Über 100 mal traf sich die Lukas19-Online-Gottesdienstgemeinde seit Palmsonntag 2020. Johann Pock sprach mit dem Initiator Wilfried Schumacher (Bonn) über Erfahrungen und Hintergründe.
Was am Palmsonntag 2020 aufgrund der Pandemie aus der Not geboren wurde, hat mittlerweile sein 100. Jubiläum gefeiert: Ein Online-Netzwerk-Gottesdienst, zu dem sich regelmäßig eine örtlich weit verstreute Gemeinde vernetzt. Diese Gemeinde trifft sich auf der programmatischen Seite lukas19.de. Initiiert und geleitet wurde und wird das Projekt vom langjährigen Pfarrer der Münsterbasilika und Leiter der Citypastoral in Bonn, Wilfried Schumacher. Im Interview erklärt er Hintergründe, Ideen und Erfahrungen mit dem Projekt.
Wo ist da die Beteiligung des Gottesvolkes und wo erleben sich die Zuschauerinnen und Zuschauer als Mitfeiernde?
Am Beginn der Pandemie im März 2020 wurden alle öffentlichen Gottesdienste ausgesetzt. Es durfte nur mehr im kleinsten Kreis gefeiert werden. Wie entstand die Idee zu diesem Internet-Gottesdienst?
Am Anfang stand das Erstaunen darüber, wie Kirche mit den Beeinträchtigungen angesichts der Corona Pandemie umgeht. Die Gotteshäuser waren geschlossen, die Gottesdienste (und das waren nach wie vor insbesondere die Eucharistiefeiern) fielen aus. Die Lösung war anfangs: vielerorts werden die Messen gestreamt und im Internet übertragen. Man sieht den Priester, manchmal auch noch eine Hand voll Mitfeiernde, nicht selten aber auch die Bischöfe allein am Altar.
Ich hatte Bedenken, weil für mich die Anwesenheit des Volkes Gottes („die Messe beginnt, wenn die Gemeinde versammelt ist“, AEM 25) konstitutiv ist für die Feier der Eucharistie. Alle mussten verzichten, aber die Bischöfe zelebrierten – so als seien sie die „Herren über die Eucharistie“.
Ich hatte Bedenken, weil die Übertragung der Messe im Internet mich eher an eine mehr oder weniger schlechte Fernsehshow erinnerte. Dabei machte ich eine seltsame Erfahrung: „Als Du angerufen hast, waren wir beim Livestreaming aus unserer Pfarrkirche gerade bei der Wandlung; da gucken wir jetzt weiter – wir haben den Rest aufgezeichnet“, hieß es am Ende eines Anrufs in Lockdown-Zeiten.
Ich fragte mich: Wo ist da die Beteiligung des Gottesvolkes und wo erleben sich die Zuschauerinnen und Zuschauer als Mitfeiernde?
Verärgert war ich, als viele Ordinariate sogenannte „Hausgottesdienste“ publizierten und die Menschen aufforderten, zu Hause Gottesdienst nach der Vorlage zu feiern. Was machen da die Singles und was machen die Familien, die es gar nicht gewohnt sind, miteinander im Familienkreis zu beten und zu singen? Wen hat man da überhaupt im Blick?
Mir war klar, ich brauche eine kleine Gemeinschaft von Menschen, die sich zum gemeinsamen Gottesdienst verabredet, von denen sich einige bereits kennen, zu denen andere dazustoßen können.
Zachäus – Gott ist zu finden im eigenen Zuhause
Warum wurde dieser Name „Lukas19“ gewählt?
Ich wollte wissen, wo ist im Neuen Testament davon die Rede, dass Jesus selbst in einem Haus zu Gast ist. Mir fiel die Geschichte von Zachäus im 19. Kapitel des Lukasevangeliums ein. Bei ihm wollte Jesus zu Gast sein, und später sagt er: „Heute ist diesem Haus Rettung widerfahren“. Da stand es: Gott ist nicht nur in der Kirche, in der Synagoge oder in der Moschee zu finden, sondern im eigenen Zuhause. – Der Name war gefunden: Lukas 19
Mehr dazu: https://blog.wilfried-schumacher.de/sind-sie-auch-ein-zachaeus/
Was waren die größten Hindernisse, die zu überwinden waren – sowohl am Beginn, als auch in den vergangenen beiden Jahren?
Es gab keine Hindernisse. Vorbild für die technische Umsetzung war ein Zoom-Café der Citypastoral Linz/Donau im März 2020, als überall der erste Lockdown war. Die zeitliche Begrenzung des Zoom-Accounts wurde dadurch aufgehoben, dass ich eine Zoom-Lizenz gekauft habe, an deren Kosten sich alle lukas19-Leute beteiligen. Ebenso die itunes-Lizenz und die youtube-Lizenz für Musik.
