche Gesetze enden muss, weil sie ungerecht ist. Wir sind mit dieser Forderung sehr einverstanden. Allerdings wird diese Forderung umso glaubwürdiger, wenn sie von jemandem ausgesprochen wird, der sie in den eigenen Gesetzen und Normen umsetzt. Sie stärkt unseren Appell an den Papst, der alleine als Oberhaupt der Kirche die Diskriminierung und die seelisch-psychische Kriminalisierung von queeren Menschen beenden kann!
Solange die kirchliche Lehre gelebte Homosexualität weiterhin als schwere Sünde einstuft, trans Menschen ihre Identität abspricht, Homosexualität weiterhin als Weihehindernis markiert, etc. bleiben die o.g. Entwicklungen in einem widersprüchlichen Rahmen. Darum lautet eine der Forderungen der OutInChurch-Kampagne: „Diffamierende und nicht zeitgemäße Aussagen der kirchlichen Lehre zu Geschlechtlichkeit und Sexualität müssen auf Grundlage theologischer und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse revidiert werden. Dies ist besonders in Anbetracht weltweiter kirchlicher Verantwortung für die Menschenrechte von LGBTIQ+ Personen von höchster Relevanz.“ (Forderung 4)
Bereits im September 2022 hat eine Arbeitsgruppe von OutInChurch einen Brief an Papst Franziskus verfasst, der konkrete Vorschläge zur Änderung der einschlägigen Katechismus-Passagen vorlegt. Außer den drei Unterzeichnenden waren weitere Personen daran beteiligt. Dieser Brief wurde durch zwei Mittlerpersonen Anfang Oktober 2022 persönlich an Papst Franziskus übergeben. Leider steht eine Antwort bis heute aus. Im Folgenden ist der Wortlaut des Briefes dokumentiert.
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Station 14b – eine Ergänzung
Lieber Papa Francesco, Santo Padre,
via TV bin ich dabei gewesen, eben
beim Kreuzweg im römischen Kolosseum.
Sehr lebendig-verschiedene Familien
hast Du versammelt und eingeladen,
das Kreuz eine Etappe zu tragen,
dazu ihre Geschichte zu erzählen.
Die verwitwete Mutter
mit ihrem Kind war dabei,
Familien mit Adoptivkindern
oder einem Kind, behindert im Rollstuhl,
die kinderreiche und die kinderlose Familie
und andere. Bewegend.
Zwei Freundinnen zum Schluss,
aus Russland und der Ukraine
dazu keine Worte, nur tief
gefülltes Schweigen um Frieden.
Vierzehn Stationen.
Erlaube, dass ich eine hinzufüge,
da es fünfzehn nicht gibt
nenne ich sie schlicht 14b,
sie gehört dazu, für mich keine Frage.
Die „anderen“ Familien meine ich,
die ihr in Rom, hinter vatikanischen Mauern,
noch immer schamhaft verschweigt,
so als gäbe es sie nicht,
oder wenn doch, dann leider.
Die beiden Männer meine ich,
die sich lieben und sich ihr Ja gaben,
und das Kind, das behütet bei Ihnen aufwächst.
Die beiden Frauen, zusammen alt geworden,
die sich lange nicht trauten, sich zu bekennen,
geübt in jahrzehntelangem Versteckspiel.
So viele Mütter, so viele Väter,
die ihren schwulen Sohn, ihre lesbische Tochter,
in Liebe umarmen und schützen.
Die Tochter, die nach qualvollen Jahren,
den Eltern ein Sohn wird,
jetzt frei und so voller Leben.
Die so lange kinderlosen Paare,
die auf künstlichem Wege
nun endlich Eltern werden,
auch wenn Rom es verbietet.
Für sie richte ich sie ein,
die Station Vierzehn B,
sieh sie an, Papa Francesco,
es gibt sie und das Gott sei Dank.
Das Leben, facettenreich, ist reicher und bunter,
die Fantasie Gottes kennt keine Grenzen.
Lass luftigen Wind in die staubigen Stuben,
tanzen soll unsere Kirche und feiern das Leben!
Msgr. Stephan Wahl 15/16.4.2022
15.9.2022
Lieber Papst Franziskus
Die Station 14 b, die Msgr. Stephan Wahl angesichts des diesjährigen Kreuzweggebetes im römischen Kolosseum formuliert hat, setzen wir an den Beginn unseres Briefes an Sie.
Wir sind queere Mitarbeitende in der Kirche, die sich am 24.01.2022 gemeinsam geoutet und teilweise von ihren Leidensgeschichten in der Kirche erzählt haben. Das beiliegende Buch, das wir Ihnen gern schenken, dokumentiert einige dieser Geschichten. Allen Beteiligten ist gemeinsam, dass wir aus unserem Glauben heraus zu leben und zu arbeiten versuchen und uns in unserer Kirche trotz vieler Verletzungen beheimatet fühlen.
Wir möchten uns mit unserer Initiative #OutInChurch selbst zu Wort melden. Wir möchten nicht (mehr), dass man nur über uns spricht, aber nicht mit uns. Wir möchten uns nicht mehr verstecken, sondern aus unserem Leben, von unserem Fühlen, Lieben und Glauben erzählen.
Vielen von uns sind wegen ihres Queerseins Suizidgedanken vertraut. Viele fühlen sich in der Kirche und von der Kirche nicht angenommen, da die kirchliche Lehre Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit nach wie vor als defizitär erscheinen lässt.
