Sarah Röser beleuchtet die Belastbarkeit der aktuellen Äußerungen von Bistumsleitungen zur Anwendung des kirchlichen Arbeitsrechts.
„Wir werden niemandem aufgrund der sexuellen Orientierung kündigen“ – ein Satz, kurz, prägnant, der leicht über die Lippen kommt. So äußerten sich jüngst einige Diözesanbischöfe und Generalvikare als Reaktion auf die Aktion #OutInChurch in der Presse. Aber wie belastbar sind die Bekundungen, gewisse Teile des kirchlichen Arbeitsrechts aktuell nicht mehr anzuwenden bzw. sie zukünftig zu streichen?
Die sexuelle Orientierung einer Person interessiert den kirchlichen Dienstgeber grundsätzlich nicht.
Zunächst: Im aktuell gültigen kirchlichen Arbeitsrecht wird niemandem wegen seiner sexuellen Orientierung gekündigt. Welche sexuelle Orientierung eine Person hat, interessiert den kirchlichen Dienstgeber grundsätzlich nicht. Er interessiert sich dafür erst, wenn die Sexualität in – nach kirchlichem Verständnis – „nicht angemessener Weise“ ausgelebt wird. Zusammenleben ohne kirchlichen Trauschein, Wiederheirat nach Scheidung, Eingehen einer gleichgeschlechtlichen Ehe – das sind Kündigungsgründe (vgl. Artikel 5 der Grundordnung des kirchlichen Dienstes). In diesen Fällen unterstellt die Kirche den „sündhaften Geschlechtsakt“ – und damit einen Verstoß gegen die Glaubens- und Sittenlehre, zu deren Einhaltung sich jede:r katholische Arbeitnehmer:in bei der Einstellung schriftlich verpflichtet:
Beim Zusammenleben wird automatisch von einer außerehelichen Geschlechtsgemeinschaft ausgegangen; bei der Wiederheirat von Geschlechtsverkehr trotz bestehendem Eheband und damit von „Ehebruch“; bei der gleichgeschlechtlichen Ehe wird vermutet, dass zwei Personen des gleichen Geschlechts sexuell miteinander verkehren, was „in sich nicht in Ordnung“ (KKK 2357) ist. Es geht bei Kündigungen nicht darum, ob jemand homosexuell, heterosexuell, bisexuell oder anders orientiert ist, sondern darum, ob diese Orientierung in einem „unzulässigen“ Geschlechtsakt ausgelebt wird. Die Äußerung: „Wir werden niemandem aufgrund der sexuellen Orientierung kündigen“, ist insoweit kein aufsehenerregendes Bekenntnis, schon gar nicht Ausdruck eines Umdenkens.
Um die kirchliche Rechtskultur ist es grundsätzlich nicht gut bestellt.
Ob die „Korrektheit“ des Geschlechtsaktes zur Bemessung der Eignung für kirchliche Arbeitsverhältnisse ein geeignetes Kriterium ist, sei an dieser Stelle dahin gestellt. Hier soll etwas anderes Beachtung finden: die kirchliche Rechtskultur – wie kirchliches Recht ausgestaltet und angewandt wird. Um die kirchliche Rechtskultur ist es grundsätzlich nicht gut bestellt: Da verkündet der Papst seine neuesten Gesetze in der Tageszeitung des Vatikanstaats anstatt im dafür vorgesehenen amtlichen Publikationsorgan, da publizieren Diözesanbischöfe ihre Gesetze gar nicht oder fehlerhaft in ihren kirchlichen Amtsblättern, da werden Gesetze nur angewendet, wenn es den kirchlichen Autoritäten gefällt, und unterlaufen, wenn sich unerwünschte Konsequenzen ergeben. Die Liste ließe sich beliebig verlängern. Aber während die mangelnde Rechtskultur in solchen Fällen meist nur Kirchenrechtler:innen irritiert zurücklässt, hat sie im Fall des kirchlichen Arbeitsrecht existenzielle Folgen.
Das kirchliche Arbeitsrecht ist einer der wenigen Bereiche, in dem die Kirche kirchenrechtliche Verstöße wirkungsvoll sanktionieren kann. Während es viele Ausgetretene kaum tangieren wird, dass ihnen der Empfang einiger Sakramente oder die Übernahme des Taufamtes verboten ist, haben Verstöße im kirchlichen Arbeitsrecht einen spürbaren Straf-Effekt: Kündigungen.
Rechtssicherheit wäre einfach herzustellen: Ein Erlass im Amtsblatt!
