Die Autorin Nora Gomringer im Gespräch über Glauben und Schreiben. (Tobias Mayer)
Die Poetin und Sprachkünstlerin Nora Gomringer (geb. 1980) ist eine Veteranin des „Poetry-Slam“ und besonders seit 2015, durch ihren fulminanten Klagenfurter Auftritt und den Gewinn des Ingeborg-Bachmann-Preises, im Fokus der breiten Öffentlichkeit. Jetzt hält sie in Wien eine Poetikvorlesung zum Verhältnis von Literatur und Religion (Donnerstag, 16. Juni). Im Vorfeld sprach sie darüber, wie sich ihr Schreiben und ihre Religiosität zueinander verhalten.
Nora Gomringer, Ihre Poetikvorlesung hat den Titel: „Man sieht’s. Der Gott zwischen den Zeilen der Nora G.“ – Können Sie uns schon ein wenig verraten, was sich unter dieser Überschrift verbirgt?
Gomringer: Gerne lade ich ein, mir auf die Spur zu kommen. Ich bin Autorin und Christin und man liest es mir an. Auf Ihre Einladung hin gebe ich Auskunft zu meinem Verhältnis von Schreiben und Inspiriertheit, das mitunter in meinem Religiössein gefestigt ist.
Sie selbst beschreiben sich als Autorin und Christin, aber vermutlich bewusst nicht als „christliche Autorin“. Eine „christliche Literatur“, die explizit christliche Themen verhandelte und entsprechende Anliegen hatte, gab es ja durchaus noch weit ins 20. Jahrhundert hinein, ich denke an Chesterton, Lewis, Evelyn Waugh, den „Renouveau catholique“, Werner Bergengruen und Reinhold Schneider, Heinrich Böll oder Luise Rinser. Gibt es in unserer Zeit überhaupt noch Raum für „christliche Literatur“?
Gomringer: Mehr Raum denn je, will mir scheinen. Und auch mehr Raum für Bekenntnis, denn durch die sich auflösenden Formen von Öffentlichkeit und Privatheit gibt es ständig mehr Ich-Aussagen in der Literatur. Und da wird eben gesagt und nicht verborgen, wer man ist, vermeint zu sein, etc. Allerdings wird auch mehr kritisiert, verspottet, geächtet. Also gute Zeiten für Märtyrer …
Sie sprachen von Inspiration. Im Schöpferischen und Kreativen am Schreiben kann eine Perspektive des Glaubens ja durchaus den spiritus creator wirken sehen. Das führt mich zu der Frage: Was treibt Sie an, wenn Sie schreiben? Zugespitzt gesagt: Hat Nora Gomringer eine „Mission“? Ihren Klagenfurter Text „Recherche“ könnte man ja vielleicht als litterature engagée verstehen, als Literatur, die bewegen und etwas verändern will …
Gomringer: Literatur ist mächtig, weil das Wort nie an Kraft einbüßt. Mit allem muss man daher vorsichtig sein und sich beobachten …, wie man die Sprache nutzt und ob man es ernst meint mit der Literatur. Wenn man das annimmt als Aufgabe ohne Klagen und Murren, dann ist man ein engagierter Autor, egal über was man schreibt. Ich „will“ mit jedem Text etwas anderes. Mit Recherche wollte ich einen Fall nachvollziehen. Ein physisches Fallen vom fünften Stock und das Aufschlagen in der Realität, aber auch einen Kriminalfall, der keine Ermittlung kennt.
Theologinnen und Theologen, die sich für Literatur interessieren, unterstellen meist vor allem jenen Autorinnen und Autoren eine theologische Affinität, deren „Sachwortregister“ religiöse und kirchliche Begriffe aufweist: die Treffer reichen dann von „Auferstehung“ über „Kreuz“, „Messe“ und „Pfarrer“, bis „Zacharias“… Wenn ich richtig sehe, geht ein solches „Googlen“ bei Ihren Texten weitgehend ins Leere. Würden Sie es diesem „expliziten“ Ansatz gegenüber für fruchtbarer halten, Motive des Glaubens und der Theologie „zwischen den Zeilen“ zu suchen?
Gomringer: Ach, zwischen den Zeilen ist’s doch in der Regel sowieso fruchtbarer. Bei mir finden Sie Begriffe wie „Apfelesserin“ für Eva, „Kummerkasten“ für Jesus aus Holz, mit Schlitz in der Seite …, etc. Es ist Aufgabe der Dichtung, die Sprache der Bibel, der Theologie in jeder Generation neu zu entdecken. Meine Religiosität war immer bestimmt von Ritus und Logos, nicht Ding und Gegenstand. Von daher: Sprache, Sprache, Sprache. Und Wunder(n)!
Die Bedeutung von riskantem Bekenntnis in der Literatur nimmt zu, haben Sie eben gesagt. Das passt vielleicht zusammen mit einer kürzlich in der NZZ publizierten Diagnose über die Schriftstellergeneration „nach“ der Postmoderne. „Das postmoderne ironische Spiel ist aus“ – jetzt, in der Postironie, gibt es wieder Pathos und Emphase, gibt es wieder etwas, was zu denken gibt, was aufrührt und bewegt?
Gomringer: So gefragt, gibt es das ja zu jeder Zeit. Ich halte Pathos für einen Ausdruck der Gemütssprache. Und die hat u.a. das Kino für uns durchbuchstabiert. Wer für die Bühne schreibt, lernt Pathos als eigene Macht kennen. Wer mich liest, liest aber auch wie ironisch meine Auseinandersetzung mit Pathos ist. Die Ironie ist letztlich die intellektuelle Schwester des Pathos und steht mir näher als ihr kleiner pummeliger Bruder. Aus irgendeinem Grund sieht Lady Irony in meinem Kopf aus wie Sibylle Berg, während Pathos Boy nicht recht in sein Kostüm passen will, obwohl er doch gleich auf die Bühne soll.
Möchten Sie uns abschließend in einem kurzen Best-Of einen Einblick in Ihren künstlerischen Background geben? Ihre drei wichtigsten und prägendsten Einflüsse, vielleicht auch theologische?
Gomringer: Pfarrer Pfister, Tante Nonne, Schwester Albarista – meine drei direkten Gottesdrähte während meiner Kindheit und frühen Jugend.
… drei Lieblingsbücher?
Gomringer: „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck, „Ich will kein Inmich mehr sein“ von Birger Sellin, Heine Gedichte.
… drei Lieblings-CDs?
Best of Toto, Michael Jackson „Off the Wall“, der Soundtrack von Judgement Night.
… drei Sehnsuchtsorte?
New York „Ess-a-Bagel on First Ave“, das Haus meiner Kindheit, darin das Badezimmer, Novosibirsk, ach, viele Sehnsüchte, viele Orte.
Von Nora Gomringer, die in Bamberg lebt und arbeitet, erschien zuletzt die Essay- und Redensammlung „Ich bin doch nicht hier, um sie zu amüsieren“ sowie die Lyrikbände „Mein Gedicht fragt nicht lange – reloaded“ und „Morbus“ (alles Volland & Quist 2015). Im Mai 2016 lancierte Sie bei Youtube den poetischen Kurzfilm „MY4LTRS“ über die Auswirkung der zunehmenden Kenntnis der DNA auf die Entscheidungsfreiheit des Menschen.
Fragen: Tobias Mayer; Bild: Cella Seven