Es gibt das weit verbreitete Bewusstsein heute, dass die Geschlechtlichkeit über Mann und Frau hinausgeht und darin in den diversen Formen keinerlei krankhafte Konstitution mehr zu sehen ist. Im Jahr 2018 wurde Transsexualität ICD 11 aus dem Bereich der psychiatrischen Krankheiten gestrichen. Ebenso ist es die wissenschaftliche Überzeugung, dass Homosexualität keine Krankheit ist. Zudem haben die theologischen Wissenschaften überzeugend dargelegt, dass die Schöpfungsgeschichte in Gen 1,27 nicht als eine Schöpfung von Mann und Frau auszulegen ist, sondern als männlich und weiblich und damit eine Vielfalt geschlechtlicher Identitäten zulässt. Ebenso betonen zahlreiche Exegetinnen und Exegeten, dass die Bibel Homosexualität in der heutigen Form, als erwachsene verantwortete Liebesbeziehung, nicht gekannt hat und es daher keine Verurteilung von Homosexualität in der Bibel gibt. Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen, der wissenschaftlichen Erkenntnisse der Medizin, der Psychologie und der Theologie ist es nur konsequent, wenn die Kirche im Lichte des Evangeliums lehrt, dass Homosexualität ebenso wie die Diversität geschlechtlicher Identitäten und sexueller Orientierungen in der theologischen Anthropologie von Gott gewollt ist und sich die Kirche daher auf der ganzen Welt gegen die Ausgrenzung und Gewalt gegenüber LGBTIQ+ Menschen einsetzt.
Eine Umformulierung des Katechismus der Katholischen Kirche ist ein wichtiger Schritt, Unrecht, Unterdrückung, Gewalt und innere Not von LGBTIQ-Menschen zu verringern. Darum halten wir eine Änderung des Katechismus mit folgenden Aspekten für dringend notwendig:
- mit Blick auf die Verurteilung homosexueller Beziehungen: angesichts der neuen theologischen und humanwissenschaftlichen Forschung, die die bisherige Deutung von Homosexualität als schlimme Abirrung nicht mehr zulässt, braucht es eine positive Wertung von Homosexualität als Schöpfungsvariante (Nummer 2357).[1] Deswegen ist eine Verurteilung homosexueller Beziehungen unzulässig, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt.
- die Streichung von Nummer 2358 und Nummer 2359, weil sie der Forschung nicht standhalten und zudem nicht anerkennen, dass Gott Menschen mit diverser geschlechtlicher Identität und sexueller Orientierung geschaffen hat und sich in seiner Schöpfung nicht geirrt haben kann. Gottes Schöpferplan wollte, dass Menschen verschieden sind, verschieden leben und ihre liebenden Beziehungen gestalten.
- Auch ausgehend vom Evangelium erwarten wir, dass sich die Kirche in der ganzen Welt für das Ende der Verfolgung und Unterdrückung von LGBTIQ+ Personen aktiv einsetzt, damit Menschen in Würde ihre Berufungen in unterschiedlichen Beziehungen leben können.
- Homosexualität und Transidentität sind keine Krankheit. Deshalb sind sog. „Konversionstherapien“ abzulehnen. Sie sind medizinisch nicht indiziert. In der seelsorglichen Begleitung muss die Selbstbestimmung geachtet und die Integration der Sexualität in die Person unterstützt werden. Niemandem darf eingeredet werden, dass seine*ihre homosexuelle Orientierung oder transgeschlechtliche Identität und deren lebensgeschichtliche Verwirklichung aus sich heraus sündhaft sind.
Wir erleben viele Lebensentwürfe und Lebenserfahrungen queerer Menschen als vielfältige Erkenntnisorte des Glaubens und Fundstellen göttlichen Wirkens. Wir sind überzeugt, dass die Vielfalt unsere Kirche reicher, schöpferischer, menschenfreundlicher und lebendiger macht. Als Mitarbeitende in der Kirche wollen wir unsere Lebenserfahrungen und unsere Charismen auf Augenhöhe einbringen und sie mit allen Christ*innen und Nicht-Christ*innen teilen.
Für einen Neuanfang halten wir es für unumgänglich, dass Sie als Oberhaupt der Kirche zusammen mit allen anderen Kirchenleitenden für die unzähligen Leiderfahrungen, die LGBTIQ+ Personen in der Kirche gemacht haben, die Verantwortung übernehmen, die Aufarbeitung der Schuldgeschichte der Kirche vorantreiben.
Wir sind sehr daran interessiert, unsere Erfahrungen und Kompetenzen in den anstehenden Diskussionsprozess einzubringen und bieten jede Form der Mitwirkung und des Dialogs an.
In Verbundenheit und mit herzlichen Grüßen im Namen der Initiative #OutInChurch
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Text: Dr. Michael Brinkschröder, München / Jens Ehebrecht-Zumsande, Hamburg / Pastor Bernd Mönkebüscher, Hamm.
Bild: Nacho Arteaga auf unsplash / OutInChurch
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[1] Eine kritische Aufarbeitung des exegetischen und moraltheologischen Forschungsstandes findet sich hier: https://www.wijngaardsinstitute.com/wp-content/uploads/2020/08/christian_same_sex_relationships__interim_report.pdf.