Am ersten Sonntag habe ich die Liedtexte noch von einer PowerPoint Präsentation eingeblendet. Das war aber sehr mühsam, weil technisch viel zu schalten war. Deshalb bin ich ab dem zweiten Gottesdienst (Gründonnerstag) dazu übergegangen, dass alle, die sich beim Netzwerk lukas19 angemeldet haben, vorher ein Lied- und Textblatt zugesandt bekommen.
Inzwischen arbeite ich mit 2 Computern.
Gleichbleibende Form – vier partizipative Momente
Was sind die wichtigsten Elemente von Lukas19, die von den Teilnehmenden wertgeschätzt werden?
Die Gottesdienste haben seit Beginn eine feste und gleichbleibende Form. Es gibt vier wichtige und gleichzeitig partizipative Momente:
Zunächst die Ankommrunde nach der ersten Musik, in der jede/r erzählt, was ihm/ihr wichtig ist, was die vergangene Woche gebracht hat. (Da hält man den Atem an, wenn jemand erzählt, dass er eine Krebsdiagnose bekommen hat).
Dann eine Vergewisserung, mit wem wir in diesem Gottesdienst über die Videokonferenz hinaus verbunden sind – „mit allen, die heute Gottesdienst feiern“, mit den Kranken und Sterbenden, mit den Wissenschaftlerinnen, den Forscherinnen u.a.m. „sind wir jetzt da vor Gott“. Dies soll deutlich machen, dass unser Videogottesdienst kein Privatvergnügen ist, sondern viele Menschen miteinbezieht und uns mit ihnen versammelt vor Gott, der der Herr auch unserer digitalen Versammlung ist. (Vgl. Mt 18,20, – der Vers wird immer zu Beginn nach dem gemeinsamen Kreuzzeichen zitiert.)
Das Schriftgespräch, an dem sich fast alle immer beteiligen, nachdem eine/r den Text vorgelesen hat.
Die Gebetsrunde, in der jede/r das Anliegen nennt, für das er/sie besonders beten möchte. Dabei wird manches aus der Ankommrunde aufgegriffen und es wird deutlich, wie aufmerksam alle auf alle hören. Alle sprechen dann das Vaterunser.
Bis Pfingsten 2021 haben wir unsere Gottesdienste hier dokumentiert: https://wilfried-schumacher.de/lukas19-unsere-gottesdienste/
Würden Sie Lukas19 als temporäres Projekt bezeichnen, das nach dem Ende der Pandemie seinen Dienst getan hat; oder entstand und entsteht damit eine Art von Gemeinde bzw. Gemeinschaft, die sich weiter treffen wird?
Alle vorsichtigen Versuche, in Zeiten abschwellender Pandemie-Wellen das Angebot eventuell zu reduzieren, stießen nicht auf Gegenliebe. In Zeiten, in denen ich nicht in Bonn war und anderswo mit Zelebrationen aushalf, wurden neue Lösungen gefunden und andere Zeiten gewählt. Hauptsache, man konnte sich sonntags treffen.
Die lukas19-Gemeinde ist so erwachsen, dass sie Wege und Weisen finden wird, sich weiter zu treffen. Das Partizipative unserer Gottesdienstversammlung und das entstandene Miteinander ist so stark, dass es eine Zukunft hat – vielleicht auch als Modell für neue Formen in Präsenz.
Erleben, mit welcher Lebendigkeit und mit wie viel Geist über die Schrift gesprochen wird.
Was würden Sie selbst als die wichtigsten Erfahrungen bezeichnen, die Sie mit dieser Form des gemeinsamen Feierns machen konnten?
Für mich gibt es zwei wichtige Erfahrungen:
* einmal zu erleben, mit welcher Lebendigkeit und mit wie viel Geist über die Schrift gesprochen wird. Ich bin als Theologe oft sonntags beschämt, wenn ich daran denke, wie lange die Teilnehmenden „früher“ auf das bloße Zuhören beschränkt waren. Ich werde erinnert an das Wort von Klaus Hemmerle: „Lass mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe“;
* und zu erleben, wie die Einzelnen Anteil nehmen am Schicksal der anderen, wie man sich freut auf das sonntägliche Miteinander und man sich entschuldigt, wenn man nicht dabei sein kann. Vor allem aber auch, wie schnell „Neue“ begrüßt und aufgenommen werden und wiederkommen!
Was möchten Sie sonst noch zum Projekt erzählen?
Vielleicht sind noch ein paar Zahlen wichtig: Am Sonntag kommen zwischen 15 und 20 Leute zusammen; auch mal weniger, wenn einzelne verhindert sind.
Wir haben mit 11 Personen am Palmsonntag 2020 angefangen. In der Osternacht 2020 waren es 30 Leute. 50 Personen erhalten samstags das Lied- und Textblatt für den Sonntag per Mail. Sie haben sich irgendwann einmal für den Bezug angemeldet und waren auch mal dabei. Ich kann nur vermuten, dass die Form sie nicht angesprochen hat. Trotzdem melden sie sich nicht vom Email-Empfang ab und stoßen hin und wieder mal dazu.