Wenn jetzt manche diözesanen Verantwortlichen in Aussicht stellen, die entsprechenden Artikel der Grundordnung im Augenblick nicht anzuwenden, mag das auf den ersten Blick für viele erfreulich klingen. Schaut man jedoch genau hin, so handelt es sich aus rechtlicher Sicht jedoch um bloße Ankündigungen, die leicht über die Lippen kommen, rechtlich aber keine Verbindlichkeit entfalten. Es sind Selbstverpflichtungen ohne Rechtsanspruch. Sie klingen gut – eine Arbeitsplatzgarantie für Dienstnehmer:innen ist damit aber nicht verbunden. Auch wenn einzelne Diözesanbischöfe oder Generalvikare ihre Worte ernst meinen sollten: Rechtssicherheit und ein Rechtsanspruch auf Weiterbeschäftigung (oder gar auf Einstellung) ergibt sich daraus nicht.
Dabei wäre Rechtssicherheit sehr einfach herzustellen: Ein Erlass im Amtsblatt, der die bestehenden Artikel der Grundordnung außer Kraft setzt, würde ausreichen. Soweit ist bislang aber kein Diözesanbischof gegangen. Vielmehr hat Bischof Bätzing als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz erklärt, man müsse die Angelegenheit im Kreis der Bischöfe besprechen.
Dienstgeber- bzw. Institutionenschutz statt Arbeitnehmer-Schutzrecht
Auch ansonsten bietet das kirchliche Arbeitsrecht Dienstnehmer:innen keine Rechtssicherheit. Ein Beispiel: Unter den Loyalitätsobliegenheitsverstößen werden in der Grundordnung u. a. „schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlungen“ (Art. 5 Abs. 2 Nr. 1 lit. b Grundordnung) aufgeführt – ein Containerbegriff, unter den sich vieles subsumieren lässt. Die Definitionshoheit liegt dabei einseitig beim Dienstgeber.
Gewiss: Nicht alle Begriffe im Recht können vollständig definiert werden. Eine verbleibende Unschärfe ist hilfreich, um im Einzelfall flexibel reagieren zu können. Doch im kirchlichen Arbeitsrecht scheint diese Rechtsunsicherheit Kalkül zu sein, zu Lasten der kirchlichen Beschäftigten. Die novellierte Grundordnung von 2015 ist ein Kompromisspapier, das zwischen den unterschiedlichen Positionen der 27 Diözesen zu vermitteln sucht. Artikel 5 der Grundordnung, der Verstöße und Reaktionsmöglichkeiten benennt, ist so verworren formuliert, dass er für Laien – und möglicherweise auch für manchen Dienstgeber – kaum zu verstehen ist. Zwar entschärfte die Novellierung der Grundordnung von 2015 einzelne Bestimmungen, es findet sich aber weiterhin ausreichend Spielraum für arbeitsrechtliche Sanktionen, falls der Dienstgeber sie benötigt. Das steht im Widerspruch zu dem, was Arbeitsrecht – nach staatlichem Verständnis – vorwiegend ist: Arbeitnehmer-Schutzrecht. Demgegenüber betreibt das kirchliche Arbeitsrecht Dienstgeber- bzw. Institutionenschutz.
Umbruch 2022?
Blickt man darauf, welche elf Generalvikare sich jetzt in einem Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewandt haben, dann sind es die vermeintlich „weniger prominienten“ Diözesen. Köln oder München-Freising sind nicht mit im Boot, ganz zu schweigen von jenen drei Diözesen (Passau, Regensburg, Eichstätt), die bei der letzten Novellierung 2015 die Liberalisierung der Grundordnung durch ein anfängliches Veto verhindern wollten. Der Passauer Bischof Stefan Oster etwa zeigte sich damals besorgt um die „Selbstsäkularisierung“ kirchlicher Einrichtungen. Und auch jetzt sind schon einschränkende Wortmeldungen zu hören: Bischof Kohlgraf (Mainz) etwa bezweifelt, dass zukünftig wirklich „jeder Aspekt des Privatlebens ohne dienstrechtliche Relevanz sei“.
Es erscheint fraglich, ob im Sommer 2022 wirklich der große Umbruch kommen wird, wie er derzeit fast täglich in den Medien prognostiziert wird. Lippenbekenntnisse sind schnell gemacht – es wird sich zeigen, ob ihnen rechtsverbindliche Taten folgen.
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Text: Sarah Röser M.A. arbeitet als Akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Kirchenrecht der Universität Tübingen und promoviert mit einer Doktorarbeit zum kirchlichen Arbeitsrecht an der Universität Freiburg.
Bild: https://www.dbk.de/themen/kirche-staat-und-recht/kirchliches-arbeitsrecht/grundordnung