Zu unserer Gemeinde gehören u.a. pensionierte Ärztinnen, ein pensionierter Journalist, ein ehemaliger Museumsdirektor, ein leitender Feuerwehrbeamter, eine Pädagogin, eine MTA, ein Mitarbeiter in der Pflegedienstleitung, Rentnerinnen und Rentner. Sie wohnen in Hamburg, in Aachen, in Köln, in Bonn und der Umgebung, in der Eifel, an der Bergstraße, in München und Linz an der Donau.
Ganz wichtig ist mir: Alle sollen in ihrer Kompetenz, die sie in Taufe und Firmung erhalten haben, ernstgenommen werden. Deshalb gibt es keinen Fernsegen via Netz, sondern jeder und jede ist eingeladen, zum Beispiel an Palmsonntag den Palmzweig zu segnen, an Gründonnerstag den Segen über Brot und Wein für die Agape zu sprechen oder das Weihwasser in der Osternacht zu segnen. Gerne habe ich dazu entsprechende Texte bereitgestellt.
Zum Gottesdienst ist noch ein weiteres Format dazugekommen: das Café Neugier alle zwei Wochen mittwochs. „Was Sie immer schon über Glauben, Religion, Bibel usw. wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten!“, lautet das Motto. Es wird entweder von mir, von Teilnehmenden oder Gästen gestaltet. Die Themen bestimmt die Gruppe.
Insofern bildet lukas19 auch die kirchliche Realität ab. Das Sonntagsgebot hat für die meisten seine Relevanz verloren.
Hält lukas19 die Leute nicht von der Mitfeier der Eucharistie ab?
Ich bin überzeugt, dass für die meisten Teilnehmenden von lukas19 die Eucharistie „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (Lumen Gentium 11) ist. Ich weiß von einigen, dass sie inzwischen die Vorabendmesse in einer Kirche besuchen, um sonntags bei lukas19 dabei sein zu können. Andere haben immer noch Angst vor Ansteckung mit dem Virus und gehen deshalb nicht zur Messe. Anderen genügt lukas19 am Sonntag.
Insofern bildet lukas19 auch die kirchliche Realität ab. Die immer weniger werdenden Mitfeiernden in den Eucharistiefeiern sind nicht nur eine Folge von Corona. Das Sonntagsgebot hat für die meisten seine Relevanz verloren. Wie ein Katalysator hat die Pandemie den „Zustimmungsvorbehalt“ (Rainer Bucher) der Kirchenmitglieder öffentlich gemacht. Die Dispens vom Sonntagsgebot, die die Bischöfe verkündeten, zeigt an, wie weit sie sich von den Lebenswirklichkeiten des Volkes Gottes entfernt haben. Wen hat es interessiert?
Kirchengebot und die Erfahrung der Diskrepanz zwischen Sonntagsgottesdienst und Alltagserleben haben eindeutige Konsequenzen.
Auch in dieser Hinsicht scheint für die Teilnehmenden lukas19 eine Form zu bieten, die anspricht, auch wenn sie nicht die „Hochform des Gemeindegottesdienstes“ (Gem.Synode Gottesdienst 2.4.1) ist. Bei allen höre ich die Sehnsucht nach einer Live-Begegnung, aber auch den Willen, die digitale Form komplementär zu anderen Formen fortzusetzen – auch schon wegen der räumlichen Entfernung. „lukas19“ wird so nicht nur für mich auch zu einem „Kirchort“ oder „Segensort“ (Christian Hennecke).
Eine „neue Heimat“, eine „wohltuende Begegnung“ oder auch „ein Hoffnungsanker“.
Welche Visionen haben Sie damit – oder schauen Sie einfach von Woche zu Woche?
Ich hätte im März 2020 nie daran gedacht, ein solches Projekt begründen zu wollen. Alles ist geworden, indem wir die Zeichen der Zeit erkannt, entsprechend gedeutet und gehandelt haben. Vor allem aber ohne Angst vor (digitalem) Neuland. Deshalb vertraue ich darauf, dass dies auch in Zukunft so sein wird.
Zur Zeit plane ich Woche für Woche, will aber nicht verschweigen, dass ich angesichts meines Aufenthalts in der Karwoche in Jerusalem schon darüber nachdenke, ob lukas19 dann mit einem Teilnehmer aus Jerusalem stattfindet.
In einer Befragung der TeilnehmerInnen anlässlich des Jubiläums kamen intensive Rückmeldungen, die deutlich machen: Diese Form des Zoom-Gottesdienstes ist für manche „eine neue Heimat“, eine „wohltuende Begegnung“ oder auch „ein Hoffnungsanker“. …. – https://wilfried-schumacher.de/100-gottesdienste-sagt-die-lukas19-gemeinde/
Der Link: www.lukas19.de
—
Interviewpartner: Msgr. Wilfried Schumacher, ehem. Pfarrer der Münsterbasilika und Leiter der Citypastoral in Bonn
Das Interview führte für die feinschwarz-Redaktion das Redaktionsmitglied Johann Pock.
Beitragsbild: Pixabay